Die Hälfte der Onkologen in Deutschland kann sich vorstellen, ihren Patienten beim Suizid mit einem entsprechenden Medikament zu assistieren. Das ergab eine Umfrage unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), an der 745 und damit ein Fünftel aller DGHO-Mitglieder teilgenommen haben [1].
Seit das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den §217 StGB für verfassungswidrig erklärt hat, müssen Ärztinnen und Ärzte sich zum Thema des assistierten Suizids neu positionieren. „Die Fragen des Lebensendes sind Fragen, die jeden Onkologen in Deutschland betreffen“, sagte Prof. Dr. Lorenz Trümper bei der Vorstellung der Studienergebnisse. Trümper ist DGHO-Vorsitzender und Direktor der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen. „Die Fragen des Lebensendes, der Begleitung und der Therapie am Lebensende gehören zum Kern der Arbeit von Onkologinnen und Onkologen, von denen auch sehr viele Palliativmediziner sind.“
Die DGHO ergreife als Fachgesellschaft keine Position zum assistierten Suizid, weil die Positionen der Mitglieder dazu viel zu vielfältig seien. „Aber wir haben jetzt zum zweiten Mal nach 2015 unsere Mitglieder befragt, die Tag für Tag mit den Fragen des assistierten Suizids befasst sein könnten.“ Die Gesellschaft wolle die zum Teil emotional geführte Debatte „um die Perspektive praktisch tätiger Onkologinnen und Onkologen“ ergänzen, so Trümper.
Die Hälfte der Onkologen kann sich vorstellen, zum Teil unter bestimmten Bedingungen, beim Suizid zu assistieren
Bei der Frage, ob sie es sich grundsätzlich vorstellen könnten, bei einem assistierten Suizid eines Patienten das tödliche Medikament zur Verfügung zu stellen, bejahten dies 342 Onkologinnen und Onkologen, rund ein Drittel würden dies nur unter bestimmten Bedingungen tun. 350 sprachen sich dagegen aus.
Das berichtete Prof. Dr. Jan Schildmann, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Medizin und Ethik der DGHO und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Martin-Luther-Universität in Halle.
Die zustimmende Gruppe sieht allerdings vor allem 2 Kriterien, die erfüllt sein müssen, um beim Suizid zu assistieren: Zu jeweils mehr als 80% sehen die Ärzte die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung der Patienten zum Suizid als wesentliche Voraussetzung an sowie das aussichtslose Leiden der Patienten. Ihre Lebenserwartung hingegen spielt für die Ärzte bei der Entscheidung fast keine Rolle.
Nur gut 5% der grundsätzlich zustimmenden Ärztinnen und Ärzte würden unter Umständen auch dann bei Suizid assistieren, wenn die Betroffenen gesund sind und sich dennoch den Tod wünschen. Bei psychischen Erkrankungen würden noch gut 25% das tödliche Medikament zur Verfügung stellen. Aber die sehr große Mehrheit von 85 beziehungsweise 70% lehnt die tödlichen Medikamente für diese beiden Patientengruppen ab.
Wie immer wieder in den Diskussionen um den assistierten Suizid betont, ist die ärztliche Assistenz zur Selbsttötung äußerst selten. Das zeigte auch die DGHO Umfrage: Nur 3% der Befragten gaben an, schon einmal assistiert zu haben. „Unsere Zahlen zur Praxis decken sich mit internationalen Daten, nach denen die assistierte Selbsttötung selten ist“, sagte Schildmann. „Dies gilt auch für Länder, in denen sie unter bestimmten Bedingungen rechtlich möglich ist.“ Allerdings wurden gut 57% der Befragten schon einmal von einem Patienten um Informationen zur Selbsttötung gebeten und fast 30% um ein Rezept für Medikamente zur Selbsttötung.
Nur ein Viertel der Befragten befürwortet ein berufsrechtliches Verbot der Suizid-Assistenz
Obwohl sich rund die Hälfte der Befragten nicht vorstellen kann, als Ärztin oder Arzt bei der Selbsttötung zu assistieren, haben sich nur 25% für ein berufsrechtliches Verbot ausgesprochen. 45% sind gegen ein Verbot.
Sehr heterogen zeigten sich die Befragten bei der ärztlichen Rolle beim Suizid. Sollen die Ärzte die Freiverantwortlichkeit prüfen? Sollen sie die Patienten beraten?
Etwa ein Viertel der Umfrage-Teilnehmenden gibt an, dass ausschließlich Ärzte die Freiverantwortlichkeit prüfen sollen, knapp die Hälfte, dass sie prüfen können. Nur jeder 7. Teilnehmer hält die Prüfung für keine ärztliche Aufgabe.
Fast 90% der Befragten sehen bei der Beratung der Patienten die Palliativmediziner in der Pflicht, gefolgt von den Ärzten aus der jeweiligen Disziplin der Erkrankung (81%) und Psychologen (75%).
„Die Zahlen zeigen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen, die ihre Patientinnen und Patienten oftmals über viele Jahre behandeln und daher auch sehr gut kennen, sie auch in existenziellen Lebensphasen begleiten und nicht alleinlassen möchten“, sagte Prof. Dr. Dr. Eva Winkler, Leiterin der Sektion Translationale Medizinische Ethik im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg.
Fast 57% der Befragten sprach sich in jedem Fall für ein Gutachten aus, das die Freiverantwortlichkeit des Sterbewillens beurteilt. 7 von 10 Befragten befürworteten Vorgaben zur Qualitätssicherung, wenn eine rechtliche Regelung der Beihilfe zum Suizid käme, zum Beispiel eine Meldepflicht der Beratung oder entsprechende ärztliche Fortbildungen – beides mit einer Zustimmungsrate von fast 70%.
Nach Ansicht von mehr als der Hälfte der Befragten (51,95%) sollen Ärzte, die die Assistenz der Selbsttötung anbieten, über das Angebot informieren dürfen, und zwar nach einem festen Regelwerk (81%) und nur mit dem Hinweis auf die Suizidprävention (52%). 41% der Befragten sprachen sich für ein Verbot der Werbung aus.
„Die Umfrageteilnehmenden unterscheiden zwischen persönlichen moralischen Bewertungen und angemessenen Regelungen“, resümiert Schildmann. „Pauschale Verbote werden den schwierigen individuellen Entscheidungssituationen nicht gerecht, wir benötigen differenzierte und tragfähige Regelungen. Die Umfrageergebnisse bieten hierfür Ansatzpunkte.“
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Diesen Artikel so zitieren: DGHO-Umfrage: Die Hälfte der Onkologen kann sich vorstellen, beim Suizid von Patienten zu assistieren - Medscape - 4. Mai 2021.
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