Schwangere wollen möglichst große Sicherheit bei der Geburt – ein Tool hilft, die geeignete Klinik zu finden

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

19. Mai 2021

In welchem Krankenhaus soll unser Kind zur Welt kommen? Das überlegen sich in Deutschland pro Jahr rund 780.000 werdende Eltern. Um ihnen die bisher schwierige Suche zu erleichtern, haben Wissenschaftsjournalisten vom Science Media Center (SMC) einen „Kreißsaal-Navigator“ entwickelt, zusammengestellt aus den gesetzlichen Qualitätsberichten und Daten einer Online-Recherche.

In Deutschland werden nahezu alle Kinder im Krankenhaus geboren, wie aus dem Recherchedossier von SMC hervorgeht [1]. Wichtigster Grund für die Wahl dieses Geburtsorts sei der Wunsch nach schneller Hilfe im Notfall. Das hatten fast 90% von rund 1.800 Müttern bei einer Befragung im Jahr 2019 angegeben. Ungefähr die Hälfte hatte Wert darauf gelegt, dass eine Kinderklinik vorhanden war, und mehr als ein Drittel wollte den Anschluss an eine Intensivstation für Neugeborene.

Neben leichter Erreichbarkeit ist den Frauen eine gute Betreuung wichtig, zum Beispiel würden sie gern während der gesamten Entbindung von ein und derselben Hebamme unterstützt werden. Weiterhin hoch im Kurs: freundliche Atmosphäre und Stillberatung auf der Wöchnerinnenstation.

Qualitätsberichte sind nicht für Laien gedacht

Doch wie herausfinden, ob eine Geburtsklinik diese Ansprüche erfüllt? Mühsam gestaltet sich das zumal jetzt, da während der Corona-Pandemie Kreißsaal-Führungen ausgesetzt sind. Quellen wie die Qualitätsberichte, die Strukturabfrage des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen IQTIG oder die Weisse Liste sind für Laien schwer auffindbar, oft unverständlich und teilweise lückenhaft. Fachleute zweifeln überdies an der Verlässlichkeit der Angaben, da sie meist von den Krankenhäusern selbst stammen und deshalb geschönt sein könnten. Ähnliches gilt für die Homepages, wo Kliniken naturgemäß nur ihre Stärken, nicht die Schwächen präsentieren.

Als Service für werdende Eltern hat SMC daher einen Kreißsaal-Navigator erarbeitet. Bestückt wurde das Tool einerseits mit Daten von IQTIG und den Qualitätsberichten aller 649 Geburtskliniken in Deutschland. 4 Indikatoren gelten als entscheidend:

  • Vorbeugung von Infektionen: Kurz vor oder kurz nach einem Kaiserschnitt soll die Mutter ein Antibiotikum erhalten. Diese Prophylaxe wurde in allen Kliniken praktiziert.

  • Schnelle Reaktion im Notfall: Zwischen der Entscheidung, einen Kaiserschnitt vorzunehmen, und der Geburt dürfen höchstens 20 Minuten liegen. Diese Bedingung erfüllten 98% der Kliniken.

  • Verhältnis der beobachteten zur erwarteten Rate an Kaiserschnitten (risikoadjustiert): Die erwartete Zahl wird auf Basis gut erforschter Risikofaktoren berechnet, wie Alter und Erkrankungen der Schwangeren oder Lage des Kindes. Hier sind Qualitätsmängel am häufigsten: 25 Kliniken wurden „auffällig“.

  • Kritisches Outcome bei Reifgeborenen (risikoadjustiert): Dieser Index zählt Kinder, die nach der Geburt verstorben oder in kritischem Zustand sind, ebenfalls unter Berücksichtigung von Risiken bei Mutter und Kind. 13 Kliniken wurden den Vorgaben nicht gerecht.

Recherche zu Aspekten, die für Eltern wichtig sind

Die 2. Datenquelle für das Navi war eine eigene Online-Recherche mit einem Fragebogen, den SMC zusammen mit Fachärzten für Gynäkologie und Geburtshilfe und Mitgliedern der Bundesfachgruppe Perinatalmedizin verfasst hatte. Leitidee: Wonach sollten sich Eltern erkundigen, wenn ihnen an möglichst großer Sicherheit für Mutter und Kind gelegen ist? Die wichtigsten Kriterien:

  • Sind ständig ausreichend Hebammen anwesend?

Die S3-Leitlinie der Fachgesellschaften empfiehlt eine Hebamme pro Gebärende. Denn mit dieser Eins-zu-Eins-Betreuung kommt es Studien zufolge seltener zu Kaiserschnitten, höhergradigen Dammrissen und Einsatz von Wehenmitteln. Nach der IGES-Umfrage unter rund 2.100 Klinik-Hebammen jedoch betreuen gerade 2% nur eine Frau während der gesamten Geburt, fast die Hälfte betreut gleichzeitig 3 Frauen.

  • Sind durchgehend Fachärzten für Geburtshilfe, für Anästhesie und für Pädiatrie anwesend?

Relevant ist das zum Beispiel für einen (Not-)Kaiserschnitt oder eine Periduralanästhesie gegen Geburtsschmerzen. Für viele Kliniken bestehen hierfür keine Vorschriften.

  • Wie häufig sind Interventionen wie Kaiser- oder Dammschnitt, Zangen- oder Saugglockengeburt?

