Kinder sind durch Medikamentenfehler besonders gefährdet. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hat jetzt eine neue Sk2-Leitlinie zur „Medikamentensicherheit bei Kindernotfällen“ vorgestellt [1]. Darin analysieren die Autoren Mechanismen, die zu Fehlern bei der Pharmakotherapie führen, und benennen Maßnahmen dagegen. Zudem verteidigt und legitimiert die Leitlinie einen Evidenz-basierten Off-Label-Use.
„Die Empfehlungen wurden so gewählt, dass sie möglichst kurzfristig und mit einfachen Mitteln angewendet werden können. Viele der oft folgenschweren Medikamentenfehler könnten durch einfach umzusetzende Maßnahmen und die Verwendung von simplen Hilfsmitteln wie Tabellen oder Linealen vermieden werden“, betont PD Dr. Jost Kaufmann, der die Leitlinie für die DGKJ initiiert und koordiniert hat.
Gewichtsangabe des Kindes vermeidet Über- oder Unterdosierung
Für Kinder muss die korrekte Medikamentendosis immer individuell berechnet und altersgruppenspezifische Besonderheiten beachtet werden, heißt es in einer begleitenden Mitteilung des DGKJ [2]. Gerade im Notfall sei das eine große Herausforderung, denn angesichts der Patientenvielfalt vom Neugeborenen bis hin zum großen Jugendlichen könne hier nicht auf eine vertraute „typische“ Dosis gesetzt werden.
In pädiatrischen Notfallsituationen erfolgt die Dosierung daher ausnahmslos anhand des Gewichts. „Die Kenntnis des Gewichts ist somit ein simpler Parameter mit großer Wirkung für die Medikamentensicherheit“, betont Kaufmann. Dennoch ist in den bundesweit nahezu flächendeckend eingesetzten, standardisierten Notarzteinsatzprotokollen bis heute kein Feld für die Angabe des Gewichts vorgesehen. Dies trage laut Kaufmann dazu bei, dass bei bis zu 97% der Notarzteinsätze, bei denen ein Kind eine intravenöse Medikation erhalten hat, kein Gewicht in den Einsatzprotokollen dokumentiert wird.
Die Leitlinie empfiehlt daher, dass neben der Angabe durch die Eltern längenbezogene Methoden zur Gewichtsschätzung verwendet werden sollen.
Klares Statement zum „Off-Label-Use“
Der Leitlinien-Autoren positionieren sich zudem klar zum „Off-Label-Use“ in der pädiatrischen Notfallmedizin: „Ein Off-Label-Use ist nicht unsachgemäß, illegal oder kontraindiziert, sondern kann die bestmögliche Therapie darstellen. Ein grundsätzlicher Verzicht auf Off-Label-Use gefährdet Kinder und macht eine sachgemäße Behandlung unmöglich.“
Die Behandlung von Notfällen bei Kindern sollte immer durch Therapieentscheidungen gelenkt werden, die auf wissenschaftlicher Evidenz und Erfahrung basieren und nicht allein aufgrund des Zulassungsstatus erfolgen, heißt es in der Leitlinie weiter. Hiermit soll laut DGKJ den Versorgern die kategorische Sorge vor einer Off-Label-Verwendung genommen und damit die Möglichkeit gegeben werden, eine rein Evidenz-basierte Entscheidung zu treffen.
Eine Liste zeigt Dosierungsempfehlungen inklusive der zugrundeliegenden Referenzen für die genannten Empfehlungen.
5-R-Regel erhöht Sicherheit
In der Leitlinie ebenfalls thematisiert wird der Zusammenhang von Kommunikation und erfolgreicher Fehlerkultur. „Die Rückversicherung vor jeder Medikamentengabe sowie eintrainierte Kommunikationsroutinen sind geeignet, um teamorientierte Abläufe zu etablieren und überholte hierarchische Strukturen zu ersetzen“, so die Leitlinien-Autoren.
Als geeignetes Raster hierfür nennt die Leitlinie die „5-R-Regel“: Vor jeder Medikamentengabe soll von mindestens 2 Personen geprüft werden, dass es:
sich um das richtige Medikament,
in der richtigen Dosis,
zum richtigen Zeitpunkt,
mit dem richtigen Verabreichungsweg und
für den richtigen Patienten handelt.
Zudem empfehlen die Autoren weitere Sicherungsstrukturen, wie etwa die Kontrolle über Dosierungstabellen und andere Hilfsmittel oder die unmittelbare telefonische Rücksprache mit pädiatrischen Experten.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Neue Leitlinie der DGKJ: Wie sich fatale Fehler bei der Pharmakotherapie von Kindern vermeiden lassen - Medscape - 11. Mai 2021.
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