Eine der kardiologischen Erkrankungen, die immer wieder im Fokus steht, ist das paroxysmale Vorhofflimmern. Da es oft asymptomatisch ist, aber zu schweren ischämischen Schlaganfällen führen kann, stellt sich die Frage nach dem Nutzen eines systematischen Screening-Programms zur Früherkennung der Herzrhythmusstörung. Zudem gibt es neue Erkenntnisse zu Therapie und Prophylaxe.
Vorhofflimmern Ursache von jedem 3. Schlaganfall
Für ein Screening auf Vorhofflimmern wird schon seit einigen Jahren plädiert, insbesondere seit die neuen oralen Gerinnungshemmer verfügbar sind. So hat sich z.B. 2017 ein internationales Gremium im Fachmagazin Circulation dafür stark gemacht. Wenn ältere Menschen flächendeckend auf Vorhofflimmern untersucht würden, könnten weltweit hunderttausende Schlaganfälle verhindert werden, argumentierten die Mitglieder des internationalen Gremiums AF-SCREEN in einem „White Paper“.
Allein in Europa könnten 2060 laut der Europäischen Kardiologen-Gesellschaft mehr als 14 Millionen ältere Menschen an der Herzrhythmusstörung leiden. Vorhofflimmern sei, so die Autoren des „White Paper“, Ursache für ein Drittel aller Schlaganfälle. Relativ häufig verlaufe die Arrhythmie ohne Symptome. Bei etwa 10% aller Schlaganfälle sei Vorhofflimmern vorher nicht bekannt gewesen.
„Durch Vorhofflimmern verursachte Schlaganfälle sind ausgedehnter und schwerer und fordern mehr Todesopfer als andere Schlaganfälle. Ein Screening kann gefährdete Personen davor schützen, überhaupt einen solchen zu erleiden“, so die Hamburger Kardiologin Prof. Dr. Renate Schnabel, die ein von der EU finanziertes internationales Forschungsprojekt zur Früherkennung von Vorhofflimmern leitet, das Anfang 2020 gestartet und auf 3 Jahre angelegt ist.
Der Nutzen eines systematischen Screenings auf Vorhofflimmern wird allerdings unterschiedlich beurteilt. So hat erst kürzlich die US Preventive Services Task Force (USPSTF ) geschlussfolgert, dass es derzeit keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz dafür gebe, Nutzen und Risiken eines Screenings auf Vorhofflimmern adäquat beurteilen zu können.
Immerhin wird in der aktuellen ESC-Leitlinie zum Management von Vorhofflimmern bereits ein gelegentliches Screening etwa mittels Pulstasten in der Altersgruppe der mindestens 65-Jährigen empfohlen. Bei über 75-Jährigen und Patienten mit hohem Schlaganfall-Risiko wird sogar ein systematisches Screening für sinnvoll erachtet.
Rückenstärkung für die Screening-Befürworter
Neue Studien-Daten aus der schwedischen Studie STROKESTOP stärken nun die Befürworter eines bevölkerungsbasierten Screening-Programmes. Vorgestellt wurden die Daten auf dem Online-Kongress der „European Heart Rhythm Association“ von der schwedischen Kardiologin Dr. Emma Svennberg, Karolinska Institutet Stockholm.
Die Studie umfasste 13.979 Personen, die zum Screening eingeladen wurden, und 13.996, die nicht zum Screening eingeladen wurden (Durchschnittsalter 76 Jahre; 55 % Frauen). Von den eingeladenen Personen stimmten 7.165 (51,3%) der Teilnahme am Screening-Programm zu, 6.814 Personen verzichteten darauf.
Die Teilnehmer (51,3%), die tatsächlich untersucht wurden, wiesen im Vergleich zu denen, die drauf verzichteten, tendenziell ein geringeres Risiko auf – sie waren im Durchschnitt etwas jünger, hatten einen niedrigeren mittleren CHA2DS2-VASc-Score und eine geringere Rate an verschiedenen Komorbiditäten. In der Screening-Gruppe wurden bei denjenigen, bei denen zuvor kein Vorhofflimmern diagnostiziert worden war, 2 Wochen lang 2-mal täglich ein EKG-aufgezeichnet.
