Diagnose MINOCA – neu in den Leitlinien der ESC: Was tun, wenn das Troponin hoch, aber die Koronarien offen sind?

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

23. April 2021

6 bis 9% aller Patienten, die mit akuter Herzinfarkt-Symptomatik in die Kardiologie kommen, zeigen einen Myokard-Infarkt ohne Obstruktion der Koronararterien (MINOCA). Die Leitsymptome sind erhöhte Troponin-Werte und infarkt-spezifische Beschwerden, die aber durch die Angiografie nicht zugeordnet werden können.

Prof. Dr. Christian W. Hamm

Nun hat die European Society of Cardiology (ESC) MINOCA als neues Kapitel erstmals in ihre Leitlinien zum Management von Patienten mit akuten Koronarsyndromen ohne persistente ST-Hebung aufgenommen. „Es wurde Zeit“, so die Meinung von Prof. Dr. Christian W. Hamm, Leiter der Medizinischen Klinik I der Justus-Liebig-Universität Gießen. Bei einer Session zum Thema NSTE-ACS auf dem diesjährigen virtuellen Kongress der Gesellschaft für Kardiologie (DKG) nannte er die Gründe [1].

Denn laut genaueren Analysen handelt es sich tatsächlich bei 6 bis 9% der Myokardinfarkte um MINOCA – und diese Patienten haben eine 1-Jahres-Mortalität von 4,7%. Das bedeutet: 3 bis 4 von 1.000 Patienten mit Myokardinfarkt sterben im Zusammenhang mit einem MINOCA – und dabei handelt es sich vornehmlich um jüngere Patienten unter 50 Jahren. Frauen sind übrigens in dieser Gruppe eher über- als unterrepräsentiert, im Gegensatz zu den Herzinfarkten mit Obstruktion der Koronarien, bei denen Männer etwa doppelt so häufig betroffen sind.

Diagnose eines MINOCA in 3 Stufen

Doch wie diagnostiziert man einen MINOCA? Zunächst handelt es sich um eine Arbeitsdiagnose, die sich aus 3 Teilen zusammensetzt:

  • Erstens muss eine Troponin-Dynamik mit mindestens einem Messwert oberhalb der 99. Perzentile der Referenzregion und zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien vorliegen: Symptome einer myokardialen Ischämie, neue EKG-Veränderungen, pathologische Q-Wellen, Narbenbildung oder regionale Wandbewegungsstörungen oder Thromben in der Angiografie.

  • Zweitens dürfen in der Angiografie keine arteriosklerotischen Stenosen erkennbar sein, die mehr als 50% des Arterienlumens verschließen. Dies ist der Hauptunterschied zu einem klassischen obstruktiven Infarktgeschehen.

  • Drittens müssen andere möglich Ursachen, die zu Troponin-Erhöhungen führen können, wie Sepsis, Lungenembolie und Myokarditis, ausgeschlossen werden.

Charakteristisch für den MINOCA sind – neben einer Troponin-Dynamik – eine Plaque-Ruptur oder -Erosion, eine Dissektion, ein Spasmus, eine Embolie oder auch eine mikrovaskuläre Dysfunktion in den Koronaren, auf die sich eine ischämische Symptomatik zurückführen lasse, erläuterte Hamm.

Kardiale Bildgebung auf hohem Niveau ist gefragt

Die kardiale Bildgebung mit Magnetresonanztomografie (MRT) und Optischer Kohärenz-Tomografie (OCT) spielen bei der Diagnose des MINOCA eine entsprechend große Rolle, um zu ermitteln, welche pathologischen Vorgänge für die Troponin-Erhöhung oder -Dynamik ursächlich sein könnten.

Therapeutische Studien gibt es allerdings bisher leider noch nicht, bedauerte Hamm und forderte für die Zukunft ebensolche.

Insofern können die Leitlinien bislang auch nur empfehlen, Fälle mit MINOCA bekannter Ursache auf diese hin zu therapieren und bei Fällen mit unbekannter Ursache eine Sekundärprävention wie bei arteriosklerotischen Erkrankungen mit Thrombozytenhemmung und Lipidsenkung vorzunehmen.

„Der Bildgebung mit MRT und OCT kommt zur Diagnose eines MINOCA große Bedeutung zu“, resümierte Hamm. „Man sollte Fälle von Infarktverdacht eben nicht als gutartig und harmlos kategorisieren, wenn die Angiografie keine Erklärung für pathologische Troponin-Werte und eine ischämische Symptomatik bietet. Die Betroffenen, oft jüngere Frauen, unterliegen doch einem nicht unerheblichen Risiko für Mortalität oder Reinfarkt.“

 
Man sollte Fälle von Infarktverdacht eben nicht als gutartig und harmlos kategorisieren, wenn die Angiografie keine Erklärung für pathologische Troponin-Werte und eine ischämische Symptomatik bietet. Prof. Dr. Christian W. Hamm
 

Mehr Beachtung für MINOCA-Fälle

Bei einer früheren Untersuchung an der Klinik für Kardiologie und Angiologie II des Universitäts-Herzzentrums Freiburg, Bad Krozingen, wurden Daten von Patienten ausgewertet, die sich von Oktober 2015 bis Dezember 2016 mit typischen Symptomen eines Herzinfarktes und erhöhtem Troponin T vorgestellt hatten. Von 1.532 angiografisch untersuchten Patienten erfüllten 546 Patienten die geforderten Kriterien für die Diagnose eines Herzinfarktes. Bei 429 dieser Patienten wurde eine Verengung der Herzkranzgefäße als Ursache ihrer Beschwerden festgestellt („klassischer Herzinfarkt“).

Die übrigen 117 Patienten (etwa 20%) zeigten keine höhergradigen Verengungen der Herzkranzgefäße. 88 hatten einen Myokardinfarkt Typ-II, der aufgrund eines Missverhältnisses zwischen Sauerstoffversorgung und Sauerstoffbedarf des Herzmuskels entsteht, z.B. durch schwere Infektionen oder auch schwere Herzrhythmusstörungen. Weitere 2 Patienten litten an einer Herzmuskelentzündung und 4 Patienten an einer Embolie, bei der ein Blutgerinnsel aus der Herzkammer in ein Herzkranzgefäß gewandert war.

Die verbliebenen 23 Patienten (in diesem Fall etwa 4%), bei denen die Ursache für dieses Ereignis nicht sofort erkennbar war, erhielten die Verdachtsdiagnose MINOCA. Erst verschiedene weitere Untersuchungen, wie Ultraschall in den Herzkranzgefäßen oder ein MRT des Herzens, halfen hier die eigentliche Ursache des Herzinfarktes zu bestimmen. Dies waren vor allem aus den Herzkranzgefäßen stammende Embolien, Einrisse in der Gefäßwand, das Takotsubo-Syndrom oder ein Spasmus der Gefäße.

Hamm erhofft sich für die Zukunft mehr Aufmerksamkeit für das Krankheitsbild: „Durch die Aufnahme von MINOCA in die ESC-Leitlinien wird in Zukunft dieser Diagnose hoffentlich mehr Beachtung geschenkt, und es werden gezieltere Behandlungskonzepte entwickelt werden“, sagte er abschließend. 

 
Durch die Aufnahme von MINOCA in die ESC-Leitlinien wird in Zukunft dieser Diagnose hoffentlich mehr Beachtung geschenkt. Prof. Dr. Christian W. Hamm
 

 

Kommentar

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