„Wir müssen diese Praxis einstellen“: Frauen mit Zervixkarzinom profitieren nicht von einer adjuvanten Chemotherapie

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

11. Juni 2021

„Eine adjuvante Chemotherapie nach platinbasierter Radiochemotherapie bei Frauen mit lokal fortgeschrittenem Gebärmutterhalskrebs verbesserte weder das Gesamtüberleben noch das progressionsfreie Überleben“, so das Fazit von Prof. Dr. Linda R. Mileshkin, aus der randomisierten Phase-3-Studie OUTBACK. „Daher sollte die Standardbehandlung weiterhin eine Chemoradiotherapie mit gleichzeitiger wöchentlicher Cisplatin-Behandlung sein.“ Mileshkin arbeitet am Peter McCallum Cancer Centre, Victoria, Australien. Bei der virtuellen Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2021 stellte sie das Resultat aus OUTBACK vor [1].

 
Unsere Ergebnisse sprechen nicht für eine adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel nach einer Strahlenchemotherapie mit wöchentlichem Cisplatin. Prof. Dr. Linda R. Mileshkin
 

„Unsere Ergebnisse sprechen nicht für eine adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel nach einer Strahlenchemotherapie mit wöchentlichem Cisplatin“, ergänzte Mileshkin. „Weitere Forschungen sollten sich auf adjuvante Therapien konzentrieren, die verträglicher und wirksamer sein könnten.“

In einer Vorabpressekonferenz zum Kongress hatte ASCO-Präsidentin Prof. Dr. Lori J. Pierce, University Hospital, Ann Arbor (Michigan), die Ergebnisse so kommentiert: „Nach unserer Kenntnis wird derzeit eine adjuvante Chemotherapie auf der Grundlage vorläufiger Daten eingesetzt. Wir sehen nun eindeutig, dass es nicht funktioniert, und wir müssen diese Praxis einstellen.“ Die Studie belege zudem die Bedeutung von Untersuchungen mit negativem Ergebnis.

 
Wir sehen nun eindeutig, dass es nicht funktioniert, und wir müssen diese Praxis einstellen. Prof. Dr. Lori J. Pierce
 

Diskutant Prof. Dr. Kunle Odunsi, University of Chicago Comprehensive Cancer Center, Chicago (IL, USA), erläuterte, dass distante Metastasen als häufigstes Rezidiv (24% bis 30% nach 5 Jahren) nach einer Chemoradiotherapie auftreten würden. Die Ursachen hierfür könnten sehr vielfältig sein. Es sei die Frage, ob eine Chemotherapie diese unterschiedlichen Prozesse ausreichend beeinflussen könne. Man benötige weitere Informationen zu Mechanismen der Progression von Zervixkarzinomen. Möglicherweise könnte mit anderen Regimes oder mit Biologika eine bessere Wirkung in der adjuvanten Therapie erreicht werden.

Radiochemotherapie derzeit Standard bei lokoregionärer Erkrankung

„Das Zervixkarzinom ist ein weltweites Problem“, so Mileshkin. Nach Angaben der WHO wurde die Erkrankung im Jahr 2018 weltweit bei mehr als 570.000 Frauen diagnostiziert. Über 311.000 Patientinnen starben an einem Zervixkarzinom, es ist damit die vierthäufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen.

Bei Diagnosestellung leiden die meisten Frauen unter einer lokal fortgeschrittenen Erkrankung, für die seit 1999 eine Radiochemotherapie mit Cisplatin als Therapiestandard gilt. Wie eine Metaanalyse mit 18 Studien gezeigt hat, verbesserte sich hierdurch das 5-Jahres-Überleben von 60% auf 66%.

Die meisten Todesfälle sind auf die Entwicklung von Fernmetastasen zurückzuführen. In verschiedenen kleineren Studien war deshalb postuliert worden, dass dies durch eine adjuvante Chemotherapie möglicherweise verhindert werden kann. Wegen kurzer Nachbeobachtungszeiten und vermehrten Nebenwirkungen durch die adjuvante Therapie waren die Studien teilweise kritisiert worden.

OUTBACK-Studie mit über 900 Patienten

Deshalb untersuchte das internationale Team den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel auf das Gesamtüberleben.

In OUTBACK wurden von April 2011 bis Juni 2017 genau 919 Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom aufgenommen, die sich einer Radiochemotherapie mit kurativem Ziel unterzogen hatten.

463 Teilnehmerinnen wurden nach der Chemoradiotherapie der Verumgruppe mit 4 Zyklen Carboplatin und Paclitaxel zugeordnet, 456 der Kontrollgruppe. Tatsächlich wurden 361 Frauen (78%) adjuvant behandelt. Primärer Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS) nach 5 Jahren. Zu den sekundären Endpunkten gehörten das progressionsfreie Überleben (PFS), unerwünschte Wirkungen sowie die Art der Rezidive.

Die demographischen Daten in beiden Gruppen waren gut vergleichbar. Das mediane Alter der Frauen lag bei 45 Jahren. Die adjuvante Chemotherapie wurde jedoch von 22% der Frauen gar nicht begonnen. Rund 70% durchliefen alle 4 Zyklen Carboplatin und Paclitaxel.

Adjuvante Chemotherapie ohne Effekt auf OS und PFS

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten überlebten im Arm mit adjuvanter Chemotherapie mit 72% ähnlich viele Patientinnen wie im Kontrollarm mit 71 % (HR 0,90, p = 0,8). Das mediane OS ist in beiden Gruppen noch nicht erreicht.

Auch das das PFS war nach 5 Jahren mit 63 % bei adjuvanter Chemotherapie vs. 61 % im Kontrollarm ähnlich (HR 0,87, p = 0,61).

In allen vordefinierten Subgruppen waren die Effekte ähnlich. Es gab jedoch Hinweise darauf, dass die adjuvante Therapie bei Frauen ab einem Alter von 60 Jahren weniger wirksam war.

Die Rezidivmuster waren ebenfalls in beiden Armen ähnlich.

Innerhalb von 1 Jahr nach der Randomisierung traten bei signifikant mehr Patientinnen in der Gruppe mit adjuvanter Chemotherapie (81%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (62%) unerwünschte Effekte vom Schweregrad ≥ 3 auf. Es handelte es sich um typische Chemotherapie-bedingte Nebenwirkungen.

Die Lebensqualität war im Verum-Arm während und für 3 bis 6 Monate nach der Behandlung schlechter, nach 12 Monaten jedoch wieder ähnlich wie im Kontrollarm.

 

Kommentar

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