Der Anteil an Personen mit diagnostiziertem Vorhofflimmern stieg in der Screening-Gruppe von zunächst rund 12% auf 14%; es war damit signifikant höher als in der Kontroll-Gruppe, in der es keine Veränderung gab (der Prozentsatz blieb bei etwa 12,8%). Von den Patienten mit bereits bekanntem oder neu erkanntem Vorhofflimmern, die ohne orale Antikoagulation waren (rund 5%), wurden die meisten auf eine gerinnungshemmende Therapie eingestellt.
Die Zahl der primären kombinierten Endpunkt-Ereignisse (ischämischer Schlaganfall, systemische Thromboembolie, Gesamtmortalität, hämorrhagischer Schlaganfall oder Krankenhausaufenthalt wegen Blutungen) betrug am Ende 4.456 in der Screening-Gruppe und 4.616 in der Kontroll-Gruppe. Die Zahl der Menschen, die zum Screening eingeladen werden müssten, um ein primäres Endpunkt-Ereignis zu verhindern, beträgt 91, wie Svennberg auf dem Kongress berichtete.
Eine „as-treated“-Analyse zeigte, dass der Unterschied zwischen Screening- und Nicht-Screening-Gruppe vor allem durch eine Reduktion der ischämischen Schlaganfälle zustande kam (Hazard Ratio: 0,76; 95%-Konfidenzintervall: 0,68-0,87). Das höchste Risiko für einen ischämischen Schlaganfall hatten die Teilnehmer, die zum Screening eingeladen wurden, aber nicht daran teilnahmen.
Für eine endgültige Bewertung eines Screening-Programms auf Vorhofflimmern muss nun noch geklärt werden, ob ein solches Programm auch ökonomisch sinnvoll ist. Notwendig ist also noch eine Kosten-Effektivitäts-Analyse.
Auf der Suche nach einfachen Screening-Verfahren
Wichtig ist auch, welches Verfahren am besten geeignet dafür ist. Standard zur Untersuchung von Herzrhythmusstörungen ist ein 12-Kanal-EKG. „Das ist sehr aufwändig und nicht jeder Hausarzt hat ein solches Gerät“, so Renate Schnabel.
Günstige und weit verbreitete technische Alternativen, die Hinweise auf Vorhofflimmern liefern könnten, seien zum Beispiel Blutdruck- oder Pulsmessgeräte, tragbare Gürtel, unter die Haut implantierbare Mini-Geräte, aber auch die Kamera des Handys oder eine Smart-Watch.
Ein Screening muss möglichst einfach sein, um bei möglichst vielen Menschen angewendet werden zu können. Auch hier hat sich in der letzten Zeit einiges getan. So soll einer aktuellen Studie zufolge ein spezielles Pflaster mit integrierter EKG-Aufzeichnungseinheit (das Zio-XT-System) geeignet sein, Vorhofflimmern zu erkennen.
Geprüft wurde das von der FDA zugelassene „Wearable“ in der multizentrischen, randomisierten Studie SCREEN-AF mit 856 Personen (487 Frauen) aus 48 Hausarztpraxen (2015 bis 2019). Die Teilnehmer waren 75 Jahre oder älter und hatten einen hohen Blutdruck, aber kein bekanntes Vorhofflimmern.
Die Hälfte der Teilnehmer erhielt das Rhythmuspflaster, die andere Hälfte erhielt die medizinische Standardversorgung (routinemäßige klinische Nachsorge plus eine Pulskontrolle und Herzauskultation bei Studienbeginn und nach 6 Monaten). In das Rhythmuspflaster ist eine EKG-Aufzeichnungseinheit integriert, die den Herzschlag für 2 Wochen durchgehend aufzeichnet.
Die Pflaster-Screening-Gruppe erhielt außerdem automatische Blutdruckmessgeräte für zu Hause mit oszillometrischer AF-Screening-Funktion, die 2-mal täglich während der cECG-Monitoring-Perioden verwendet werden sollten. Alle Teilnehmer wurden 6 Monate lang beobachtet.
