Menschen, die regelmäßig draußen Sport treiben, kann dadurch womöglich ein schwerer Verlauf oder Krankenhausaufenthalt infolge einer Corona-Infektion erspart bleiben. Davon ist Dr. Fritz Wimbauer, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und Leiter der Ambulanz für präventive und rehabilitierende Sportmedizin und Sportkardiologie an der TU München, überzeugt. Wie er in seinem Vortrag zu „Sport in der Pandemie“ innerhalb einer Online-Vorlesungsreihe der TU München sagte, kommt es allerdings darauf an, wie intensiv und wie regelmäßig man trainiert [1].
Sport stärkt die Immunabwehr
Es gilt als erwiesen, dass regelmäßiges moderates Ausdauertraining (3-4 Mal pro Woche für 30-45 Minuten) das Immunsystem stärkt und das Risiko für virale Infektionen senkt sowie deren Verlauf mildert. So dauern Studien zufolge Symptome der oberen Atemwege bei Trainierten im Schnitt kürzer an als bei Untrainierten. Falsches und zu intensives Training jedoch kann sich sogar negativ auswirken, beispielsweise durch eine Schwächung der Immunabwehr.
Insgesamt habe sich gezeigt, so Wimbauer, dass gut trainierte Menschen eine COVID-19-Infektion besser bewältigen als untrainierte. Bei Inaktiven bestehe eher die Gefahr eines schweren Verlaufs. Sie müssen häufiger im Krankenhaus behandelt werden als diejenigen, die zumindest ab und zu oder sogar regelmäßig sportlich aktiv sind, wie eine im April 2021 veröffentlichte Studie mit fast 50.000 Teilnehmenden in den USA zeigt.
In der Studie stellte sich sportliche Inaktivität (weniger als 10 Minuten Bewegung pro Tag) als stärkster Risikofaktor für schwere Verläufe heraus. Inaktive mussten aufgrund einer COVID-19-Infektion häufiger auf der Intensivstation behandelt werden und hatten ein erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu denjenigen, die die Vorgaben der WHO (mindestens 150 Minuten Ausdauertraining pro Woche) erfüllten.
Übergewicht verdoppelt Risiko für stationäre Behandlung
Sport könne zudem anderen Risikofaktoren für schwere Verläufe – Übergewicht, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes – vorbeugen, bemerkte der Experte. Übergewicht verschlechtere die Prognose von COVID-19-Patienten, da das das Fettgewebe Botenstoffe wie inflammatorische Zytokine, TNF-alpha oder Interleukin-6 etwa, ausschütte. Nehme diese Ausschüttung von Entzündungsmediatoren einen chronischen Verlauf, schwäche das die Immunantwort.
„Über 70 Prozent der Patienten, die an COVID-19 erkranken und in die Klinik eingewiesen werden müssen, weisen eine fortgeschrittene Adipositas auf“, sagte Wimbauer. Bei Corona-Patienten unter 60 verdopple sich das Risiko einer stationären Aufnahme bei Adipositas und deutlich mehr Patienten mit Adipositas müssen beatmet werden. Wer also durch Sport sein Körpergewicht positiv beeinflusse, senke auch dadurch sein Risiko für schwere Verläufe.
In Sachen Herz-Kreislauf-Prävention genüge bereits eine halbe Stunde tägliches Spazierengehen, um das Risiko einer koronaren Herzerkrankung (KHK) um 20% zu senken, was ebenfalls schweren Verläufen entgegenwirke, betonte Wimbauer. Genauso senke sportliche Aktivität sowohl das Diabetes-Risiko als auch die Gefahr, bei einer COVID-19-Infektion in die Klinik eingewiesen werden zu müssen oder infolge der Infektion zu sterben.
Gut zu wissen in Zeiten einer Pandemie: Auch für die Psyche sind Bewegung und Sport hilfreich. „Studien zeigen, dass sich sportlich aktive Menschen in der Regel deutlich besser fühlen als Inaktive und zudem seltener depressive Symptome aufweisen“, sagte der Experte.
