EMA: 8 Zulassungen inklusive Gentherapie und neuer Herzinsuffizienz-Arznei und eine Empfehlung zu Antikörpern bei COVID-19

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

21. Mai 2021

8 Empfehlungen für Neuzulassungen, darunter 3 Orphan Drugs und 1 Generikum: Dies ist das Ergebnis der Sitzung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA im Mai 2021 [1]. Der CHMP hat auch 2 Therapien bei COVID-19 bewertet. Die Details:

Skysona®: Erste Gentherapie bei seltener neurologischer Erkrankung

Der Ausschuss empfiehlt die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Skysona® (Elivaldogene Autotemcel) zur Behandlung der frühen zerebralen Adrenoleukodystrophie (cerebral adrenoleukodystrophy, CALD).

CALD ist die häufigste Form der Adrenoleukodystrophie (ALD), einer seltenen Krankheit, die etwa eines von 21.000 männlichen Neugeborenen betrifft. Sie wird durch Mutationen im Gen ABCD1 verursacht, welches für ein Proteins namens ALDP (Adrenoleukodystrophie-Protein) codiert. Patienten mit dieser Krankheit fehlt ALDP, das benötigt wird, um sehr langkettigen Fettsäuren (VLCFA) abzubauen. Ohne das Protein reichern sich VLCFA an, was zu Entzündungen und zur Zerstörung der Myelinscheide von Nervenzellen führt.

Unbehandelt stirbt fast die Hälfte aller Patienten mit CALD innerhalb von 5 Jahren nach Auftreten erster Symptome. Derzeit gibt es kein Medikament, das für die Behandlung dieser Krankheit zugelassen ist. Die einzige therapeutische Maßnahme, die Ärzten zur Verfügung steht, ist die Transplantation von Stammzellen eines Spenders. Dieses Verfahren birgt potenziell hohe Risiken.

Skysona® besteht aus unreifen Knochenmarkzellen, die dem Patienten entnommen werden. Seine Zellen werden dann mit einem Lentivirus, das eine funktionale Kopie des Gens ABCD1 enthält, modifiziert. Nach der intravenösen Gabe der Stammzellen sollen daraus unterschiedliche Zelltypen entstehen, auch Neuronen im Gehirn, welche das ALDP-Protein herstellen. Patienten erhalten die Behandlung mit Skysona® einmalig in spezialisierten Behandlungszentren.

Die Empfehlung der EMA für eine Marktzulassung basiert auf Ergebnissen einer einarmigen klinischen Studie, in die 32 männliche Patienten mit CALD im Alter von 17 Jahren oder jünger aufgenommen worden waren. Die Ergebnisse wurden mit Daten einer Studie verglichen, in der 59 Patienten eine Stammzelltransplantation erhielten (entweder von einem passenden Geschwisterspender oder einem passenden Nicht-Geschwisterspender). Alle Patienten der klinischen Hauptstudie wurden in eine Langzeit-Follow-up-Studie eingeschlossen.

Eine Analyse, die 24 Monate nach der Therapie bei 30 Probanden der Studie durchgeführt wurde, kam zu dem Schluss, dass bei 27 von ihnen (90%) die motorischen Funktionen und die Kommunikationsfähigkeit erhalten werden konnte. Auch das Überleben hat sich im Vergleich zu unbehandelten Patienten in einem frühen Stadium der zerebralen Erkrankung verbessert.

Die schwerste Nebenwirkungen in klinischen Studien mit Skysona® waren Panzytopenien. Über langfristige Folgen ist nichts bekannt. Das Hinzufügen eines neuen Gens in Stammzellen könnte theoretisch Leukämien auslösen. Dies wurde während der klinischen Studie nicht beobachtet, aber nach der Behandlung werden die Patienten mit Bluttests überwacht.

Zusätzliche Langzeitdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit werden durch eine laufende Studie und ein Langzeitregister gesammelt. Alle Ergebnisse müssen in die Sicherheitsberichte nach der Markteinführung einfließen, die von der EMA kontinuierlich überprüft werden.

Bylvay® (Odevixibat): Erste Therapie einer seltenen Lebererkrankung

Grünes Licht gab der Ausschuss ebenfalls für Bylvay® (Odevixibat) zur Behandlung der progressiven familiären intrahepatischen Cholestase (PFIC) bei Patienten ab 6 Monaten.