Ein besonderes Augenmerk verdient nach Ansicht von SMC die risikoadjustierte Kaiserschnittrate. Denn bei allen Kliniken, die hier über der Toleranzgrenze liegen, wurden Qualitätsprobleme festgestellt. Mögliche Ursachen: Arbeitsprozesse laufen falsch, es fehlen Hebammen, oder eine Klinik beschäftigt nur zeitweise verfügbare Belegärzte, weshalb der besseren Planbarkeit wegen eine Sectio erfolgt. Wie SMC erläutert, werden in kleinen Kliniken mit jährlich unter 500 Geburten deutlich häufiger Kaiserschnitte gemacht als in großen Häusern mit über 1.500 Geburten. Als Erklärung wird mangelnde Erfahrung der Ärzte vermutet: Aus Furcht vor Komplikationen brechen sie eine vaginale Geburt rascher ab.

  • Welchem der 4 Level gehört eine Klinik an?

Level-I-Perinatalzentren sind auch für risikoreiche Geburten ausgestattet, etwa mit einer Intensivstation für Neugeborene oder für sehr frühe Frühgeborene ab Beginn der Lebensfähigkeit in der 23. Schwangerschaftswoche (SSW). Rund um die Uhr müssen Hebammen, Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe, Anästhesie und Kinderheilkunde anwesend sein.

Für Level II gilt Ähnliches, außer dass erst etwas reifere Frühgeborene – nach der 29. SSW – behandelt werden dürfen.

Für Level-III-Zentren oder Kliniken mit „perinatalem Schwerpunkt“ ist eine Kinderklinik verbindlich, wenn auch eventuell nur in Kooperation mit anderen Häusern. Weiterhin Pflicht: Überweisung von Frühgeborenen vor der 32. SSW in eine höhergestufte Klinik und Anwesenheit eines Pädiaters rund um die Uhr. Für Hebammen und Frauenärzte sind jedoch Rufdienste zulässig.

Für Level-IV-Kliniken gibt es kaum gesetzliche Regelungen. Weder Hebammen noch Fachärzte müssen permanent präsent sein. Eine Kinderklinik ist nicht erforderlich – ein Nachteil, denn rund 11% aller Neugeborenen müssen in eine Kinderklinik verlegt werden, im Jahr 2019 nach IQTIG-Angaben mehr als 85.000.

351 Kliniken beantworteten die Umfrage – also nur etwas mehr als die Hälfte

Diese Aspekte flossen in den Fragenkatalog ein: Sind rund um die Uhr ein Kinderarzt, ein Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, ein Facharzt für Anästhesie im Haus? Wie viele Geburten gab es 2019 in ihrer Klinik? Wie viele Hebammen und Entbindungshelfer betreuten 2019 die Gesamtzahl an Geburten? Wie viele sind für Früh-, Spät- und Nachtschicht eingeplant? Wird der Kreißsaal von Hebammen geleitet? Gibt es ausgebildete Stillberaterinnen?

12 Regionalmedien, mit denen SMC einen Verbund gebildet hatte, schickten diese Liste online an alle Geburtskliniken Deutschlands mit der Bitte um Auskunft. Von Dezember 2020 bis März 2021 antworteten 351 (54%), wobei die Rücklaufquote aus Bayern (30%) und von Level-IV-Kliniken am niedrigsten war. Trotz umfassender Recherche seien zu einer großen Zahl von Kliniken keine sicheren Aussagen möglich, bedauert SMC. Dies unterstreiche den Mangel an Transparenz.

Wenige, dafür hochwertige Geburtskliniken im Osten

Erkenntnisse gab es trotzdem, etwa dass starke Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen. So liegt der Anteil von Level-IV-Kliniken in den alten Bundesländern häufig nahe 50% und darüber, in Mecklenburg-Vorpommern jedoch bei nur knapp 7% Prozent. Weiterhin waren in Rheinland-Pfalz in etwas mehr als der Hälfte aller Geburtskliniken nicht immer Kinderärzte anwesend, in Brandenburg aber nur in 16%. So wird in diesen dünn besiedelten Bezirken durch die größere Zahl höherer Level der Nachteil wettgemacht, dass hier – anders als in Ballungsgebieten – meist nur wenige Kliniken in Reichweite liegen. Ausnahme: Spitzenreiter Berlin mit 42% Level-I-Kliniken.

Die – leider nur recht lückenhaften – Zahlen zu Hebammen spiegeln Defizite wider: Die Kliniken bieten zum Großteil keine 1:1-Betreuung an, auch deshalb, weil sie freie Stellen nicht besetzen können.

Das mit solchen Daten gefütterte Kreißsaal-Navi führt Eltern in wenigen Klicks zu geeigneten Krankenhäusern. Zunächst geben sie ihre Postleitzahl ein, legen dann die maximale Entfernung und ihre Präferenzen fest, zum Beispiel, ob rund um die Uhr ein Narkosearzt für eine Periduralanästhesie am Ort oder im selben Haus eine Kinderklinik sein soll.

Dann listet die Plattform die in Frage kommenden Kliniken auf. In Regionen, wo die Teilnahme an der Umfrage schwach war, sehen die Eltern immerhin, wo Hinweise fehlen, und können nachfragen. So liefert ihnen die Tabelle eine erste Orientierung und eine Basis für weitere Erkundigungen.

 

Kommentar

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