Um Menschen im Home-Office zu „bewegen“, hat die TU München unter der Federführung von Prof. Dr. Martin Halle ein „7-minute-Workout“ mit einfachen Übungen konzipiert, die jeder am und neben dem Schreibtisch machen kann.
Vom Couch-Potato zum Läufer
Viele Menschen, die sich wenig bewegen, tun sich nach Wimbauers Erfahrung schwer, den Schalter von inaktiv auf aktiv zu legen. Dieser Klientel rät er: „Zuerst nicht den Muskel, sondern den Kopf trainieren.“
Nach dem unter anderem von der TU München entwickelten „Lauf 10!“-Programm, bei dem Nicht-Sportler ein 6- bis 12-wöchtiges Training und anschließend einen 10-Kilomenter-Lauf absolvieren, heißt das: In der ersten „Trainingswoche“ lediglich eine Minute pro Tag Sport treiben. „Wenn man sich daran gewöhnt hat Sport zu machen, kann die Intensität in Woche 2 und 3 gesteigert werden.“
„Road to 10K“ nach dem „Lauf10!“-Projekt
Woche 1: Kopftraining (1 min / Tag)
Wochen 2-3: niedrig dosiertes Ausdauertraining (50-60% VO2 max, 5-10 Min/Tag)
Wochen 3-6: kontinuierliche Steigerung des Umfangs (10-20 Min/Tag; 1 Tag Pause i. d. Woche)
Wochen 6-12: Steigerung der Intensität (60-80% VO2-max); 2x/Woche Intervalltraining; 2 Regenerationstage/Woche
Wer an der frischen Luft trainiere, sei einem nur sehr geringen COVID-19-Infektionsrisiko ausgesetzt, sagte Wimbauer. Studien haben gezeigt, dass weniger als 1% aller Ansteckungen draußen stattfinden, aufgrund der niedrigeren Aerosolbelastung.
„Deswegen ist Sport im Freien in jeglicher Art und Weise sehr zu empfehlen – das Infektionsrisiko ist sehr gering“, so sein Fazit; natürlich immer unter Einhaltung der Regeln wie dem Mindestabstand, der bei schnellem Laufen oder Radfahren größer als sonst ausfallen solle. Jedoch gab Wimbauer zu bedenken, dass Sportarten mit geteiltem Equipment wie Volleyball oder Teamsportarten, etwa Fußball, das Risiko einer Kontaktinfektion erhöhen.
COVID-19 schädigt das Herz
Vorsicht in Sachen Sport sei allerdings unmittelbar nach einer COVID-19-Infektion geboten, auch, da das Virus das Herz nachweislich zumindest vorübergehend schwächen oder schädigen könne. Unter den aktuell mehr als 3,2 Millionen bestätigten Corona-Fällen in Deutschland seien auch viele junge und fitte Menschen, sagte Wimbauer, der auch leitender Mannschaftsarzt der Deutschen Ski-Nationalmannschaft Ski alpin, Ski-Cross und Ski-Freestyle ist.
Da bereits häufiger über Herzmuskelentzündungen als Folge einer COVID-19-Infektion bei Leistungssportlern berichtet wurde, zuletzt bei dem Eishockey-Profi Janik Möser, stelle sich immer wieder die Frage inwiefern der Infekt das Herz junger Sportler in Mitleidenschaft ziehen könne, sagte Wimbauer.
Über unterschiedliche Pathomechanismen könne das Virus ins Herz einwandern; zum einen über die Endothelzellen, was zu makro- und mikrozellulären Dysfunktionen führen könne, erklärte Wimbauer. Des Weiteren könne das Virus eine überschießende Immunantwort hervorrufen, etwa einen Zytokinsturm.
Bei bereits bestehender KHK könnten Plaques an den Gefäßwänden instabil werden, einreißen und einen Herzinfarkt oder eine Herzmuskelentzündung verursachen. Wandere SARS-CoV-2 direkt in die Myozyten ein, besteht das Risiko eines myokardialen Schadens.
