Stürze bei Senioren vermeiden: Nicht nur Kraft- und Balance-Training – praktische Tipps zur Sturzprophylaxe

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

26. April 2021

Häufigste Ursache von Stürzen im Alter sind – meist multifaktoriell bedingte – Gangstörungen. Treten Stürze wiederholt auf, ist die Prävention natürlich umso dringender. Welche Maßnahmen dabei in Frage kommen und was sich mit ihnen erreichen lässt, erläuterte der Internist, Geriater und Epidemiologe Prof. Dr. Kilian Rapp vom Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart auf dem 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der erstmals rein digital stattfand [1].

Etwa jede(r) Dritte über 65 stürzt einmal oder mehr pro Jahr

„Die Sturzrate bei Personen über 65 Jahre in Deutschland ist hoch“, verwies Rapp auf populationsbasierte Daten: Mehr als 30% dieser Altersgruppe stürzt mindestens einmal pro Jahr. Ursache sind oft mit Gang- oder Balancestörungen assoziierte Erkrankungen, die neurologisch (Parkinson), muskuloskeletal (Arthrose), kardiovaskulär (Arrhythmien), metabolisch (Hypoglykämie) oder psychisch (Depression) bedingt sein können.

Prof. Dr. Kilian Rapp

Die Grunderkrankung bietet dabei zwar einen Präventionsansatz: „Es sollte möglichst immer eine kausale Therapie der Gangstörung versucht werden“, so Rapp. Doch: „Da es sich meist um ein multifaktorielles Geschehen handelt, brauchen wir einen möglichst breiten Ansatz.“ 

 
Da es sich (bei der Gangstörung) meist um ein multifaktorielles Geschehen handelt, brauchen wir einen möglichst breiten Ansatz. Prof. Dr. Kilian Rapp
 

Sinnvolle Maßnahmen sind dabei z.B. ein physiotherapeutisches Kraft- und Balancetraining, eine Anpassung der Medikation sowie der Umgebung oder eine Besserung des Visus. Zusätzlich lassen sich die Sturzfolgen vermindern, etwa durch eine Osteoporose-Therapie, Hüftprotektoren und eine Anpassung des Untergrunds im Wohnbereich.

Strukturiertes Kraft- und Balancetraining besonders wirksam

„Höchste Evidenz für die Wirksamkeit einer Sturzprävention besteht für das strukturierte Kraft- und Balancetraining“, betonte der Stuttgarter Geriater. Der Erfolg setzt allerdings Kontinuität voraus: „Es sollte 2-mal pro Woche 45 bis 60 Minuten über mindestens 3 bis 6 Monate trainiert werden, noch besser lebensbegleitend.“ Als wichtigstes Prinzip dabei nannte Rapp das Training der Balance mit statischen, dynamischen und reaktiven Übungen, bei denen der Körper bewusst aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Kraftübungen – möglichst anstrengend – dienen vor allem der Kraftsteigerung in den unteren Extremitäten. 

 
Höchste Evidenz für die Wirksamkeit einer Sturzprävention besteht für das strukturierte Kraft- und Balancetraining. Prof. Dr. Kilian Rapp
 

Der Schwierigkeitsgrad sollte nach und nach gesteigert werden. „Bei konsequenter Durchführung eines solchen Kraft- und Balancetrainings lässt sich die Sturzrate um bis zu 40% reduzieren“, so Rapp. Gut zur Sturzprophylaxe eignet sich, wie Studien belegen, hier z.B. auch konsequent durchgeführtes Tai-Chi. 

 
Bei konsequenter Durchführung eines solchen Kraft- und Balancetrainings lässt sich die Sturzrate um bis zu 40% reduzieren. Prof. Dr. Kilian Rapp
 

Eine Alternative für Personen, für die ein strukturiertes Training nicht in Frage kommt, ist das aus Australien stammende LiFE-Programm: Hier werden Übungen in das tägliche Leben eingebaut, wie z.B. das Zähneputzen auf einem Bein oder wiederholtes Abspreizen eines Beins beim Stehen am Küchentisch.

