Gut für Herz und Hirn – nach diesem Motto schlucken weltweit Millionen Menschen Präparate mit Omega-3-Fettsäuren oder Vitamin D3. Doch ein Forschungsergebnis nach dem anderen macht ihre Erwartungen zunichte. Jüngstes Beispiel: die große prospektive Studie VITAL Rhythm zu Vorhofflimmern [1]. Demnach senken diese Mittel das Erkrankungsrisiko nicht – eher im Gegenteil.
„Der globale Markt für Omega-3-Fettsäuren erreichte 2019 ein Volumen von 4,1 Milliarden US-Dollar und wird sich bis 2025 voraussichtlich verdoppeln“, so illustriert Dr. Gregory Curfman, stellvertretender Herausgeber der Zeitschrift JAMA, in seinem Editorial das Ausmaß des Konsums [2]. Dass Menschen bereit seien, so beeindruckend viel Geld für diese Produkte auszugeben, spiegele deren Beliebtheit und den Glauben an gesundheitliche Vorteile wider.
Fehlanzeige bei Primär- und Sekundrprävention
Prof. Dr. Andreas Götte stellt im Gespräch mit Medscape fest: „Die Resultate von VITAL Rhythm sind wirklich ernüchternd, denn in Vorversuchen haben Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D3 ja große Hoffnungen geweckt.“ Nun jedoch sei recht eindeutig belegt, dass diese Nahrungsergänzungsmittel neu auftretendem Vorhofflimmern nicht vorbeugen, so der Chefarzt am St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn, der auch zum Vorstand im Kompetenznetz Vorhofflimmern gehört. Das stehe im Einklang mit Daten, wonach sie auch bereits Erkrankte nicht vor Rezidiven schützen.
Die Demontage von Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D3 hat schon vor längerem begonnen. Mittlerweile scheint sogar ihre Kernkompetenz, die Prävention von Gefäßerkrankungen, in Frage gestellt, denn gerade die „Mutter“ von VITAL Rhythm, die 2018 publizierte Mega-Studie VITAL, zeigte hierbei keinen Nutzen (so wenig wie in Bezug auf Krebs).
Das wirft ein neues Licht auf die Leitlinie der American Heart Association AHA, die bei hohem kardiovaskulärem Risiko Omega-3-Fettsäuren in Form eigens dafür zugelassener Medikamente empfiehlt, und zwar in einer Tagesdosis von 4 g. Ziel: Senkung erhöhter Blutfette und damit Schutz vor Atherosklerose. Für die Allgemeinheit wird knapp die Hälfte (0,5 bis 1,8 g) als ausreichend erachtet, aufzunehmen über die Nahrung – also ungefähr 2 Fischmahlzeiten pro Woche.
Mediterrane Kost hält das Herz gesund
In Deutschland hat der Gesetzgeber nach Angaben der Verbraucherzentrale allzu lockenden Versprechungen einen Riegel vorgeschoben. Erlaubt sind nur solche Werbebotschaften, die nicht die Behandlung von Krankheiten, sondern wissenschaftlich belegt den Erhalt von Gesundheit thematisieren, eine tägliche Mindestmenge vorausgesetzt: dass sie helfen können, die Cholesterin- und Triglyzeridspiegel (2 g), den Blutdruck (3 g), die Sehkraft, die Herz- und Gehirnfunktion (0,25 g) auf normalem Niveau zu stabilisieren.
„Herzgesund“ ernähren kann man sich jedoch, ohne sein Geld in Apotheken oder Drogeriemärkte zu tragen: „Bestand hat nach wie vor die Empfehlung von Fachgesellschaften wie der Deutschen Herzstiftung, mediterrane Kost zu bevorzugen: viel Salat, Gemüse und Obst, wertvolles Öl und nicht zuletzt Fisch“, erinnert Götte.
Lachs, Makrele, Hering sind reich an „Fischöl“
Den Omega-3-Fettsäuren wurde deshalb antiarrhythmisches Potential zugetraut, weil sie günstige physiologische Mechanismen anstoßen, zum Beispiel fangen sie Sauerstoffradikale ab und hemmen Entzündungen. Dadurch könnten sie theoretisch den oxidativen Stress abpuffern, den Vorhofflimmern im Gewebe auslöst. Weiterhin fanden sich Anzeichen, dass sie elektrische Umbauprozesse und damit Strukturveränderungen des Vorhofs - das Remodeling – bremsen.
Als Favoriten galten – neben der pflanzlichen α-Linolensäure – 2 essentielle Moleküle, die aus Meeresfischen wie Lachs, Makrele, Sardine und Hering stammen und als Fischöl-Kapseln im Handel sind: die Eicosapentaensäure (EPA), eine Kette aus 20 Kohlenstoffatomen mit 5 Doppelbindungen, und die aus 22 Kohlenstoffatomen mit 6 Doppelbindungen bestehende Docosahexaensäure (DHA).
Dennoch ließ sich für eine EPA/DHA-reiche Ernährung oder eine Supplementierung nicht zweifelsfrei ein Vorteil belegen, im Gegenteil deutete manches sogar auf Schäden hin. Klarheit sei aber wichtig, wie Prof. Dr. Christine M. Albert vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, USA, und Kollegen in ihrer Publikation erläutern. Denn nicht nur die vorsorgliche Einnahme dieser Substanzen sei enorm verbreitet, sondern auch die Erkrankung.
So litten im Jahr 2016 weltweit mehr als 46 Millionen Menschen (in Deutschland rund 2 Millionen) an dieser häufigsten Herzrhythmusstörung, die ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzinsuffizienz und verfrühte Sterblichkeit mit sich bringt.