Ergebnisse mit einem Pflaster plus EKG
In der Pflaster-Screening-Gruppe wurde bei 5,3% der Probanden Vorhofflimmern entdeckt, in der Kontroll-Gruppe bei 0,5%. Innerhalb der 6-monatigen Beobachtungsphase erhielten 4,1% der Probanden der Pflaster-Gruppe einen Gerinnungshemmer verordnet, in der Kontroll-Gruppe betrug der Anteil 0,9%. Daten zu harten klinischen Endpunkten, insbesondere zu Schlaganfällen, wurden allerdings nicht erhoben.
Eine weiter „elegante“ Option für ein Screening auf Vorhofflimmern könnten EKG-fähige Smartwatches sein, mit denen ein 1‑Kanal-Elektrokardiogramm aufgezeichnet werden kann. Solche EKG-fähigen Smartwatches sind, wie Prof. Dr. Wilhelm Haverkamp, Charité Berlin, und seine Mitautoren in einem aktuellen Beitrag erklären, mit Apps ausgestattet, die es ermöglichen, Vorhofflimmern automatisch zu diagnostizieren. Ergebe sich der Verdacht auf Vorhofflimmern, werde der Patient via App benachrichtigt und gebeten, ein EKG zu registrieren.
Die bislang zur Validierung dieser Techniken verfügbaren Daten reichen den Autoren zufolge jedoch für eine endgültige Bewertung ihrer diagnostischen Wertigkeit unter Real-world-Bedingungen nicht aus. Haverkamp und seine Kollegen haben daher „im Vorfeld zu erwartender Studienergebnisse“ die Algorithmen und Arbeitsweisen EKG-fähiger Smartwatches analysiert.
Hierzu haben sie die im Rahmen von Zulassungsverfahren und der Bewerbung öffentlich gemachten Informationen zur EKG-Funktion ausgewertet. An diese Informationen heranzukommen, habe sich allerdings als teilweise sehr aufwendig erwiesen.
Ergebnisse mit smarten Uhren
Vorhofflimmern wird nach Angaben der Autoren von den EKG-fähigen Smartwatches mit einer Sensitivität und Spezifität von rund 95% erkannt. Hierbei sei allerdings zu beachten, dass die Untersuchungen zur diagnostischen Genauigkeit unter „sehr standardisierten Bedingungen“ stattgefunden hätten.
Außerdem seien 10 bis 20% der mit einer Smartwatch registrierten EKGs nicht auszuwerten. Im Alltag dürfte die diagnostische Genauigkeit demnach geringer sein. Zudem werde Vorhofflimmern mit einer Kammerfrequenz unterhalb von 50/min von keiner smarten Uhr erkannt. Auch bei hohen Herzfrequenzen ergebe sich ein Grenzwert, ab dem nicht mehr auf Vorhofflimmern geprüft werde. Dieser liege bei den meisten Uhren bei 120/min.
Eine überarbeitete Version des Apple-Algorithmus erkenne jetzt allerdings auch Vorhofflimmern mit einer Kammerfrequenz von bis zu 150/min. Die Genauigkeit des Algorithmus sei jedoch bei Kammerfrequenzen von über 100/min deutlich niedriger als bei einer geringeren Kammerfrequenz (98,3 % versus 83 %).
Eine Gretchenfrage der Therapie: „Pills oder Pulses“?
Die Früherkennung einer Herzrhythmusstörung ist ein wichtiger Schritt, aber ohne Therapie wäre sie recht wertlos. Doch auch bei der Therapie von Patienten mit Vorhofflimmern hat sich in den vergangenen Monaten einiges getan: So gibt es zum Beispiel weitere Daten zu der kardiologischen Gretchenfrage: „Pills oder Pulses“?
