Alkohol und seine Wirkung auf das Gehirn: Einen sicheren Schwellenwert gibt es offenbar nicht

Megan Brooks

Interessenkonflikte

10. Juni 2021

Es gibt offenbar keine sichere Menge an Alkohol für das Gehirn: selbst mäßiger Alkoholkonsum wirkt sich negativ auf die Gehirnstruktur und -funktion aus. Das ergab eine britische Studie mit mehr als 25.000 Erwachsenen.

 
Das ist eine der bisher größten Studien über Alkohol und Hirngesundheit. Dr. Anya Topiwala
 

„Das ist eine der bisher größten Studien über Alkohol und Hirngesundheit“, sagte Dr. Anya Topiwala, Psychiaterin an der University of Oxford, Großbritannien, gegenüber Medscape. „Früher wurde behauptet, dass die Beziehung zwischen Alkohol und Hirngesundheit einer J-Kurve entspricht, d.h. kleine Mengen Alkohol wirken schützend. Wir haben das aber getestet und können nicht bestätigen, dass das wirklich so ist. Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass jede Menge Alkohol im Vergleich zum Nichtkonsum von Alkohol mit einer schlechteren Hirngesundheit verbunden war“, fügte Topiwala hinzu.

Die Studie, die noch kein Peer Review durchlaufen hat, wurde im Mai online veröffentlicht.

Umfassende Auswirkungen auf das Gehirn

Die Forscher nutzten die UK Biobank und bewerteten anhand von strukturellen und funktionellen MRTs die Hirngesundheit bei 25.378 Erwachsenen. Die Teilnehmer machten detaillierte Angaben zu ihrem Alkoholkonsum. Die Kohorte setzte sich zusammen aus:

  • 691 Probanden, die keinen Alkohol konsumierten,

  • 617 ehemaligen Konsumenten und

  • 24.069 Probanden, die aktuell Alkohol tranken.

Der mittlere Alkoholkonsum betrug 13,5 Einheiten (102 g) pro Woche. Fast die Hälfte der Stichprobe (48,2%) trank Mengen, die über den aktuellen britischen Richtlinien für risikoarmen Alkoholkonsum (14 Einheiten, 112 g pro Woche) lagen, aber nur wenige waren starke Trinker (>50 Einheiten, 400 g pro Woche).

 
Wir haben herausgefunden, dass jede Menge Alkohol im Vergleich zum Nichtkonsum von Alkohol mit einer schlechteren Hirngesundheit verbunden war. Dr. Anya Topiwala
 

Nach Adjustierung aller möglichen Störfaktoren war eine höhere Menge an Alkohol, die pro Woche konsumiert wurde, mit einer geringeren Menge grauer Substanz in „fast allen Bereichen des Gehirns“ verbunden, sagte Topiwala gegenüber Medscape.

Der Alkoholkonsum war für bis zu 0,8% der Varianz des Volumens der grauen Substanz verantwortlich. „Die Größe des Effekts ist klein, wenn auch größer als jeder andere modifizierbare Risikofaktor. Solche Veränderungen des Gehirns wurden zuvor mit dem Altern, schlechteren Leistungen bei Gedächtnisveränderungen und mit Demenz in Verbindung gebracht“, sagte Topiwala.

Ausgedehnte negative Assoziationen wurden auch zwischen Alkoholkonsum und der Unversehrtheit der untersuchten weißen Substanz gefunden. Es gab einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Funktionalität der Gehirnareale im Ruhezustand.

Höherer Blutdruck und höherer Body-Mass-Index (BMI) ließen die negativen Assoziationen zwischen Alkohol und Hirngesundheit ansteigen; Trinkgelage wirkten sich über die absolute konsumierte Menge hinaus zusätzlich negativ auf die Gehirnstruktur aus.

Es gab keine Hinweise darauf, dass sich das Risiko für alkoholbedingte Hirnschäden je nach Art des konsumierten Alkohols (Wein, Bier oder Spirituosen) unterscheidet.

