Ernährung reguliert das Darmmikrobiom und kann so Gesundheit oder Krankheit fördern. Wie sich neue Erkenntnisse zum Mikrobiom therapeutisch nutzen lassen, erläuterte Prof. Dr. Stephan C. Bischoff, Leiter des Instituts für Ernährungsmedizin und Prävention an der Universität Hohenheim in Stuttgart, auf dem digitalen 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1].
Chronische Entzündungen durch Adipositas
Das Mikrobiom unterstützt die Verdauung: Darmbakterien verwenden die zugeführte Nahrung, um Energie und Substrate bereitzustellen – und daraus z.B. für die Gesundheit wichtige kurzkettige Fettsäuren und Vitamine zu synthetisieren.

Prof. Dr. Stephan C. Bischoff
Jedoch: „Das Gleichgewicht von Ernährung und Mikrobiom-Integrität kann schnell auch negativ beeinflusst werden“, warnte Bischoff. „So können westliche Ernährung und Adipositas zu erhöhter Kalorienaufnahme, zu einer Störung der Barrierefunktion des Darms und zu vermehrter Inflammation führen.“ Aufgabe der Darmbarriere ist es, zwar Nährstoffe in den Blutkreislauf passieren zu lassen, aber Krankheitserreger und Schadstoffe zurückzuhalten.
Überernährung fördert eine Dysbiose, also ein Ungleichgewicht des Darm-Mikrobioms. „Beides zusammen – Überernährung und Dysbiose – führt dann zum Barriere-gestörten ‚leaky gut‘ mit Verlust der Darmintegrität und daraus resultierenden latenten chronischen Entzündungen (low-grade inflammation)“, erläuterte der Ernährungsmediziner.
Mittlerweile allgemein anerkannt sei, dass dies z.B. bei Adipositas ein entscheidender Faktor für die metabolischen Folgeerkrankungen wie kardiovaskuläre Krankheiten, nicht-alkoholische Fettleber, Insulinresistenz und Diabetes sei.
Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der low-grade inflammation im Rahmen einer Adipositas spielen dabei proinflammatorische Signale des Fettgewebes. Ein weiterer Faktor ist die Translokation von Endotoxin aus dem Darmbereich. „Diese subklinische Entzündung lässt sich übrigens auch sehr gut messen“, so Bischoff. Indikator hierfür sei ein CRP-Wert von mehr als 3 mg/l.
Als im klinischen Alltag gut geeignete Biomarker zur Messung der Darmpermeabilität nannte der Experte das Lipopolysaccharide Binding Protein (LBP) im Blut und Zonulin im Stuhl.
Westliche Ernährung begünstigt Darmbarriere-Störungen
Als wichtigsten Treiber der Adipositas-assoziierten Darmbarriere-Störung bezeichnete Bischoff den in der westlichen Ernährung typischen hohen Zuckerkonsum.
„Hiermit ist vor allem der zugesetzte Zucker gemeint, der sich in Getränken und anderen süßen Lebensmitteln findet. So kommt es nicht von ungefähr, dass der Zuckerkonsum in Deutschland, der sich in den vergangenen 50 Jahren verfünffacht hat, einen fast deckungsgleichen zeitlichen Verlauf mit der Entstehung und Zunahme der Adipositas-Epidemie hat.“ Zudem begünstigten auch hohe Blutzuckerspiegel Darmbarriere-Störungen, wie tierexperimentelle Untersuchungen zeigten.
Neben Adipositas, metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes gibt es jedoch noch eine ganze Reihe weiterer Erkrankungen, die mit einer Störung der Darmbarriere einhergehen: Hierzu zählen die Helicobacter-Infektion, infektiöse Diarrhöen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Nahrungsmittelallergie, Reizdarm-Syndrom und chronische Obstipation genauso wie respiratorische Infektionen, COPD, allergisches Asthma bronchiale oder chronisch-entzündliche Gelenkerkrankungen.
