Viele Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurfleistung (HFrEF) erhalten zu selten oder zu spät eine umfassende Medikation, welche die Lebenserwartung steigern kann. Namhafte US-Kardiologen haben jetzt in JAMA Cardiology zusammengefasst, wie 4 empfohlenen Wirkstoffklassen für Patienten mit HFrEF bestmöglich kombiniert und die Behandlung möglichst rasch initiiert werden sollte [1].
Plädoyer für zeitnahe Einstellung auf die Vierer-Kombination
Die Autoren nennen als empfohlene Wirkstoffklassen:
Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI; eine Wirkstoffkombination aus Valsartan plus Sacubitril)
Beta-Blocker
Mineralocorticoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA, alias Aldosteron-Antagonisten wie Eplerenon)
SGLT-2-Hemmer (Sodium-Glucose-Cotransporter2-Inhibitoren, kurz SGCT2i, alias Gliflozine)
In ihrem Meinungsartikel weisen Dr. Stephen J. Greene, Duke Clinical Research Institute, North Carolina, Dr. Javed Butler, University of Missisippi und Dr. Gregg C. Fonarow, University of California, Los Angeles, auf die Möglichkeit hin, mit diesen Wirkstoffen das Mortalitätsrisiko um 73% in 2 Jahren zu verringern. Auch das Risiko einer Hospitalisierung verringere sich durch die optimale Kombination dieser Wirkstoffe.
Entsprechende Vorteile zeigten sich rasch, berichten die Autoren. So bringe jede Wirkstoffklasse für sich bereits innerhalb weniger Tage oder Wochen eine Verbesserung der Prognose für die Patienten. Deshalb plädieren Greene und Kollegen für eine zeitnahe Einstellung der Medikation mit allen 4 Wirkstoffklassen bereits in der Klinik. Dadurch könne unter direkter fachärztlicher Kontrolle auf eventuelle Problematiken eingegangen werden, heißt es im Artikel.
„Das Problem dabei ist, dass Patienten mit HFrEF häufig bereits gesundheitlich stark beeinträchtigt und somit einerseits empfindlich für Auswirkungen der Grunderkrankung, anderseits aber auch für Nebenwirkungen der Therapie sind“, schränkt Prof. Dr. Oliver Weingärtner ein. Er ist Oberarzt für interventionelle Kardiologie, Angiologie und Lipidologie am Universitätsklinikum Jena.
Weniger Todesfälle und weniger Rehospitalisierungen
Patienten mit HFrEF haben bekanntlich eine schlechte Prognose: Nach US-Zahlen muss jeder 4. innerhalb von 30 Tagen nach der Klinikentlassung erneut aufgrund dieser Erkrankung stationär behandelt werden oder stirbt sogar. Die Autoren versprechen sich von ihrem Konzept einer schnellen und gleichzeitigen Auftitrierung der 4 Wirkstoffe direkte Vorteile für die Patienten und das Gesundheitssystem durch eine niedrigere Morbidität und Mortalität.
Dieser Annahme widerspricht jedoch der deutsche Kardiologe Weingärtner: „Der sofortige gleichzeitige Einsatz aller 4 Wirkstoffe kann auf der kardiologischen Station durchaus sinnvoll sein“, räumt er ein. „Das Problem ist aber die Kontrolle, insbesondere der Hyperkaliämie, im Nachgang durch niedergelassene Kollegen.“
Weingärtner ergänzt: „Bei uns gehen wir dieses Risiko nicht ein, da eine Hyperkaliämie akut lebensbedrohend sein kann, wenn nicht kurzfristig eingeschritten wird. Wir behandeln lieber individuell und achten insbesondere auf Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion.“
Greene und Kollegen führen an, eine Studie habe kürzlich ergeben, dass ein SGLT2-Inhibitor alleine für Patienten mit Herzinsuffizienz zur signifikanten Reduktion der Hospitalisierungsrate, der Notfallaufnahmen und der Todesfälle um relativ 58% innerhalb der ersten 12 Tage nach Beginn der Einnahme geführt habe. Die Autoren geben an, dass ihres Wissens bisher kein Fall aus kontrollierten Studien bekannt sei, dass andere Therapien diesen Erfolg verringern würden.
