Viel zu früh geboren – später häufiger herzinsuffizient: Mögliche Ursachen und diagnostische Konsequenzen

Dr. Susanna Kramarz 

Interessenkonflikte

28. Mai 2021

Eine Geburt vor dem Ende der 32. Woche erhöht das Risiko, im Erwachsenenalter an einer Herzinsuffizienz zu erkranken, um den Faktor 14, bei einer Geburt vor der 28. Woche um den Faktor 32. Das Risiko ist unabhängig von anderen Entwicklungsstörungen, von angeborenen Herzfehlern oder einer Herzinsuffizienz im Kindesalter. Zu diesen Ergebnissen kommt eine große schwedische Kohortenstudie mit Auswertungen von über 4 Millionen Menschen mit insgesamt über 85 Millionen Lebensjahren über den Zeitraum 1973 bis 2015 [1].

Bei am Termin geborenen Kindern beträgt das kumulative Risiko für eine Herzinsuffizienz innerhalb der ersten Lebenshälfte etwa 0,2%, nach einer Frühgeburt zwischen der 37. und 38. Woche 0,5%. Laut den schwedischen Daten liegt die Rate bei extrem frühgeborenen Kindern (vor dem Ende der 27. Woche) bis zum 43. Lebensjahr bei 1,5%. Dieser Unterschied ist statistisch hochsignifikant.

 
Das Myokard eines extrem Frühgeborenen kann letztlich bis zu 20% weniger Zellen haben als es normal wäre. Prof. Dr. N. Haas
 

Die wesentliche Schwäche der Untersuchung ist, wie die Autoren selbst anmerken, dass über die Daten der Gesundheitsregister Lebensstil-Faktoren wie Über- und Untergewicht, Rauchen oder Alkohol nicht erfasst werden. Außerdem wurden die kardialen Diagnosen nicht echokardiographisch überprüft, eine Differenzierung zwischen Links- und Rechtsherzinsuffizienz fand nicht statt.

Zellteilung wird durch die Geburt gebremst

„Die Daten aus Schweden unterstützen uns dabei, den Fokus auf die kardiale Situation von Frühgeborenen und vor allem der sehr kleinen und sehr früh geborenen Kinder zu legen“, kommentiert Prof. Dr. Nikolaus Haas, Leiter der Abteilung Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin der LMU München und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK). 

Dabei sei die Situation bei denjenigen, die nach Ende der 32. Woche eher unproblematisch. Haas erläutert, warum vor allem die sehr kleinen, vor der 28. Woche geborenen Kinder betroffen sind: „Nach einer Frühgeburt reifen zwar die Organe noch nach. Aber die weitere Teilung der bereits angelegten Zellen in den Organen verläuft offensichtlich verlangsamt und erreicht nach der verfrühten Geburt nicht mehr die Effizienz wie beim Feten in utero. Das Myokard eines extrem Frühgeborenen kann letztlich bis zu 20% weniger Zellen haben als es normal wäre. Und jede einzelne Zelle hat dann in der weiteren Entwicklung nur ein begrenztes Wachstumspotential.“

Das erkläre, warum die Herzen von ehemals frühgeborenen Erwachsenen in aller Regel etwas kleiner bleiben. „Die Leistungsfähigkeit des Myokards ist dadurch für das gesamte Leben eingeschränkt. Auch die Lungen, die Blutgefäße und die Nieren haben dieselben Wachstums- und Entwicklungsprobleme nach sehr frühen Frühgeburten“, so Haas. Die Wechselwirkungen zwischen der Lunge und dem rechten Herzen sowie einer zu kleinen Niere und einem Bluthochdruck, der sich letztendlich auf die Linksherzfunktion auswirken kann, tragen zu diesem Geschehen bei.

Verstärkte Rechts- und Linksherzbelastung

Für das Herzinsuffizienz-Risiko nach einer Frühgeburt gibt es, so der Kinderkardiologie, zudem mehrere weitere Erklärungsmuster. So führe die bronchopulmonale Dysplasie, die bei extrem kleinen Frühgeborenen häufig hinzukommen kann, in sehr vielen Fällen auch nach der ersten intensiven neonatologischen Phase zu einer dauerhaften Einschränkung der Lungenfunktion. Dies könne in einen persistierenden pulmonalen Hochdruck und eine dauerhafte Rechtsherzbelastung münden.

Die Linksherzbelastung könne durch 2 weitere Faktoren zunehmen: So würden auch die Gefäß-Endothelien durch die Frühgeburt in ihrer Entwicklung aufgehalten und büßten langfristig an Kontraktilität ein. Das könne das Risiko für eine früh einsetzende Hypertonie erhöhen. Verstärkt werde dieses Risiko durch die Entwicklungsstörung der Nieren, die nach sehr frühen Frühgeburten ebenfalls häufig zu klein bleiben, was die Entwicklung eines renalen Hypertonus erhöhen kann.

 
Es liegen mehrere Faktoren vor, die die Entwicklung einer Herzinsuffizienz in einem frühen Erwachsenenalter begünstigen können. Prof. Dr. N. Haas
 

„Es liegen somit mehrere Faktoren vor, die die Entwicklung einer Herzinsuffizienz in einem frühen Erwachsenenalter begünstigen können“, so Haas. „Es ist also gut erklärlich, dass die Gefahr für eine Herzinsuffizienz bei Erwachsenen, die als sehr frühe Frühgeborene zur Welt kamen, nach den schwedischen Daten fast um den Faktor 20 erhöht ist.“

Kardiale Früherkennung in die Routine einbauen

Prof. Dr. Mandy Brown Belfort, Neonatologin am Brigham Hospital, Harvard Medical School, Boston, USA, schlägt in ihrem Herausgeberkommentar (2) zu der JAMA-Publikation vor, die kardiale Situation bereits in der Neonatologie mit MRT-Untersuchungen abzuklären und fordert ein erweitertes kardiales Monitoring für ehemals Frühgeborene [2].

 
Wir sprechen trotz allem nur von einem Risiko von 1,5%, also von sehr niedrigen Zahlen. Prof. Dr. N. Haas
 

Diesen Ansatz sieht der DGPK-Präsident eher gelassen: „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Wir sprechen trotz allem nur von einem Risiko von 1,5%, also von sehr niedrigen Zahlen, und man muss deswegen sicher kein neues Screeningformat entwickeln außer den gängigen Parametern wie Blutdruckmessen und Echokardiographie“, zumal Lifestyle-Faktoren wie Rauchen, Diabetes, Körpergewicht und eine möglicherweise belastende Familienanamnese im Design der Kohortenstudie nicht erfasst werden konnten.

Als Konsequenz sei z.B. denkbar, dass bei den vielen regelmäßigen Gesundheitskontrollen, die bei ehemals Frühgeborenen ohnehin durchgeführt werden, zusätzlich auch die kardiale Situation kontrolliert werde. „Bisher sieht man vor allem auf die kognitive Entwicklung, das Seh- und Hörvermögen, die Motorik, die Lungenfunktion und eventuelle Spätfolgen von enteralen Komplikationen. Erste moderate Erhöhungen des systolischen und auch isoliert des diastolischen Blutdrucks oder eine Verschlechterung der körperlichen Belastbarkeit könnten hier mit geringem Aufwand gute Hinweise darauf geben, eine beginnende renale und kardiale Insuffizienz in Betracht zu ziehen.“
 

Kommentar

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