Seit Einführung der Tumornekrosefaktor-α-Antikörper ist Dynamik in die Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) gekommen. Es folgte die Anti-Integrin-Strategie, also die Hemmung der Infiltration von Entzündungszellen in den Darm durch Vedolizumab als α4β7-Antikörper. Ustekinumab, ein Antikörper gegen die Entzündungsmediatoren Interleukin (IL)-12 und IL-23, bereicherte das Portfolio bald darauf. Und zuletzt kam die Zulassung des ersten Januskinase (JAK)-Inhibitors Tofacitinib. Ärzten stehen damit einige neue Optionen zur Verfügung.
„Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren mehrere spezifisch gegen IL-23 wirksame Antikörper die Zulassung für die beiden Erkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn erhalten werden“, sagte Prof. Dr. Britta Siegmund bei der

Prof. Dr. Britta Siegmund
Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS). Sie ist Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie (einschließlich Arbeitsbereich Ernährungsmedizin) der Charité in Berlin.
Siegmund nannte Guselkumab und Nivikizumab, die IL-23 selektiv binden; beide Antikörper sind mögliche Ergänzungen des bereits zugelassenen Biologikums Ustekinumab.
Neue Substanzklassen, spezifischere Wirkungen
Ähnliche Trends erwartet Siegmund bei JAK-Inhibitoren. Als bisher einziger Vertreter dieser Klasse sei Tofacitinib eher unspezifisch mit einer Hauptwirkung auf die Januskinasen des Typs 1 und 3. Verschiedene Daten aus der Rheumatologie und der Colitis ulcerosa-Behandlung haben Tofacitinib besonders bei älteren Patienten dosis-abhängig mit einem erhöhten thromboembolischen Risiko assoziiert sowie mit einem erhöhten Risiko, einen Herpes zoster zu entwickeln.
„Somit erscheint die Weiterentwicklung dieser Klasse hin zu JAK-Inhibitoren mit einer etwas spezifischeren Wirkung (JAK1) als eine Chance, die Sicherheit zu verbessern“, erläutert Siegmund. Am weitesten entwickelt sind die beiden JAK-1-Inhibitoren Upadacitinib und Filgotinib. Beide befinden sich bereits in Phase-3-Studien.
Bei JAK-Inhibitoren handelt es sich ausschließlich um orale Therapien. „Ein weiterer Vorteil der Therapie mit einem solchen sogenannten small molecule ist, dass keine Antikörper-Entwicklung erfolgen kann“, erklärt die Referentin. „Damit ist hier auch in der Praxis eine intermittierende Therapie vorstellbar, ohne dass zwingend Therapieresistenzen entstehen.“
TYK2-Inhibitoren gehören auch in diese Klasse, sind aber in den klinischen Studien nicht so weit fortgeschritten, so dass man auf die Daten bezüglich ihrer Effektivität noch warten muss.
S1PR-Modulatoren halten Entzündungszellen in Lymphknoten fest
Eine weitere neue, bislang nur bei multipler Sklerose eingesetzte Klasse sind die Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren, kurz S1PR- Modulatoren. Das sind kleine Moleküle, welche die Zirkulation von Immunzellen hemmen, indem sie deren Freisetzung aus Lymphknoten unterbinden.
In diese Klasse gehören Ozanimod, Etrasimod und andere Substanzen. Für Ozanimod seien erste Daten aus dem Phase-3-Programm für Colitis ulcerosa (True North) bereits bei wissenschaftlichen Kongressen vorgestellt worden; weitere Daten würden in wenigen Wochen bei den US-amerikanischen Gastroenterologen präsentiert, berichtete Siegmund. Phase-3-Studien für Morbus Crohn befinden sich noch in der Rekrutierungsphase.
Siegmund bewertet es als großen Mehrwert, dass „für 2 der bereits zugelassenen Substanzen, Infliximab und Vedolizumab, nach einer intravenösen Induktionstherapie inzwischen auch subkutane Applikationsformen zur Verfügung stehen“. Für Patienten sie dies eine erhebliche Erleichterung.
Resistenzen als Problem
„Eine zentrale Herausforderung ist aber, dass meistens das 1. gegebene Medikament zunächst wirkt, dadurch allerdings die Krankheitsbiologie verändert wird“, gab Siegmund zu bedenken. „So kommt es bereits nach einem Jahr der Anwendung zu Resistenzen durch Antikörper, häufig etwa gegen den TNF-Hemmer Infliximab. Dann müssen wir auf ein anderes Medikament wechseln oder Immunsuppressiva hinzufügen.“
Etwa 40 bis 50% aller Patienten mit Colitis ulcerosa werden von Hausärzten in spezialisierte Zentren überwiesen. Dort erhalten etwa 80% von diesen Biologika. „Wichtig ist, bei einer relevanten Entzündung nicht das Zeitfenster für eine frühzeitige Therapie zu verpassen, damit die Patienten ihre Berufstätigkeit aufrechterhalten können“, erläuterte Siegmund. „Auch bei langjährigem Morbus Crohn muss die Behandlung bei der Mehrheit der Fälle durch Medikamentenwechsel an Resistenzentwicklungen angepasst werden.“
Bleibt als Fazit: „Die Herausforderung der nächsten Jahre wird es sein, die Sequenz der Medikamente anhand von Klinik, Risikofaktoren, extraintestinalen Manifestationen und hoffentlich irgendwann auch Biomarkern zu steuern“, erklärte Siegmund. „Erst dann können wir vielleicht davon reden, dass die Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen keine medizinische Herausforderung mehr darstellt.“
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Neue Antikörper, neue Inhibitoren – was für die Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen zu erwarten ist - Medscape - 11. Jun 2021.
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