„Durch COVID-19 können also viele Effekte am Herzen passieren“, sagte Wimbauer. Dazu gehören langfristig auch Herzrhythmusstörungen oder eine Herzinsuffizienz.
Risiko Herzmuskelentzündung
Besonders relevant im Hinblick auf den Sport sei die Gefahr einer Herzmuskelentzündung, die wiederum einen plötzlichen Herztod verursachen könne. Rund 8% der Fälle von Plötzlichem Herztod bei jungen Sportlern liege eine Herzmuskelentzündung zugrunde, erklärte Wimbauer.
Umgekehrt haben insbesondere Leistungssportler auch ein erhöhtes Risiko für eine Herzmuskelentzündung. Das sei auf mehrere Faktoren rückführbar: hohe Belastungen bis an die körperlichen Grenzen, Schwächung des Immunsystems durch Reisen und Jetlag, Sport in großer Hitze oder bei Kälte sowie mentalen Stress.
Hinzu komme, dass Leistungssportler häufig nicht die klassischen Symptome einer Herzmuskelentzündung wie Luftnot, Schwindel oder Brustschmerzen zeigen, sondern sich die Erkrankung unspezifisch bemerkbar mache, etwa durch allgemeine Ermüdungserscheinungen oder Kopfschmerzen, und daher leicht übersehen werde.
„Es ist daher wichtig solche Symptome bei Sportlern ernst zu nehmen“, warnte Wimbauer. Vorbeugen könne man dieser gefährlichen Erkrankung durch ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und genügend Regeneration.
Sicherer Trainingseinstieg nach der Infektion
Nach einem Atemwegsinfekt sollte man zudem erst 4 bis 5 Tage nach dem Abklingen der Symptome wieder ins Training einsteigen, um den Herzmuskel zu schützen, bei Fieber und Gliederschmerzen, was auf eine systemische Infektion hindeute, sogar 7 Tage. Nach einer COVID-19-Infektion sei auch bei asymptomatischem Verlauf eine 2-wöchige Sportpause einzuhalten, wie auch die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention in einem Positionspapier empfiehlt.
Danach seien eine körperliche Untersuchung, Labortests und mindestens ein Ruhe-EKG zu empfehlen, um auszuschließen, dass unter Belastung Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems auftreten.
Nach einer Herzmuskelentzündung, die bisherigen Studien zufolge bei 1 bis 3% der Leistungssportler im Zusammenhang mit einer CODID-19-Infektion auftritt, sei jeglicher Sport ohnehin tabu. Nach 3- bis 6-monatiger Sportpause sollte zur Prävention des plötzlichen Herztods eine Basisdiagnostik erfolgen, die sicherstellt, dass keine Auffälligkeiten bei Herzenzymen, Herzleistung oder Herzmuskelgewebe bestehen. Bei eingeschränkter Herzleistung oder myokardialer Narbenbildung nach einer Herzmuskelentzündung sei intensiver Sport kontraindiziert, sagte Wimbauer.
Beim Wiedereinstieg ins Training gilt: langsam beginnen, um Verletzungen vorzubeugen. Wimbauer empfiehlt zunächst Beweglichkeits- und Koordinationstraining plus leichte Kraftübungen. Danach erst das Grundlagenausdauertraining langsam wieder aufnehmen.
„Wenn das alles klappt und keine Symptome auftreten, können Trainingsdauer, -intensität und -häufigkeit weiter gesteigert werden“, erklärt er. Weiterhin gelte jedoch: „Nicht übertreiben und Regenerationsphasen einbauen, um das Immunsystem nicht negativ zu beeinflussen.“
Um langfristige Auswirkungen von COVID-19 bei Sportlern besser einzuschätzen und zu verstehen, führt die TU München gemeinsam mit weiteren sportmedizinischen Instituten in Deutschland die CoSmo-S Studie zu COVID-19 im Spitzensport durch, in die mehrere 1.000 Athleten eingeschlossen werden sollen.
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Diesen Artikel so zitieren: Keine Gnade für die Wade – warum regelmäßiger Sport gerade in der COVID-19-Pandemie so wichtig ist - Medscape - 7. Mai 2021.
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