PFIC ist eine seltene, lebensbedrohliche Lebererkrankung. Es kommt zur Ansammlung von Galle in Leberzellen. Die Symptome entwickeln sich typischerweise im Säuglingsalter, meist in den ersten Lebensmonaten. Nur etwa die Hälfte der betroffenen Kinder erreicht ein Alter von 10 Jahren.

Starker Juckreiz (Pruritus) ist bei Kindern, bei denen PFIC diagnostiziert wurde, häufig. Dies kann zu teilweise schweren Kratzverletzungen, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Aufmerksamkeitsstörungen führen. Es besteht ein hoher ungedeckter Bedarf für diese Patienten, deren Behandlungsmöglichkeiten auf chirurgische Eingriffe und symptomatische Off-Label-Therapien beschränkt sind. Unbehandelt entwickeln viele PFIC-Patienten eine Lebererkrankung im Endstadium und benötigen eine Lebertransplantation.

Der Wirkstoff von Bylvay® ist Odevixibat, ein reversibler, potenter, selektiver Inhibitor des Transportproteins IBAT, der lokal im distalen Ileum wirkt, die Wiederaufnahme von Gallensäuren reduziert und die Clearance von Gallensäuren durch den Dickdarm erhöht.

Grundlage der Zulassungsempfehlung ist eine doppelblinde, randomisierte, placebo-kontrollierte Phase-3-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Bylvay® bei Kindern mit PFIC untersucht worden ist. Die Ergebnisse zeigen eine signifikante Reduktion der Serum-Gallensäuren bei gleichzeitiger signifikanter Reduktion des Juckreizes unter Verum. Diese Ergebnisse wurden in einer laufenden, langfristigen Open-Label-Follow-up-Studie bestätigt.

Hepatische Parameter und Fibrose-Scores verbesserten sich oder waren über die Dauer der Studie (max. 72 Wochen) stabil. Es werden jedoch weitere Daten benötigt, um festzustellen, ob Odevixibat auch das Fortschreiten der Erkrankung und die Notwendigkeit einer Lebertransplantation verzögern kann. Der CHMP fordert daher eine registerbasierte Wirksamkeitsstudie als Follow-up.

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Durchfall, Bauchschmerzen, hämorrhagische Diarrhöe, weicher Stuhl und Hepatomegalie.

Da es sich bei PFIC um eine sehr seltene Erkrankung handelt, stimmte der CHMP zu, dass es nicht möglich ist, umfassende Daten zur Wirksamkeit unter normalen Anwendungsbedingungen vorzulegen. Daher empfahl der Ausschuss, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen unter außergewöhnlichen Umständen zu erteilen, und forderte den Antragsteller auf, eine registergestützte Studie zur weiteren Charakterisierung der Wirksamkeit von Bylvay® bei Patienten im Alter von 6 Jahren oder älter durchzuführen.

Imcivree® (Setmelanotid) bei Adipositas mit Gendefekt

Der Ausschuss hat zudem Imcivree® (Setmelanotid) bei Patienten mit starkem Übergewicht und genetischen Defekten des Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R)-Signalwegs positiv bewertet.

Bei Setmelanotid handelt es sich um ein zyklisches 8-Aminosäure-Peptid-Analogon des natürlich vorkommenden alpha-Melanozyten-stimulierenden Hormons (a-MSH). Setmelanotid wirkt als selektiver MC4-Rezeptor-Agonist und soll die Aktivität des MC4-Rezeptor-Signalwegs wiederherstellen, um das Hungergefühl zu reduzieren und die Gewichtsabnahme zu fördern.

Die Vorteile von Imcivree® liegen in der Fähigkeit, einen Gewichtsverlust von 10% oder mehr innerhalb eines Jahres sowie eine klinisch bedeutsame Verbesserung der Hungerbewältigung zu erreichen. Zielgruppe sind Patienten mit Adipositas mit Pro-Opiomelanocortin-Mangel (POMC) oder mit Leptinrezeptor-Mangel (LEPR). Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hyperpigmentierung, Reaktionen an der Injektionsstelle, Übelkeit und Kopfschmerzen.

Klisyri® (Tirbanibulinmesylat) bei aktinischer Keratose

Außerdem wurde Klisyri® (Tirbanibulinmesylat) zur Behandlung von Patienten mit nicht-hyperkeratotischer, nicht-hypertropher aktinischer Keratose bewertet. Der Ausschuss befürwortet auch hier eine Zulassung.

