Der Importstopp für Cytotec® (Misoprostol) ist weniger für die Geburtseinleitung ein Tiefschlag. Bei etlichen anderen Indikationen der Frauenheilkunde wird es zu Problemen kommen, erwarten Fachverbände.
Misoprostol wurde ehemals zur Prophylaxe und zur Behandlung von Duodenalulzera eingesetzt. Seit Jahre ist dieses Prostaglandin E1-Analog in Deutschland unverzichtbarer Standard zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, zur Vorbereitung des verschlossenen Gebärmutterhalses auf das Einsetzen der Spirale, zur Vorbereitung vaginaler Eingriffe wie Kürettagen nach Fehlgeburten und zur Intervention bei postpartalen schweren Blutungen.
Ins Zwielicht gelangte das Arzneimittel durch Berichte in der Süddeutschen Zeitung und des Bayerischen Rundfunks im Februar 2020. Sie legten nahe, dass Misoprostol zur Geburtseinleitung und zur Unterstützung der Wehentätigkeit in Deutschlands Geburtskliniken ohne ausreichende Expertise und nicht in der sinnvollen Dosis von 25 µg pro Applikation angewendet würde. Vielmehr würden Ärzte 200 µg des Wirkstoffs verabreichen, was 1 ganzen Tablette Cytotec® entspricht. Dadurch kämen Mütter und Kinder vielfach zu Schaden, hieß es. In Berichten wurde kolportiert, Hebammen würden Tabletten allenfalls zerbröseln, um die Dosis zu verringern.
Kritik medizinischer Fachgesellschaften
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) setzt sich zusammen mit anderen Fachgesellschaften entschieden gegen diese Hypothesen zur Wehr: „Die Behauptung, dass sich die Ärzte hierbei lediglich auf Erfahrungswerte und Anwendungsbeobachtungen stützen, ist falsch“, heißt es in einer Pressemeldung. „Es gibt keinen Wirkstoff zur Geburtseinleitung, der ähnlich gut in Studien untersucht wurde.“ Misoprostol werde in den Krankenhausapotheken sachgerecht aufbereitet und in der für die Geburtshilfe geeigneten Dosierung an die Kreißsäle abgegeben.
Forcierte Geburtseinleitungen, wie von den Medien beschrieben, seien nicht leitliniengerecht und würden der geübten Praxis nicht entsprechen, außerdem sei Misoprostol international in der Geburtshilfe Standard. „(Wir sind) irritiert über die aktuelle einseitige Berichterstattung, die zu einer unnötigen und gefährlichen Verunsicherung der Schwangeren und der in die Betreuung der Schwangeren eingebundenen Fachkräfte führt“, schreiben die Fachgesellschaften.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) registrierte in zeitlichem Zusammenhang zur Berichterstattung zahlreiche spontane Nebenwirkungsmeldungen aus der Geburtshilfe. Es hat solche Berichte nicht auf deren Richtigkeit hin überprüft. Dennoch gab das Institut im März 2020 einen Rote-Hand-Brief heraus. Darin wird gewarnt, Cytotec®-Tabletten seien nicht teilbar. Außerdem sei es bei Off-label-Anwendungen zu schweren Nebenwirkungen gekommen.
Importstopp im Hintergrund vorbereitet
Seitdem gab es, von wissenschaftlichen Fachgesellschaften und vom Berufsverband der Frauenärzte (BVF) unbemerkt, Bestrebungen im BfArM und im Bundesgesundheitsministerium, den Import des Arzneimittels vollständig zu unterbinden. KohlPharma, EurimPharm und Emra, die 3 Importeure des Arzneimittels, haben deshalb ihre Zulassung zurückgegeben. Im April 2021 erfolgt noch ein Abverkauf, danach steht Misoprostol als Import-Arzneimittel in 200µg-Dosierung bundesweit nicht mehr zur Verfügung.
Medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche nur noch unter großem Aufwand möglich
Für die Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung ist das kein großes Problem. Inzwischen hat KohlPharma eine Zulassung für ein 25µg-Präparat für diese Indikation.
Frauenärzte hat der Importstopp jedoch an anderer Stelle kalt erwischt. Über 30% aller Schwangerschaftsabbrüche werden heute medikamentös durchgeführt. Dabei veraabreichen Gynäkologen meist Cytotec® off label, weil die Verwendung von MisoOne®, das für die Indikation zugelassen ist, einen erheblich größeren Aufwand an Dokumentation und Verwaltung mit sich bringt und auch deutlich kostspieliger ist. Da der Schwangerschaftsabbruch in den meisten Fällen keine gesetzliche Leistung darstellt, müssen Patientinnen tief in ihre eigene Tasche greifen.
Fachverbände und ärztliche Organisationen wehren sich
Die Kritik ließ deshalb nicht lange auf dich warten. Mitte April haben 16 Organisationen aus der Frauenheilkunde und der Frauengesundheit einen offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und an den BfArM-Präsidenten Prof. Dr. Karl Broich geschrieben.
Die Unterzeichner fordern, Erschwernisse für den Zugang zu Misoprostol in Deutschland wieder zurückzunehmen. Sie weisen auch darauf hin, dass Misoprostol in hoher Dosis gebraucht werde, um den Muttermund für zahlreiche gynäkologische Eingriffe vorzubereiten, etwa bei gestörter Frühschwangerschaft, bei intrauterinem Fruchttod, bei Fehlgeburten, beim Einlegen der Kupferspirale zur Notfall-Kontrazeption, bei operativen Eingriffen älterer Frauen, bei postpartalen und bei postoperativen Blutungen.
Gynäkologen vermissen Misoprostol schmerzlich
Wie geht es weiter? Sollte sich nichts ändern, müssen viele gynäkologischen Eingriffe ohne Vorbereitung der Zervix durchgeführt werden. „Abortcurettagen werden wir zukünftig ohne Softening der Zervix uteri durchführen müssen“, erläutert Dr. Axel Valet, Sprecher der AG Belegärzte und ambulante Operationen im Berufsverband der Frauenärzte. „MisoOne® hat zum einen dafür keine Zulassung, wäre dazu auch zu hoch dosiert. Und das 25µg-Präparat aus der Geburtshilfe ist zu niedrig dosiert.“ Für Patientinnen bedeute das eine höhere Verletzungsgefahr und eine längere Heilungsphase.
„Am meisten“, so Valet, „werde ich Cytotec® bei der lebensbedrohlichen postpartalen Uterusatonie vermissen.“ Hier sei das Medikament – nach einem Oxytocintropf – standardisierte Second-Line-Therapie und hoch effektiv. „Bislang habe ich zwei Cytotec®-Tabletten rektal verabreicht“, ergänzt der Gynäkologe. „Die Alternative wäre ein operatives Vorgehen mit Bakri-Ballonkatheter oder die Hysterektomie. Das kann eigentlich keiner wirklich wollen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Kein Cytotec® mehr verfügbar: Gynäkologische Chirurgen rechnen mit Problemen – es geht nicht um die Geburtseinleitung… - Medscape - 26. Apr 2021.
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