4 Wirkstoffklassen beeinflussen sich günstig
Weiter führen sie an, dass der gleichzeitige Beginn und die Anwendung von Wirkstoffen unterschiedlicher Klassen die Verträglichkeit der Vierfach-Medikation sogar steigern könnte. So könne ein SGLT2-Inhibitor das Risiko einer Hyperkaliämie durchaus verringern, ebenso wie der Ersatz eines ACE-Inhibitors durch einen ARNI. Dadurch werde das Risiko erniedrigt, einen MRA-Wirkstoff, der ebenfalls zu einer Hyperkaliämie führen kann, deswegen absetzen zu müssen.
„Akut erkrankte Patienten sind oftmals besonders empfänglich für eine adäquate Medikation“, bestätigt auch Weingärtner. „Natürlich spielt gerade bei einer Herzinsuffizienz die sorgfältige Individualisierung und engmaschige Kontrolle der Therapie eine entscheidende Rolle. Dies ist allerdings, im Sinne der Autoren, auf einer kardiologischen Station am besten machbar.“
Als sinnvolle Möglichkeit, die Verträglichkeit von Medikamenten zu erhöhen, nennen Greene und Kollegen eine anfängliche Niedrigdosierung, die aber rasch gesteigert werden könne. Für die SGLT2-Inhibitoren schlagen sie allerdings einen sofortigen Einstieg in die endgültige Dosierung vor. Für alle 4 genannten Wirkstoffklassen verweisen sie auf entsprechende Studien.
Schon vor der Entlassung die Weichen in Richtung einer guten Prognose stellen
Obwohl noch keine Studiendaten für die Vierfach-Kombination vorliegen, befürworten Greene und Kollegen diese mit der Begründung, dass jeder einzelne Wirkstoff einen großen Benefit biete, auf den man bei HFrEF-Therapien nicht verzichten sollte. Sie bemängeln die Praxis in den USA, Patienten eher weniger Medikation zu verordnen und stattdessen mehr Schrittmacher einzusetzen.
„Dieser aggressive Ansatz mit der Vierfach-Kombination ist interessant, spiegelt aber zunächst lediglich die Meinung der engagierten und renommierten US-Kardiologen wider“, resümiert Weingärtner. „Wir tendieren eher zu einem Risiko-adaptierten Vorgehen für unsere Patienten mit HFrEF.“
In bestimmten Situationen vertritt Weingärtner allerdings ein ähnliches rasches Vorgehen wie die US-Kardiologen: „Bei der Lipidsenkung haben wir keine so riskanten Nebenwirkungen wie bei der Behandlung der HF zu befürchten“, sagt der Kardiologe. „Wenn wir aber niedrige Lipidwerte anstreben, macht es Sinn, diese möglichst schnell zu erreichen, um auch selbst noch kontrolliert eingreifen zu können.“ Er gibt ähnlich wie die US-Kardiologen zu bedenken, dass eine Entlassung der Patienten mit bereits erreichten therapeutischen Zielwerten die Adhärenz und damit den Erfolg einer Therapie stark verbessere.
„Wir wollen mit unserem 'Jena auf Ziel'-Projekt zur Senkung hoher Lipidwerte bereits in der Klinik alle, auch innovative medikamentöse Optionen initiieren, um diese mit unserer Expertise zu individualisieren und einen möglichst großen Benefit zu erzielen“, erläutert Weingärtner. „Auf diese Weise überzeugen wir die Patienten und auch die weiterbehandelnden Ärzte von unserer Behandlung und erreichen eine höhere Adhärenz, die dann letztlich auch mittel- und langfristig zum Erfolg der Therapie führen kann.“
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Diesen Artikel so zitieren: Herzinsuffizienz: Vierfach-Therapie möglichst rasch starten, raten US-Kardiologen. Doch die Strategie birgt auch Risiken … - Medscape - 3. Mai 2021.
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