Tirbanibulinmesilat gehört zur pharmakotherapeutischen Gruppe der Antibiotika und Chemotherapeutika zur dermatologischen Anwendung. Es wirkt durch direkte Bindung an Tubulin, was einen Zellzyklus-Stillstand und den apoptotischen Tod proliferierender Zellen auslöst.

Die Vorteile von Klisyri® sind höhere vollständige und partielle Abheilungsraten von Läsionen im Gesicht und auf der Kopfhaut bei mit Klisyri® behandelten Patienten im Vergleich zu wirkstofffreien Trägersystemen, wie in 2 zulassungsrelevanten randomisierten, doppelblinden, Vehikel-kontrollierten Phase-3-Studien beobachtet wurde. Die häufigsten Nebenwirkungen sind lokale Hautreaktionen an der Applikationsstelle einschließlich Erythem, Schuppung, Krustenbildung, Schwellung und Erosion/Ulzeration.

Ozawade® (Pitolisant) bei Schlafapnoe

Der CHMP gab auch eine positive Stellungnahme zu Ozawade® (Pitolisant) für die Behandlung von exzessiver Tagesschläfrigkeit bei obstruktiver Schlafapnoe ab.

Pitolisant ist ein H3-Rezeptor-Antagonist/inverser Agonist, der die Aktivität der histaminergen Neuronen im Gehirn steigert. Der Nutzen von Ozawade® liegt in seiner Fähigkeit, die Wachheit bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe zu verbessern. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit.

Ryego® (Relugolix / Estradiol / Norethisteronacetat) bei Uterusmyomen

Der Ausschuss veröffentlichte zudem eine positive Stellungnahme für Ryego® (Relugolix / Estradiol / Norethisteronacetat) zur Behandlung der Symptome von Uterusmyomen bei erwachsenen Frauen im gebärfähigen Alter.

Relugolix verringert die Freisetzung von luteinisierendem Hormon (LH) und follikel-stimulierendem Hormon (FSH) durch seine Wirkung an GnRH-Rezeptoren. Die Gabe zusammen mit Estradiol lindert Symptome, die mit einem hypoöstrogenen Zustand verbunden sind, wie vasomotorische Symptome und mindert den Verlust der Knochenmineraldichte. Die Zugabe eines Gestagens wiederum verringert das östrogen-bedingte Risiko einer Endometrium-Hyperplasie bei nicht hysterektomierten Frauen.

Ryeqo® verringert starke Menstruationsblutungen im Zusammenhang mit Uterusmyomen. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hitzewallungen und Uterusblutungen.

Verquvo® (Vericiguat) bei Herzinsuffizienz

Vom Ausschuss wurde zudem Verquvo® (Vericiguat) zur Behandlung der symptomatischen chronischen Herzinsuffizienz bei erwachsenen Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion positiv bewertet.

Vericiguat stimuliert die lösliche Guanylatzyklase (sGC), unabhängig von und synergistisch mit Stickstoffmonoxid (NO), um den Gehalt an intrazellulärem cGMP zu erhöhen. Dies führt zu einer Entspannung der glatten Muskulatur und einer Vasodilatation, die sowohl die Myokard- als auch die Gefäßfunktion verbessern kann.

Verquvo® kann das Risiko eines kardiovaskulären Todes oder einer Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurffraktion verringern. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hypotonie, Schwindel, Übelkeit, Dyspepsie und gastroösophagealer Reflux.

Generikum: Icatibant Accord® (Icatibant) beim hereditären Angioödem

Der CHMP empfahl außerdem die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen des Generikums Icatibant Accord (Icatibant) zur Behandlung von akuten Attacken des hereditären Angioödems.

Icatibant wirkt der gefäßerweiternden Wirkung von überschüssigem Bradykinin entgegen und blockiert die Ödembildung. Das Originalpräparat Firazyr® wurde am 11. Juli 2008 in der EU zugelassen.

COVID-19: Bedingte Zulassung für Veklury® verlängert

Der CHMP hat empfohlen, die bedingte Zulassung für Veklury® (Remdesivir), das einzige zugelassene antivirale Mittel gegen COVID-19, zu verlängern. Es ist für die Anwendung bei Patienten (12 Jahre und älter) mit Lungenentzündung zugelassen, die zusätzlichen Sauerstoff benötigen (Low- oder High-Flow-Sauerstoff oder andere nicht-invasive Beatmung zu Beginn der Behandlung).