Kein sicherer Schwellenwert von Alkohol für das Gehirn

Eine wesentliche Einschränkung der Studie ist, dass die Studienpopulation aus der UK Biobank eine Stichprobe darstellt, die gesünder, besser gebildet und weniger benachteiligt ist und sich durch eine geringere ethnische Vielfalt auszeichnet als die übrige britische Bevölkerung. „Wie bei jeder Beobachtungsstudie können wir nicht von der Assoziation auf die Kausalität schließen“, merken die Autoren an.

Was unklar bleibe, sei die Dauer des Trinkens, die nötig ist, um eine Wirkung auf das Gehirn zu verursachen. Es könnte sein, dass die Anfälligkeit in den Lebensabschnitten erhöht sei, in denen dynamische Veränderungen des Gehirns auftreten, wie z.B. in der Adoleszenz und im höheren Alter.

 
Wie bei jeder Beobachtungsstudie können wir nicht von der Assoziation auf die Kausalität schließen. Dr. Anya Topiwala und Kollegen
 

Sie weisen auch darauf hin, dass einige Studien mit alkoholabhängigen Personen darauf hindeuten, dass zumindest ein Teil der Hirnschäden bei Abstinenz reversibel ist. Ob das auch für mäßige Trinker gilt, ist unbekannt.

Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse gibt es „keinen sicheren Schwellenwert von Alkohol für das Gehirn“, schlussfolgern Topiwala und ihre Kollegen. Sie schlagen vor, dass die aktuellen Richtlinien für risikoarmen Alkoholkonsum überarbeitet werden, um die Auswirkungen auf das Gehirn zu berücksichtigen.

Experten wägen ab

In einer Stellungnahme des UK Science Media Center äußerten sich mehrere Experten zu der Studie.

Dr. Paul Matthews, Leiter der Abteilung für Hirnforschung am Imperial College London, merkte an, dass dieser „sorgfältig durchgeführte vorläufige Bericht unsere frühere Studie des UK Dementia Research Institute mit einer kleineren Gruppe aus derselben UK Biobank-Population erweitert. Diese zeigt ebenfalls, dass selbst mäßiger Alkoholkonsum mit einer größeren Atrophie des Gehirns sowie mit einer Schädigung von Herz und Leber verbunden ist.“

Matthews sagte, dass die Schlussfolgerung der Forscher, dass es keinen sicheren Schwellenwert gibt, unterhalb dessen Alkoholkonsum keine toxische Wirkung hat, „unsere eigene widerspiegelt. Wir schließen uns ihnen an und schlagen vor, dass die aktuellen Richtlinien für die öffentliche Gesundheit in Bezug auf den Alkoholkonsum möglicherweise überdacht werden müssen.“

 
Es gab keinen Schwellenwert, unterhalb dessen Alkoholkonsum keine Veränderungen im Gehirn verursachte. Dr. Rebecca Dewey
 

Dr. Rebecca Dewey, die an der University of Nottingham Neuro-Bildgebung untersucht, warnte, dass „das Ausmaß, in dem sehr kleine Veränderungen des Hirnvolumens schädlich sind“, unbekannt ist.

„Es gab zwar keinen Schwellenwert, unterhalb dessen Alkoholkonsum keine Veränderungen im Gehirn verursachte, aber es kann einen gewissen Unterschied im Volumen geben, der für die Hirngesundheit irrelevant ist. Wir wissen nicht, wie die Gehirne dieser Menschen aussahen, bevor sie Alkohol getrunken haben, also hat das Gehirn vielleicht gelernt, damit umzugehen/zu kompensieren“, sagte Dewey.

Dr. Sadie Boniface, die das Institut für Alkoholforschung am King's College London leitet, sagte: „Wir können zwar noch nicht mit Sicherheit sagen, ob es in Bezug auf die Gesundheit des Gehirns ‚kein sicheres Maß‘ an Alkohol gibt, aber es ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass starker Alkoholkonsum schlecht für die Hirngesundheit ist.“

Boniface weiter: „Wir sollten auch nicht vergessen, dass Alkohol alle Teile des Körpers beeinflusst und dass es mehrere Gesundheitsrisiken gibt. Es ist zum Beispiel bereits bekannt, dass es ‚kein sicheres Maß‘ an Alkoholkonsum für die 7 durch Alkohol verursachten Krebsarten gibt, die von leitenden britischen Medizinern identifiziert wurden.“

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....