Wer sich stärker an Prinzipien der mediterranen Ernährung orientiert, kann möglicherweise sein individuelles Risiko für eine Alzheimer-Demenz senken. Das berichten Wissenschaftler um Prof. Dr. Michael Wagner vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Neurology [1].
Sie haben 521 Probanden im Alter von durchschnittlich 70 Jahren nach ihrer Ernährung befragt und Gehirnvolumina, kognitive Fähigkeiten und Alzheimer-Biomarker im Liquor gemessen. Dabei zeigte sich, dass mediterrane Kost mit mehr grauer Substanz in Hirnbereichen wie dem Hippocampus assoziiert war. Auch die Erinnerung funktionierte besser als bei Probanden, die weniger Mittelmeerkost verzehrten. Und Biomarker im Nervenwasser, die auf pathologische Amyloid-Plaques und sich anreichernde Tau-Proteine hinweisen können, waren bei Personen mit mediterraner Ernährung ebenfalls weniger stark ausgeprägt.
„Mehrere Umbrella-Reviews zeigen bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Mittelmeerdiät das Risiko für Alzheimer senken kann“, erklärt Prof. Dr. Gunter P. Eckert von der Justus-Liebig-Universität Gießen im Gespräch mit Medscape. Das könne man nun auch in einer deutschen Population sehen.
Probanden mit unterschiedlich hohem Alzheimer-Risiko rekrutiert
In ihre Studie nahmen Wagner und Kollegen 169 kognitiv Gesunde sowie Personen mit erhöhtem Alzheimer-Risiko auf. Darunter waren enge Verwandte von bereits Erkrankten, Menschen mit subjektiven kognitiven Einschränkungen, die in Tests aber noch unauffällige Werte erreichten, sowie Menschen mit milden kognitiven Einschränkungen. Ein Teil der Probanden rekrutierte sich aus der laufenden DELCODE-Studie des DZNE mit zirka 1.000 Patienten im Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung.
Bei allen Teilnehmern wurde per MRT-Gehirnscan das Hirnvolumen berechnet, und alle Personen unterzogen sich neuropsychologischen Tests. 226 Probanden stimmten auch einer Entnahme von Liquor zu, so dass bei ihnen die Biomarker Aß 42/40 und pTau 181 bestimmt werden konnten. Die Moleküle sollen pathologische Veränderungen frühzeitig anzeigen.
Bekanntlich finden sich im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten typische Ablagerungen von ß-Amyloid, sogenannte Plaques, und Tau-Proteine verkleben das Innere von Nervenzellen. Auch das Hirnvolumen nimmt ab.
Punkte für gesunde Lebensmittelgruppen
Um einen Score für die Mittelmeerdiät zu errechnen, vergaben die Wissenschaftler Punkte für 9 Lebensmittelgruppen. Fisch, Gemüse, Früchte und Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide sowie ein gutes Verhältnis von einfach ungesättigten zu gesättigten Fettsäuren wurde jeweils mit 1 Punkt bewertet, falls der Verzehr über dem Mittelwert der Gruppe lag. Der Fleisch- und Milchprodukte-Konsum musste hingegen unter bestimmten Grenzen liegen, um den Score zu erhöhen. Auch mäßiger Alkoholkonsum zählte im Sinne der Mittelmeerkost als Score-Punkt.
Teilnehmer konnten bis zu 9 Ernährungspunkte erreichen – nicht nach festen Zielwerten, sondern im Vergleich zur gesamten Gruppe. Die Annahme der Autoren: Ältere Menschen sind in ihrer Ernährung relativ konstant, so dass auch die einmalige Abfrage Rückschlüsse über die Ernährung der Vergangenheit ermöglicht. „Die meisten Menschen in Deutschland ernähren sich nicht besonders mediterran“, kommentiert Eckert.
Pro zusätzlichem Punkt im Ernährungsscore wird das Gehirn quasi etwas jünger. Fast 1 Jahr könnte man beim Hirnvolumen im Hippocampus gewinnen, wo sich Veränderungen durch die Alzheimer-Erkrankung als erstes zeigen. Die Erinnerung ist ebenfalls so gut als wäre man 1 Jahr jünger.
Eckert hält allerdings nicht allzu viel von solchen Kalkulationen. „Das ist eine rein statistische Berechnung, und sowas kann man eigentlich auch nur in klinischen Studien machen“, meint der Ernährungsforscher. Er zweifelt an der Aussagekraft solcher Zahlen für einzelne Menschen.
Mittelmeerkost oder gesunde Ernährung?
Zudem stellt Eckert klar, dass es sich bei der Mittelmeerkost um eine schwer zu definierende Ernährungsform handele. „Die mediterrane Diät ist ein Kunstprodukt, die Menschen im Mittelmeerraum ernähren sich sehr unterschiedlich, und heutzutage auch nicht mehr wirklich gesund.“
Deshalb hält es der Ernährungsforscher durchaus für möglich, dass eine nicht mittelmeertypische gesunde Ernährung, wie sie etwa durch Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung definiert wird, präventiv wirksam sein könnte. Auch die Studienautoren nennen Belege. Ohnehin, sagt Eckert, deute vieles darauf hin, dass ein multifaktorieller Ansatz am wirksamsten bei der Vorbeugung von Alzheimer sei. „Bewegung und kognitive Anregung gehören ebenfalls dazu.“
Follow-Up in 4 bis 5 Jahren
Biologische Mechanismen, die Ernährung und die Alzheimer in Verbindung bringen, sind bislang unbekannt. Erstautor Dr. Tommaso Ballarini vom DZNE und seine Kollegen vermuten, dass gesunde Ernährung in der Lage ist, mögliche Trigger der pathologischen Ereignisse zu beeinflussen. Als Beispiele nennen sie Entzündungsprozesse und oxidativen Stress. Auf diesem Weg könnte eine mediterrane Ernährung zum Erhalt der Gehirnfunktionen beitragen.
Die Autoren planen, ihre Studienteilnehmer in 4 bis 5 Jahren erneut zu untersuchen, um festzustellen, wie sich die Mittelmeerkost auf die Entwicklung der in der aktuellen Studie betrachteten Marker auswirkt.
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Diesen Artikel so zitieren: Speiseplan gegen Demenz: Wie Ernährung das Alzheimer-Risiko beeinflussen kann – mit und auch ohne Mittelmeerdiät - Medscape - 28. Mai 2021.
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