Die Zulassung wurde unter der Bedingung erteilt, dass das Unternehmen zusätzliche Informationen zur Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels gemäß einem mit dem CHMP vereinbarten Zeitplan vorlegt. Nach der Bewertung der neuen Informationen kam der Ausschuss zu dem Schluss, dass der Nutzen von Veklury® weiterhin die Risiken überwiegt und dass die bedingte Zulassung erneuert werden sollte. Einige Daten stehen noch aus und müssen bis Ende des Jahres für die nächste geplante Verlängerung eingereicht werden.

COVID-19: Beratung über Sotrovimab® (VIR-7831)

Der Ausschuss hat seine Überprüfung des monoklonalen Antikörpers Sotrovimab (auch bekannt als VIR-7831) zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 abgeschlossen. Dieses Prozedere wurde durchgeführt, um ein harmonisiertes, wissenschaftliches Gutachten auf EU-Ebene zu erstellen, das die nationale Entscheidungsfindung über den möglichen Einsatz des Antikörpers vor der Marktzulassung unterstützt.

Sotrovimab lagert sich an das Spike-Protein von SARS-CoV-2 an und verringert die Möglichkeit des Virus, Zellen zu infizierten.

Die Agentur kam zu dem Schluss, dass Sotrovimab zur Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen (ab 12 Jahren und einem Gewicht von mindestens 40 kg) angewendet werden kann, die keine zusätzliche Sauerstofftherapie benötigen und bei denen das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 besteht.

Die EMA gab diese Empfehlungen nach Prüfung von Daten einer Studie zu den Auswirkungen von Sotrovimab bei erwachsenen ambulanten Patienten mit leichten COVID-19-Symptomen, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Eine geplante Zwischenanalyse dieser Studie zeigte, dass Sotrovimab das Risiko einer Hospitalisierung (länger als 24 Stunden) oder eines Todesfalls im Vergleich zu Placebo um 85% reduzierte: Hospitalisierung oder Tod trat bei 1% (3 von 291) der Patienten auf, die Sotrovimab erhielten, und bei 7% (21 von 292) derjenigen, die Placebo erhielten.

Was die Sicherheit betrifft, so waren die meisten gemeldeten Nebenwirkungen leicht oder moderat. Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion (einschließlich allergischer Reaktionen) können nicht ausgeschlossen werden, und das medizinische Fachpersonal sollte die Patienten auf diese Reaktionen hin überwachen.

Die Empfehlung der EMA kann nun als Basis für nationale Entscheidungen zum möglichen Einsatz dieses monoklonalen Antikörpers dienen, bevor eine Marktzulassung erteilt wird.

Während die aktuelle Bewertung abgeschlossen ist, läuft eine rollierende Überprüfung von Sotrovimab, die am 7. Mai begonnen hat. Sobald sie abgeschlossen ist, wird die rollierende Überprüfung die Grundlage für einen EU-Zulassungsantrag für dieses Medikament bilden.

Erweiterung bestehender Zulassungen

Der Ausschuss empfahl zusätzlich Erweiterungen bestehender Zulassungen für eine Vielzahl von Medikamenten: Blincyto (Blinatumomab, bei CD19-positiver B-Zell-Vorläufer ALL), Eucreas® (Vildagliptin, bei Diabetes mellitus), Evotaz® (Atazanavir und Cobicistat, bei HIV-1-Infektionen), Galvus® (Vildagliptin, bei Diabetes mellitus), Icandra® (Vildagliptin und Metformin, bei Diabetes mellitus), Jalra® (Vildagliptin, bei Diabetes mellitus), Jardiance® (Empagliflozin, bei Diabetes mellitus), Keytruda® (Pembrolizumab, bei verschiedenen Tumoren), Opdivo® (Nivolumab,bei verschiedenen Tumoren), Spherox® (Präparation von Chondrozyten bei Gelenkverletzungen), Xiliarx® (Vildagliptin, bei Diabetes mellitus), Yervoy® (Ipilimumab, bei Melanomen), Zomarist® ® (Vildagliptin und Metformin, bei Diabetes mellitus), Libtayo® (Cemiplimab), bei Plattenepithelkarzinomen) und Darzalex® (Daratumumab, bei malignen hämatologischen Erkrankungen).

 

Kommentar

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