Ärztinnen und Ärzte dürfen jetzt beim Suizid assistieren. Der 124. Ärztetag hat das Verbot der Suizidbeihilfe aus der Musterberufsordnung (MBO) Ärzte gestrichen [1]. Trotzdem gehöre die Suizidbeihilfe deshalb nicht zu den ärztlichen Aufgaben, betonten die ÄT-Delegierten.
„Sie (die Ärztinnen und Ärzte) dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“, heißt es bisher im 3. Satz des §16 („Beistand für Sterbende“) der MBO. Die Streichung ändere aber nichts daran, dass „ärztliches Handeln von einer lebens- und gesundheitsorientierten Zielrichtung geprägt ist“, so die Delegierten des Ärztetages. Nach §1 Abs. 2 der (Muster-)Berufsordnung sei es Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.
Die Mithilfe beim Suizid dagegen gehöre nicht zu den Aufgaben von Ärzten. Es bleibt also dem Gewissen der einzelnen Ärztinnen und Ärzte überlassen, ob sie bei der Selbsttötung assistieren oder nicht.
Suizid ist allgemeines Persönlichkeitsrecht
Die Ärztevertreter mussten sich des Themas annehmen, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) es notwendig gemacht hat. Denn das höchste deutsche Gericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Suizidbeihilfe (§217 StGB) als unvereinbar mit dem Grundgesetz gekippt und die Selbstbestimmung des Bürgers in den Mittelpunkt seiner Entscheidung gestellt: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sei ein „allgemeines Persönlichkeitsrecht“, so das BVerfG.
Indessen steht in den Berufsordnungen der meisten Kammern der 3. Satz des §16 MBO, also das Verbot der Suizidbeihilfe durch Ärzte. Wo dieses Verbot gilt, können sich Ärzte „aufgrund ihrer eigenen verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit“ eigenmächtig über das Urteil des BVerfG hinwegsetzen, so das Gericht. In Kammern, wo das Verbot nicht gilt, können es die Ärzte nicht. „Solange diese Situation fortbesteht, schafft sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe“, heißt es bei BVerfG. Also musste der Ärztetag darüber diskutieren, ob Ärzte Suizidbeihilfe leisten dürfen oder nicht.
Engagierte Diskussion der Delegierten
Der Entscheidung der Delegierten ging eine engagierte Diskussion voraus. Dr. Jens Andrae aus Thüringen mahnte, es dürfe in Deutschland nicht zu Verhältnissen wie in Holland kommen. Dort seien 4% bis 5% aller Sterbefälle auf einen Freitod zurückzuführen. „Wir werden den 3. Satz aus der WBO streichen müssen“, sagte Andrae. „Aber welche Rolle müssen wir als Ärzte dann spielen?“
Immer wieder betonten die Redebeiträge, dass die Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe sei. Allerdings sprachen sich viele Delegierte dafür aus, dass Ärztinnen und Ärzte im Falle eines Suizidwunsches von Patienten die ersten Ansprechpartner sein sollten. „Es ist die ärztliche Aufgabe, mit den Patienten über Suizidwünsche zu sprechen“, sagte Dr. Marina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN). „Aber es ist nicht ärztliche Aufgabe, bei ihrem Suizid mitzuwirken.“
Es gab aber auch Gegenstimmen: Ärzte seien die idealen Ansprechpartner, so eine andere Meinung aus dem Plenum. „Wir Ärzte haben Ahnung vom Körper. Wenn wir die Suizidassistenz nicht anbieten, sind wir Ärzte nicht mehr als Partner gefragt und die Patienten streben andere Stellen an.“
Dr. Regine Held aus Berlin hält es für richtig, mit den Patienten dann über ihren Suizidwunsch zu sprechen, „wenn das Arzt-Patientenverhältnis eng ist“. Auch wenn die Assistenz keine ärztliche Aufgabe sei, erinnerte Held daran, dass ein assistierter Suizid besser sei, als dass Patienten sich vom Dach stürzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Freiverantwortlichkeit der Betroffenen bei ihrer Entscheidung zum Suizid betont. „Aber es ist sehr schwer, die freie Willensbildung festzustellen“, gab der Psychiater Dr. Christian Kress aus Sachsen zu bedenken. Das Problem: „Wir können uns nicht aussuchen, ob wir einen Beitrag zur Entscheidung zum Suizid leisten wollen oder nicht. Wir als Ärzte werden gefragt werden.“
Dr. Christina Hillebrecht aus Bremen würde die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit lieber an eine noch zu schaffende Stelle delegieren. „Ärzte sollten die Freiverantwortlichkeit nicht prüfen müssen!“ Dr. Susanne von der Heyd aus Berlin bezweifelte, ob die individuelle Freiverantwortlichkeit überhaupt existiert. Verantwortlichkeit sei doch „immer von Beziehungen abhängig“.
Klar ablehnend reagierten die Delegierten auf die Möglichkeit, Nichterkrankte vor einem Suizid zu beraten oder gar bei ihrem Suizid zu assistieren. Dafür fehle ihr jedes Verständnis, sagte Held.
Nun jedenfalls können die Landesärztekammern die Streichung des 3. Satzes aus §16 MBO in ihre Berufsordnung übernehmen und deutschlandweit eine einheitliche und rechtssichere Regelung schaffen.
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Diesen Artikel so zitieren: Gewissensfrage: Nach Änderung der Musterberufsordnung können nun Ärzte entscheiden, ob sie bei einem Suizid assistieren - Medscape - 10. Mai 2021.
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