Als besonders effektiv – mit einer Reduktion der Sturzrate um sogar etwa 50% – beschrieb Rapp das Perturbationstraining: Dabei steht die trainierende Person durch ein Gurtsystem gesichert auf einer Unterstützungsfläche (z.B. einer Art Gangway oder einem Laufband) und erfährt unvorhersehbare Auslenkungen dieser Fläche in unterschiedliche Richtungen, die ihren Körper in ein Ungleichgewicht bringen und auf die reagiert werden muss. Das Besondere: „Bereits eine einzige Trainings-Session kann ausreichen, um den gewünschten Effekt für ein Jahr oder sogar länger zu erhalten“, erklärte Rapp.

Vorsicht bei der Medikamenten-Neuverordnung

Um Risiko von Stürzen zu verringern, sollte das Augenmerk aber auch auf die Medikation gerichtet werden. Bekannt ist, dass dieses Risiko etwa durch psychotrope Medikamente und Antihypertensiva zunehmen kann: „Besonders wenn solche Medikamente neu verordnet werden, sollte deshalb das geriatrische Prinzip gelten: Start low and go slow“, empfahl der Mediziner. 

 
Besonders wenn solche Medikamente neu verordnet werden, sollte deshalb das geriatrische Prinzip gelten: Start low and go slow. Prof. Dr. Kilian Rapp
 

Eine Zufuhr von Vitamin D bringt Rapp zufolge nach aktueller Studienlage nur bei niedrigen Serumspiegeln des Vitamins etwas. In diesen Fällen wirkt die Substitution nicht nur günstig auf die Knochen, sondern fördert auch die Muskelkraft und reduziert dadurch die Sturzhäufigkeit. Daneben sollte gegebenenfalls an eine eventuelle antiresorptive Medikation (z.B. mit Bisphosphonaten) gedacht werden.

Zu komplementären Maßnahmen zählen die Visus-Verbesserung (z.B. durch Katarakt-Operation) und eine Umgebungsanpassung (z.B. durch Beleuchtungssensoren, altersgerechtes Mobiliar, Installation von Haltemöglichkeiten im Sanitärbereich, Beseitigung von Stolperfallen). Hüftprotektoren können vor allem für Personen mit deutlich erhöhtem Sturzrisiko sinnvoll sein, um Hüftfrakturen vorzubeugen – sowohl im Pflegeheim als etwa auch bei der Neuaufnahme gebrechlicher Personen ins Krankenhaus. In Institutionen wie Pflegeheimen kann es schließlich auch angebracht sein, einen harten Boden durch weicheres Fußbodenmaterial zu ersetzen, welches Stürze besser absorbiert.

Zunächst Gehen und Gleichgewicht abklären

An die Sturzprävention und Verbesserung der Bewegung ist Rapp zufolge vor allem dann zu denken, wenn anamnestisch mehr als ein Sturz in den vergangenen 12 Monaten angegeben wird, neue Probleme mit dem Gehen und Gleichgewicht aufgetreten sind oder die Praxis bzw. Notaufnahme akut aufgrund eines Sturzes aufgesucht wird.

Bei (nur) einem Sturz im vergangenen Jahr empfiehlt sich vor weiteren Maßnahmen zunächst eine Abklärung des Gehens und des Gleichgewichts. Vor kurzem in aktualisierter Form erschienen ist ein Empfehlungspapier der Bundesinitiative Sturzprävention (BIS) für das körperliche Gruppentraining bei älteren, zu Hause lebenden Menschen. Es enthält z.B. auch einen Algorithmus zur Einschätzung der individuellen Sturzgefährdung und Zuordnung der dafür geeigneten Interventionsform.

Als Beispiele für Programme in der Praxis nannte Rapp die Initiativen Trittsicher durchs Leben (mit bereits rund 4.500 für Teilnehmer kostenlos veranstalteten Bewegungskursen im ländlichen Raum) und das im Aufbau befindliche Programm SicherGehen der AOK Baden-Württemberg.

Gerade in Pandemiezeiten sind zunehmend auch digitale Programme und Apps von Interesse, die es bisher allerdings in erster Linie in angelsächsischen Ländern wie UK und Australien gibt. So bietet die britische Initiative „Make Movement your Mission“ älteren Menschen über das Internet 3-mal täglich etwa 20-minütige „Movement Snacks“ als Live-Veranstaltungen an. In verschiedenen Projekten, so der Stuttgarter Mediziner, würden nun aber auch in Deutschland digitale Angebote zur Bewegungsförderung und Sturzprävention erarbeitet.

 

Kommentar

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