Mikrobiota-Störung personalisiert therapieren
„Was sich davon derzeit in den klinischen Studien am interessantesten entpuppt, ist die ballaststoffreiche Ernährung bzw. die Überlegung, diese mit anderen der hier genannten Ernährungsformen zu kombinieren“, so Bischoff.
Um die Störungen der intestinalen Mikrobiota therapeutisch zu beeinflussen, erscheint es naheliegend, dies über die Ernährung bzw. diätetisch zu versuchen. Zu solchen „Microbiota-targeted diets“ gehören zuckerarme Diät, Low-FODMAP-Diät, ballaststoffreiche Diät, mediterrane Diät, Probiotika, Präbiotika und personalisierte Ernährung.
Zwischen den einzelnen Ballaststoffen ist nach Ansicht des Ernährungsmediziners allerdings zu differenzieren. Demnach geht es bei der angestrebten Regulierung von Mikrobiom und Darmbarriere – und damit der Darmgesundheit – insbesondere um die sogenannten MACs (Microbiota-Accessible Carbohydrates): Ballaststoffe, die zwar nicht vom Menschen, dafür aber sehr gut von Bakterien verdaut werden können.
Diese MACs zu identifizieren, gelingt zunehmend besser, wobei Tierexperimente helfen: Dazu werden z.B. keimfreie Mäuse mit Bakterien aus dem menschlichen Darmtrakt „geimpft“, und diese gnotobiotischen Mäuse bekommen dann verschiedene Ballaststoffe zugeführt.
So lässt sich untersuchen, welcher Ballaststoff von welchem Bakterium wie metabolisiert wird. Daraus schließt man dann, welche Ballaststoffe wie bei welchem Menschen wirken, was personalisierte Ernährungsempfehlungen ermöglicht.
Mediterrane Ernährung stabilisiert den Darm besonders gut
Durch ihren hohen Anteil an Ballaststoffen kommt hier der mediterranen Ernährung ein besonderer Stellenwert zu. „Je mehr mediterrane Ernährung, desto besser ist die Stabilität der Darmbarriere“, brachte es Bischoff auf den Punkt. Dafür verantwortlich ist wahrscheinlich vor allem die bei dieser Ernährung verstärkte Synthese kurzkettiger Fettsäuren.
Die typische mediterrane Kost enthält vor allem viel – ballaststoffreiches – Gemüse und Obst. Offenbar wirken sich aber auch sekundäre Pflanzenstoffe und spezielle Fettsäuren aus Nüssen, Oliven und Fisch positiv auf die Darmbarriere aus.
Die Bedeutung der Ballaststoffe unterstrich der Experte schließlich durch die Ergebnisse einer Studie zur Mikrobiom-adaptierten Ernährungstherapie bei Kindern aus Bangladesch, die unter einer schweren Malnutrition litten. Herkömmliche therapeutische Nahrungsmittel bewirken hier Bischoff zufolge zwar eine Gewichtszunahme, verhindern aber kaum langfristige Folgen der Unterernährung wie neurologische Entwicklungsstörungen und Immunschwäche.
Zur Behandlung dieser Kinder waren hier ebenfalls im gnotobiotischen Mausmodell Ballaststoffe identifiziert worden, die dann in speziellen Nahrungszubereitungen eingesetzt wurden. Sie brachten – etwa im Hinblick auf die Knochen- und ZNS-Entwicklung der Kinder – deutlich bessere Resultate als dies mit herkömmlichen Ernährungsstrategien möglich gewesen wäre.
„Dies zeigt die Übertragbarkeit von Ergebnissen solcher Tiermodelle auf den Menschen und stützt die Hypothese, dass eine gesunde Entwicklung von Mikrobiota kausal auch mit gesundem Wachstum verbunden ist“, so Bischoff
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Therapeutisch Essen: Mit der richtigen Kost lassen sich Mikrobiom und Darmbarriere stabilisieren - Medscape - 7. Mai 2021.
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