Reanimation, Schock, Volumentherapie und Sepsis – was ist wichtig, was ist neu? Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) gaben Notfall- und Intensivmediziner einen Überblick über wichtige Aspekte aus 4 Leitlinien [1].
Kreislaufstillstand: Mühsames Atmen ist kein Atmen
Zuerst ein Blick auf die Reanimationsleitlinien 2021. Viele Patienten weisen vor einem Kreislaufstillstand Warnsymptome auf, darunter Brustschmerzen und (Prä-)Synkopen. Reagieren sie nicht und atmen nicht normal, sollte umgehend mit der kardiopulmonalen Wiederbelebung (CPR) begonnen werden. Auch langsames, bemühtes Atmen („agonales Atmen“) verlangt nach einer CPR.
Zur Reanimation selbst: Sequenzielle Schocks machen nur Sinn, falls ein Herz-Kreislauf-Stillstand beobachtet wird und falls ein Defibrillator ohne Zeitverlust verfügbar ist. Ansonsten rät die Leitlinie zu Einzelschocks.
Ein Point-of-Care Ultraschalldiagnostik sollte nur von qualifizierten Untersuchenden durchgeführt werden und die Reanimation möglichst wenig stören. Zeigt sich dabei eine Dilatation des rechten Ventrikels, beweist dies noch keine Lungenembolie.
Nur bei therapeutischen Eingriffen, etwa vor einer perkutanen Koronarintervention, vor einer Thrombektomie bei einer Lungenembolie oder bei Hypothermie, rät die Leitlinie zur extrakardiopulmonalen Reanimation (eCPR).
Sepsis: Noradrenalin zeitnah einsetzen
Beim Kongress ging es mit der Leitlinie „Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge“ weiter.
Ob man einen FiO2 über oder unter 0,3 anstrebt, macht für den Patienten keinen Unterschied, so die Expertenmeinung. Ziel ist nicht die maximale Sauerstoffsättigung. Haben Ärzte auch Möglichkeiten der Volumentherapie ausgereizt, sollten sie nicht zu lange mit dem Beginn der Katecholamin-Gabe warten.
Auch die frühere oder spätere Einleitung einer Dialyse zeigt keine Effekte auf die Mortalität. Egal ist der Zeitpunkt aber nicht, denn eine frühe Dialyse bringt Nachteile für die Erholung der Niere. Nierenersatztherapien sollten daher nur bei klarer Indikation und nicht als Prophylaxe erfolgen. Die präventive Gabe von Diuretika zum „Anstoßen der Nierenfunktion“ sei tabu, mahnt Dr. Beatrice Kochanek, Gynäkologin aus Köln.
Kardiogener Schock: Katecholamine sparsam einsetzen
Auch die Leitlinie „Infarkt-bedingter kardiogener Schock – Diagnose, Monitoring und Therapie“ liefert viel Wissenswertes.
Nach wie vor gibt es keine Daten, die belegen würden, dass eine Kreislauf-unterstützende Arzneimitteltherapie anhand hämodynamischer Zielkriterien Überlebensvorteile bringt. Die Zielwerte dienen vielmehr dazu, Katecholamine so sparsam wie möglich einzusetzen. „Luxus-Perfusionswerte über 80, 90, 100 mmHg sind nicht anzustreben“, so Prof. Dr. Michael Buerke. Er ist Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin an den Marien-Kliniken Siegen.
Antithrombotische Therapie und Reperfusion
Für die antithrombotische Therapie seien moderne ADP-Antagonisten den älteren Substanzen vorzuziehen, hieß es weiter auf dem Kongress. So zeigte sich bei einer Auswertung des ISAR-SHOCK-Registers, dass Patienten mit kardiogenem Schock, die Prasugrel erhielten, einen Überlebensvorteil gegenüber einer Gruppe mit Clopidogrel hatten – und zwar ohne vermehrte Blutungen. Das Register schließt hochgefährdete Patienten ein. Bei Patienten in weniger kritischem Zustand nach Myokardinfarkt kann es durchaus zu mehr Blutungen unter Prasugrel kommen.
Für die perkutane Koronarintervention ist der radiale Zugang dem femoralen vorzuziehen. Patienten profitieren selbst noch nach 1 Jahr von der niedrigeren Rate an Blutungskomplikationen.
Intraaortale Ballonpumpen wiederum haben keinen signifikanten Überlebensvorteil für Patienten gezeigt. Sie werden in der Leitlinie nicht mehr empfohlen. Das TandemHeart- und das Impella-System konnten im Vergleich zur intraaortalen Ballonpumpe auch keinen Vorteil zeigen. Schaut man sich nun die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) an, hat diese keinen Benefit gegenüber den beiden eben genannten Systemen. Insgesamt ist jedoch zu beachten, dass bei diesen Studien nur Daten von Patienten im zweistelligen Bereich vorliegen.
Noch ein Blick auf Pharmakotherapien. Dobutamin ist das Inotropikum der Wahl. Levosimendan kann hilfreich sein, falls ein Patient auf Dobutamin nicht ausreichend anspricht. Als Vasopressor sollte Noradrenalin eingesetzt werden, da es die Herzfrequenz nicht zu stark hebt und die mesenteriale Durchblutung nicht so stark beeinträchtigt.
Volumentherapie: Wann werden kolloide oder kristalloide Lösungen eingesetzt?
Zuletzt stellten Experten beim DGIM-Kongress wichtige Inhalte der S3-Leitlinie „Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen“ vor.
So sollte der zentralvenöse Druck nicht zur Diagnose eines Volumenmangels herangezogen werden. Geeignet ist das „Passive Leg Raise“-Manöver: Ärzte lagern im 1. Schritt der Oberkörper hoch. Im 2. Schritt wird der Oberkörper tief, die Beine werden aber hochgelagert. Besteht ein Volumenmangel, erhöht sich das Schlagvolumen, welches ebenfalls gemessen werden sollte. Mit dieser einfachen Untersuchung kann man auch einen iatrogenen Volumenüberschuss vermeiden. Bei invasiv beatmeten Patienten und bei Patienten in Bauchlage eignet sich zum Messen des Schlagvolumens die Pulskonturanalyse.
Außerdem rät die Leitlinie, im Vorfeld eines Kaiserschnitts zum Preloading kolloidale Lösungen zu verabreichen. Auch während dem Eingriff kann ein Coloading mit Kolloiden oder Kristalloiden stattfinden. Allerdings gibt es nach wie vor keine Daten zur Unbedenklichkeit für das Kind.
Bei Intensivpatienten eignen sich kristalloide Lösungen ebenfalls, aber keine HES. Gelatine und Humanalbumin sind weitere Optionen; es gibt allerdings nicht genug Daten dafür oder dagegen. Patienten mit Subarachnoidalblutung und bestehendem zerebralen Vasospasmus profitieren auch von Kolloiden, um den Perfusionsdruck aufrecht zu erhalten, allerdings besteht auch hier wenig Evidenz dafür oder dagegen. Balancierte kristalloide oder kolloidale Lösungen sind stets vorzuziehen vor der Kochsalzlösung – diese wird eindeutig nicht empfohlen.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Notfall- und Intensivpatienten gut versorgen: Was gibt es Neues? DIVI-Experten mit dem Wichtigsten aus den Leitlinien - Medscape - 2. Jun 2021.
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