In seinem Video erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener den Wissensstand zu Sinusvenen-Thrombosen und Thrombozytopenie nach Corona-Impfung. Außerdem: Wichtiges zum Einsatz von Antikonvulsiva bei Epilepsie.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Hans Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. In diesem Monat möchte ich das Thema Sinusvenen-Thrombosen nach COVID-19-Impfung ansprechen sowie neue Studien zur Behandlung der Epilepsie vorstellen.
Sinusvenenthrombosen nach Covid-19-Impfung
Sie wissen, dass es in Europa inzwischen über 100 berichtete Fälle von zerebralen Sinusvenen-Thrombosen nach einer COVID-19-Impfung gibt. Der Löwenanteil dieser Nebenwirkungen ist nach der Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca aufgetreten. Am 1. Mai 2021 wurden auch 12 Fälle aus den USA nach der Impfung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson berichtet [1]. In beiden Fällen handelt es sich um Vektor-basierte Impfstoffe.
Inzwischen hat die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Andreas Greinacher in Greifswald auch den Mechanismus entdeckt, wie es zu einer Thrombozytopenie und einer erhöhten Thrombose-Neigung kommt. Offenbar induziert die Impfung extrem selten bei den betroffenen Patienten die Entwicklung von Antikörpern gegen Plättchenfaktor 4 [2]. Das wurde auch in einer Studie in Norwegen gezeigt [3].
DGN-Erhebung: Auch über 60jährige Frauen betroffen
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat jetzt die Fälle gesammelt, die bis zum 14. April 2021 in Deutschland gemeldet worden sind [4]. Das sind 62 Fälle von zerebralen Sinusvenen-Thrombosen, aber auch einige ischämische Insulte und zerebrale Blutungen.
Von den 45 Sinusvenen-Thrombosen waren 82% nach Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca, 18% nach Impfung mit dem Impfstoff von BioNTech, aber kein Fall nach dem Impfstoff von Moderna aufgetreten.
Betroffen waren in 78% der Fälle Frauen. 80% der Betroffenen waren jünger als 60 Jahre. 58% dieser Patienten hatten Antikörper gegen Plättchenfaktor 4, davon kein Patient, der mit dem Impfstoff von BioNTech geimpft worden war.
Ganz wichtig ist, dass wir entgegen der Empfehlung der STIKO auch ein erhöhtes Risiko von Sinusvenen-Thrombosen bei Frauen im Alter über 60 Jahren gesehen haben, aber nicht bei Männern.
Ganz wichtig ist außerdem, dass das Risiko, an einer COVID-19-Infektion schwer zu erkranken oder daran zu sterben, ungleich höher ist als das Risiko, eine Sinusvenen-Thrombose nach der Impfung zu erleiden.
Wenn man an COVID-19 erkrankt, ist das Risiko einer Sinusvenen-Thrombose im Rahmen dieser Infektion ebenfalls 10mal erhöht. Es ist also ganz eindeutig, dass der Nutzen der Impfung immer noch weit höher liegt als das potenzielle Risiko.
Neu ist die Beobachtung, dass es durch diese Antikörper auch zu ischämischen Insulten und zu intrazerebralen Blutungen kommen kann.
Initiale Therapie von epileptischen Anfällen
Ein ganz anderes Thema: die Therapie von Epilepsien. Beim erstmaligen Auftreten von epileptischen Anfällen ist es sehr schwierig, eine Entscheidung zu treffen, mit welchem Antiepileptikum man die Behandlung beginnen soll.
Dazu gibt es ein tolles Studienprogramm aus Großbritannien – die sog. SANAD-Studien. In diesen pragmatischen Studien werden neu diagnostizierte Patienten anti-epileptisch behandelt und geschaut, wie lange sie die Therapie beibehalten. Wenn Patienten die Therapie abbrechen, dann machen sie das entweder, weil die Behandlung nicht gut wirkt oder weil es Nebenwirkungen gibt.
Vor mehreren Jahren gab es bereits das SANAD-I-Programm bei Patienten mit fokalen Anfällen [5]. In diesem Programm war Lamotrigin besser wirksam als Carbamazepin, Gabapentin, Oxcarbazepin und Topiramat. In der Studie mit generalisierten Anfällen war Valproinsäure überlegen gegenüber Lamotrigin und Topiramat.
Jetzt gibt es 2 neue SANAD-II-Studien. Eine an 990 Patienten mit neu diagnostizierter fokaler Epilepsie, die über 2 Jahre behandelt worden sind [6]. Hier war Lamotrigin besser wirksam als Zonisamid und Levetiracetam. Das lag überwiegend an der besseren Verträglichkeit. Wie Sie wissen, ist der Nachteil bei Lamotrigin, dass es langsam eindosiert werden muss.
Die 2. SANAD-II-Studie hat 500 Patienten mit generalisierten Anfällen untersucht und dort gezeigt, dass Valproinsäure besser war als Levetiracetam [7]. Das ist natürlich auf den ersten Blick überraschend. Dies lag aber einfach daran, dass Levetiracetam mehr Nebenwirkungen hatte als Valproinsäure.
Sie kennen natürlich die Einschränkung von Valproinsäure bei Frauen im gebärfähigen Alter. Die Substanz ist teratogen und darf dann nur verschrieben werden, wenn eine ganz zuverlässige Antikonzeption besteht und die Frauen gut aufgeklärt sind. Wenn das nicht gewährleistet ist, sollte Valproinsäure auch nicht verschrieben werden.
Fazit
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war zum einen eine wichtige Information zu Sinusvenen-Thrombosen nach COVID-19-Impfung. Die DGN ist der Meinung, dass es wahrscheinlich tatsächlich sinnvoll ist, Frauen mit anderen Impfstoffen als demjenigen von AstraZeneca zu impfen. Bei Männern sehen wir keine Einschränkungen.
Und zum anderen finden Sie hier 2 ganz wichtige Studien zum praktischen Einsatz von Antikonvulsiva bei neu aufgetretenen epileptischen Anfällen.
Ich bin Hans Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Welche Impfstoffe wie oft Sinusvenen-Thrombosen verursachen – und wichtige Infos zu Antikonvulsiva bei Epilepsie - Medscape - 17. Mai 2021.
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