Gemäß den Leitlinien sollten Patienten mit Vorhofflimmern primär medikamentös behandelt werden. Die Katheterablation gilt als Zweitlinien-Therapie. Doch 2 kürzlich publizierte Studien zeigen, dass nach der Initialtherapie einer Katheterablation mittels Kryo-Ballon signifikant weniger Vorhofflimmer-Rezidive zu beobachten sind als nach einer medikamentösen antiarrhythmischen Therapie.
Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Internistisches Klinikum München Süd, hat die beiden Studien kommentiert. Bei der einen Studie handelt es sich um die offene, hinsichtlich des Endpunkts verblindete, 2-armige (Intervention vs medikamentöse Therapie) kanadische Multicenterstudie EARLY-AF mit einer 1-jährigen Nachbeobachtungsdauer. Die andere Studie ist die offene, 2-armige (Intervention vs medikamentöse Therapie) US-amerikanische Multicenterstudie STOP AF First mit einer ebenfalls 1-jährigen Follow-up-Dauer.
In beiden Studien wurden Patienten in einem frühen Stadium ihrer VHF-Erkrankung eingeschlossen, die noch keine Rhythmus-kontrollierende Therapie erhalten hatten. Das Ergebnis der Studien sei eindeutig gewesen: Bei Initialtherapie mit Katheterablation seien signifikant weniger VHF-Rezidive zu beobachten als bei einer medikamentösen antiarrhythmischen Therapie. Leider sind beide Studien erst nach den im August 2020 veröffentlichten Leitlinien der „European Society of Cardiology“ (ESC) publiziert worden. Die Ergebnisse hätten sicher Einfluss auf die Empfehlungen gehabt, vermutet Lewalter.
Mit dem Ergebnis beider Arbeiten werde man Patienten nun im Beratungsgespräch „unter dem Blickwinkel der Effizienz“ primär zur Katheterablation raten, „zumal die Rate an schwerwiegenden Komplikationen durch die Ablationsbehandlung in beiden Studien sehr gering war“. Dies stelle „einen Paradigmenwechsel im langjährigen Antagonismus zwischen ‚Pills and Pulses‘ dar“, schreibt der Münchener Kardiologe.
Omega-3-Fettsäuren: Nicht weniger, sondern mehr Vorhofflimmern?
Eine unerfreuliche Botschaft hat die Studienwelt für die Anhänger von Omega-3-Fettsäuren zur kardiovaskulären Prävention und Therapie: Eine weitere Studie liefert nun einen Hinweis darauf, dass Präparate mit Omega-3-Fettsäuren in Abhängigkeit von der Dosis möglicherweise das Risiko für Vorhofflimmern sogar erhöhen. In dieser aktuell publizierten Studie – der VITAL-Rhythmus-Studie – erhielten 12.542 Teilnehmer randomisiert eine Standarddosis von Omega-3-Fettsäuren, 840 mg/d (eine Kombination aus EPA und DHA), und 12.557 Teilnehmer ein Placebo.
Nach einem Median von 5,3 Jahren betrug die Inzidenz von Vorhofflimmern 7,2 pro 1.000 Personenjahre bei den Teilnehmern, die Omega-3-Fettsäuren einnahmen. In der Kontrollgruppe der Teilnehmer mit Placebo betrug die Inzidenz 6,6 pro 1.000 Personenjahre (HR: 1,09; 95%-KI: 0,96-1,24; p = 0,19). Der Unterschied war demnach nicht signifikant.
Diese Ergebnisse sprechen den Autoren zufolge nicht dafür, zur Prävention von Vorhofflimmern Omega-3-Fettsäuren einzunehmen. Die Daten dieser Studie in Kombination mit 3 weiteren Studien zu diesem Zusammenhang deuten laut Dr. Gregory Curfman, stellvertretender. Chefredakteur des JAMA, der die Studie kommentiert hat, darauf hin, dass es ein dosisabhängiges Risiko für Vorhofflimmern bei der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren geben könnte; allerdings bewiesen sei es nicht.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Vom Screening bis zum (umstrittenen) Fischöl: Ein kleines Potpourri von Neuigkeiten zum Vorhofflimmern - Medscape - 11. Mai 2021.
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