Depressionen und Darm-Mikrobiom: Was die Wissenschaft über die Zusammenhänge weiß …

Antje Sieb

Interessenkonflikte

14. Mai 2021

Die Zusammensetzung unserer Darmflora könnte Einfluss auf unsere psychische Gesundheit haben – und umgekehrt. Allerdings stecken viele Erkenntnisse auf diesem Feld noch in den wissenschaftlichen Kinderschuhen, nämlich im Stadium der Tierversuche.

Eine offene Frage, sozusagen die nach der Henne und dem Ei, stellte der Tübinger Psychiater Prof. Dr. Christoph Turck bei einem Online-Vortrag des Max-Planck-Gesundheitsforums dabei gleich an den Anfang [1]: „Sind Mikrobiom-Veränderungen Ursache oder Anzeichen von psychiatrischen Erkrankungen? Die meisten Studien zeigen nur eine Korrelation“, betonte der Wissenschaftler, der selbst am Max-Planck-Institut für Psychiatrie daran forscht, Biomarker für die bessere Diagnose von Depressionserkrankungen zu identifizieren.

Klar ist, dass unser Darm und das Gehirn über den Vagusnerv eine direkte Verbindung zueinander haben. Wie allerdings im Detail eine solche Kommunikation über die Darm-Hirn-Achse ablaufen könnte, dabei bleibt noch viel zu klären.

Eines der Probleme sei, dass die Darmflora immer noch nur unzureichend charakterisiert werden könne, erklärte Turck. Von den etwa 1.000 Spezies seien noch nicht alle bekannt. „Viele kann man gar nicht im Labor züchten, denn sie sind nur im Darm lebensfähig.“ Mithilfe von Hochdurchsatz-Sequenzierungsmethoden lerne man aber immer mehr auch über solche Arten.

Hohe Artenvielfalt ist wichtig

Die Rolle und Wichtigkeit der einzelnen Spezies sind aber oft noch ungeklärt. Zusätzlich ist die Zusammensetzung des Mikrobioms von Mensch zu Mensch individuell, was die Definition eines Idealzustands erschwert. „Hohe Artenvielfalt ist wichtig; die Dominanz einer Spezies führt meist zu Ungleichgewicht, einer Dysbiose“, fasste Turck zusammen.

So wurden etwa in Stuhlproben depressiver Patienten weniger Arten identifiziert als bei gesunden Personen. Tierversuche liefern weitere Hinweise: „Eine Stuhltransplantation von depressiven Menschen in keimfreie Mäuse führte zu depressionsähnlichem Verhalten.“ 

 
Hohe Artenvielfalt ist wichtig; die Dominanz einer Spezies führt meist zu Ungleichgewicht, einer Dysbiose. Prof. Dr. Christoph Turck
 

Auch innerhalb der Art scheint eine Fäkaltransplantation Auswirkung zu haben: Kot von ängstlichen Mäusen machte im Tierversuch mutige Mäuse ängstlich. Turck weist allerdings darauf hin, dass sich solche Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Menschen übertragen ließen.

Verschiedene Mechanismen könnten einen Einfluss der Darmflora auf die Psyche erklären. Dazu gehört, dass die Mikroorganismen in unserem Darm in ihrem Stoffwechsel verschiedene Neurotransmitter und Hormone ausscheiden. Diese könnten direkt den Vagusnerv stimulieren. Turck nennt mögliche Folgen: „Eine erhöhte Produktion von entzündlichen Zytokinen, eine Beeinflussung der Stressachse z.B. über die Kortisol-Produktion, aber auch eine Modulation des Tryptophan-Metabolismus und damit der Produktion von Neurotransmittern.“

Behandlungsansätze noch nicht möglich

Weder eine direkte Kausalität noch bestimmte Wirkzusammenhänge sind allerdings bisher erwiesen. Deshalb seien Diagnosen oder Behandlungsansätze über die Zusammensetzung des Mikrobioms bisher nicht möglich, erklärte Prof. Dr. Ludwig Schaaf vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in Tübingen. „Mit Schlussfolgerungen muss man bisher vorsichtig umgehen.“

 
Mit Schlussfolgerungen muss man bisher vorsichtig umgehen. Prof. Dr. Ludwig Schaaf
 

Auch die Wirksamkeit von Probiotika auf die Zusammensetzung der Darmflora sei nicht immer klar. Zudem gebe es zahlreiche andere Einflussfaktoren auf das Mikrobiom: Genetische Prädisposition, aber auch Ernährung, Toxine, Antibiotika, oder Infektionen können zu einer Verschiebung des Gleichgewichts unter den verschiedenen Mikroorganismen beitragen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....