25.000 Teilnehmer ab 50 Jahre überall aus der USA
Im Fokus ihrer prospektiven Studie zur Primärprävention stand daher die Frage: Wie wirkt sich die langfristige Einnahme von marinen Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D3 auf die Inzidenz von Vorhofflimmern aus? Aus allen US-Bundesstaaten sammelten sie die rund 25.000 Teilnehmer ab 50 Jahre ohne kardiovaskuläre Erkrankung, Krebs oder Arrhythmien. Jeweils rund 6.200 dieser Frauen und Männer wurden randomisiert einer von 4 täglichen Medikationen zugeordnet:
460 mg EPA/380 mg DHA plus 2.000 IU Vitamin D3
EPA/DHA plus Placebo (Olivenöl)
Vitamin D3 plus Placebo (Sojabohnen-Öl)
oder 2 Placebos
Über eine mediane Einnahme- und Beobachtungszeit von 5,3 Jahren registrierte das Team um Albert eine Arrhythmie-Rate von 3,7% mit EPA/DHA und von 3,4% mit Placebo. Dieselben Zahlen errechneten sie für Vitamin D3. Sowohl für EPA/DHA als auch Vitamin D3 ergab sich daraus pro 1.000 Personenjahre eine Inzidenz von 7,2, für Placebo von 6,6.
Hartnäckiger Fischgeschmack – nicht jedermanns Sache
Götte überlegt Erklärungen, warum es nicht gelungen ist, einen Effekt der Omega-3-Fettsäuren nachzuweisen: „Eventuell war die Dosis zu niedrig. Allerdings setzen die gastrointestinalen Nebenwirkungen einer größeren Menge Grenzen. Aufstoßen, Flatulenz und anhaltender Fischgeschmack werden oft als unangenehm empfunden. Das nimmt man nur in Kauf, wenn man wirklich einen Gewinn hätte.“
Möglich wäre außerdem, dass die Studie zu kurz dauerte, weil eine Blockade der Prozesse, die zu Vorhofflimmern führen, sich erst sehr langfristig manifestieren könnte. Allerdings, so betonen die Autoren, gäben die Daten keinerlei Hinweise darauf.
Ihr Resümee lautet deshalb: „Die Ergebnisse stützen nicht die Verwendung von EPA/DHA oder Vitamin D3 für die Primärprävention von Vorhofflimmern bei älteren Erwachsenen. Sie geben aber zugleich die Gewissheit, dass sie in den geprüften Dosierungen die Störung nicht begünstigen.“
Ist vielleicht sogar ein Schaden zu befürchten?
Kommentator Curfman sieht das anders: Wenngleich der Unterschied nicht signifikant war, so sei das Risiko mit Omega-3-Fettsäuren doch erhöht. Das bestätigen auch 3 große Studien jüngeren Datums. Getestet wurde jeweils gegen Placebo:
STRENGTH (mehr als 13.000 Teilnehmer mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, 4 g EPA/DHA täglich, mediane Dauer 42 Monate): Die Rate für Vorhofflimmern: 2,2% versus 1,3%, keine verminderte Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse.
REDUCE-IT (fast 8.200 Teilnehmer mit leicht erhöhten Triglyzeriden, 4 g reines EPA täglich, mediane Dauer knapp 5 Jahre): Die Rate für Vorhofflimmern war mit 5,3% versus 3,9% signifikant erhöht, kardiovaskuläre Ereignisse allerdings waren um ein Viertel seltener.
OMEMI (rund 1000 ältere Patienten nach Herzinfarkt, 1,8 g EPA/DHA, mediane Dauer 2 Jahre): Die Rate für Vorhofflimmern: 7,2% versus 4%, kein signifikanter Unterschied bei kardiovaskulären Ereignissen.
Curfman vermutet einen Dosiseffekt: Mit 4 g täglich sei das Risiko signifikant erhöht (fast verdoppelt), mit 1,8 g lediglich nicht-signifikant, während von der Standarddosis von 0,84 g offenbar keine Gefahr ausgehe. Und er fordert: „Patienten, die Omega-3 Fettsäuren einnehmen, besonders in hohen Dosierungen, sollten über das Risiko von Arrhythmien informiert und regelmäßig daraufhin untersucht werden.“
In der Pipeline: Antiarrhythmikum auf Fettsäure-Basis
Das letzte Wort zu diesem Thema ist allerdings noch nicht gesprochen, wie Götte berichtet: Das Start-up Omeicos, eine Ausgründung aus dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, erforscht ein Medikament gegen Vorhofflimmern, das auf Omega-3-Fettsäuren basiert.
Am Anfang stand die Beobachtung, dass nicht die Fettsäuren selbst den Sinusrhythmus absichern helfen, sondern Zwischenprodukte ihres Stoffwechsels. Da sie allerdings schnell umgesetzt werden, haben die Wissenschaftler – unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung – eine stabilere Variante synthetisiert, das Eicosanoid-Analogon OMT-28.
Seit April 2019 wird es in der Phase-2-Studie PROMISE-AF bei persistierendem Vorhofflimmern geprüft. Eine Besonderheit: Zur kontinuierlichen Kontrolle tragen die bis zu 120 Patienten einen implantierten EKG-Rekorder.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Experte hält Warnung für angebracht: Fischöl-Kapseln und Vitamin D3 ungeeignet zur Primärprävention von Arrhythmien - Medscape - 30. Apr 2021.
Kommentar