Onkologie im Gespräch: Neue Substanzen bei Darmkrebs, Strategie gegen Metastasen und wie man „immunogen kalte Tumore heiß macht“

PD Dr. Georgia Schilling Prof. Dr. Dirk Arnold

Interessenkonflikte

7. Oktober 2021

PD Dr. Georgia Schilling diskutiert mit Prof. Dr. Dirk Arnold die spannendsten Studien vom europäischen Krebskongress zum Kolorektalkarzinom, Kolonkarzinom und Metastasen in der Leber

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling und Prof. Dr. Dirk Arnold:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich in mittlerweile guter alter Tradition meinen Chef, Prof. Dr. Dirk Arnold, als Experten zu den Highlights im Bereich der gastrointestinalen Tumoren auf dem ESMO-Kongress 2021 interviewen zu dürfen.

Prof. Arnold ist Medizinischer Direktor des Asklepios-Tumorzentrums Hamburg. Mein Name ist Georgia Schilling, ich bin dort die leitende Oberärztin.

Dirk, Dir erst mal ganz herzlichen Dank, dass Du wieder mein Interviewpartner bist und uns mit Deiner Expertise unterstützt.

In den letzten Jahren sind wir beim Kolorektalkarzinom nicht – so wie in anderen Entitäte – mit neuen Substanzen oder neuen Wirkungsprinzipien verwöhnt worden. Aber dieses Jahr gab es auf dem ESMO-Kongress doch einige vielversprechende Studien mit neuen Substanzen oder auch neuen Therapieprinzipien.

KRYSTAL-1-Studie mit Adagrasib

Wir steigen gleich mit einem der spannendsten Abstracts ein, das auch im Präsidentensymposium präsentiert worden ist. Da geht es um Adagrasib, einem Inhibitor der KRAS-G12C-Mutation. Durch diese Inhibition kommt es zu einer Reaktivierung des EGFR-Stoffwechselwegs.

Diese Mutationen treten bei 3-4% der Kolorektalkarzinome auf und sie zeichnen sich durch eine schlechte Prognose aus, so dass hier dringend Handlungsbedarf besteht.

In der KRYSTAL-1-Studie, die jetzt beim ESMO-Kongress präsentiert worden ist, wurde die Substanz in Monotherapie und in Kombination mit Cetuximab eingesetzt [1].

Wir haben m.E. sehr beeindruckende Ansprechraten und sehr gute Krankheitskontrollraten in Mono- und Kombinationstherapie gesehen bei einer recht geringen Toxizität. Wo siehst Du die Substanz in der Zukunft?

Arnold: Vielen Dank für die Frage und die Einleitung. Man sieht diese Substanz natürlich bei den Patienten mit dieser KRAS-G12C-Mutation. Aber das sind ja nur etwa 3%.

Man muss dann auch nachsehen, ob man sie in Monotherapie oder mit der Kombination behandelt werden sollten. Das ist in dieser Studie jetzt mit dem speziellen Upstream-Mechanimus, also mit der EGFR-Inhibitor-Kombination untersucht worden.

Die Effektivität war höher mit der Kombination, das war schon spürbar, auch wenn sich für die Monotherapie ein durchaus sehr befriedigendes Ansprechen von 22% und 60% Stable Disease ergab. Die Substanz ist also sehr effektiv. In der Kombination war das noch etwas besser.

Eine Kombination ist sinnvoll z.B. mit einem Upstream-Inhibitor, weil die Patienten wieder zum Wildtyp werden und der deswegen auch gehemmt werden kann. Oder mit einem Downstream-Inhibitor, wie einem MEK-Inhibitor oder einem Inhibitor des Aktivators dieser Mutation, dem SOS-Protein (Son of Sevenless), das eine ganz wichtige Steuerfunktion hat. Beim Lungenkarzinom wird diese Kombination schon untersucht.

Adagrasib wird vermutlich in Kombination eingesetzt und bei Patienten mit KRAS-G12C-Mutation, das ist klar definiert.

Schilling: Also warten wir, was die Zukunft bringt und sehen wir, ob wir das dann so erfolgreich einsetzen können wie beim Bronchialkarzinom.

MAYA-Studie mit Temozolomid

Schilling: Ein weiteres neues Wirkprinzip hat mich total fasziniert, und zwar, dass man aus immunogen kalten Tumoren immunogen heiße Tumoren machen will. Das fand ich persönlich sehr spannend.

In der MAYA-Studie wurden Patienten untersucht, die Mikrosatelliten-stabil (MSS) waren und einen methylierten MGMT-Promoter hatten [2]. Das kennen wir vom Gliom, da ist die Methylierung des MGMT prädiktiv und prognostisch. Eine wiederum sehr kleine Anzahl von Patienten mit Kolonkarzinom, nur 5%, weisen diese Kombination auf.

Sie wurden in der Studie untersucht. Nach einer Priming-Phase erhielten sie Temozolomid und Immuncheckpoint-Inhibitoren. Die Studie hat den primären Endpunkt progressionsfreies Überleben erreicht.

Wir müssen trotzdem nochmal darüber sprechen, dass letztendlich nur ein sehr kleiner Teil der Patienten profitiert hat. Wie siehst Du das?

Arnold: Das ist auch eine kleine Gruppe, man muss ja erst mal die Patienten mit einem methylierten MGMT-Status und MSS finden. Gescreent wurden über 700 Patienten, von denen letztendlich 33 die zweite Studienphase erreichten.

Ich bin mir auch bezüglich der Wirksamkeit noch nicht so wahnsinnig sicher, weil das Studiendesign so war, dass Patienten – mit methyliertem MGMT-Status, MSS-Status, die refraktär auf Chemotherapie waren – 2 Zyklen Temozolomid erhalten haben. Die Idee war ein Priming, also dass die Patienten durch Temozolomid permutieren, was klinisch gut gezeigt ist.

Dann folgte die Immuntherapie-Kombination. Ab diesem Moment wurde das Ansprechen ausgewertet. Bei 3 Viertel der Patienten konnte die Erkrankung kontrolliert werden. 40% haben – obwohl refraktär auf Chemotherapie – nochmal angesprochen, das ist durchaus gut.

Aber es handelt sich allerdings auch um eine Auswahl von Patienten nach molekularen Kriterien. Es wurden nur Patienten in die Studie aufgenommen, die aus dieser Priming-Phase ohne Progression herauskamen. Hierbei ist eine ganze Anzahl von Patienten verloren gegangen. Die Erkrankung ist bei ihnen schon während der Priming-Phase fortgeschritten.

Man muss weiter analysieren, welche Patientengruppe wirklich von diesem Vorgehen profitieren kann.

Schilling: Gibt es Erfahrungen aus anderen Entitäten oder nur aus Zellkulturen?

Arnold: Neben den klinischen Daten sind es auch viele präklinische Daten gewesen, die die verschiedenen Kombinationen von MGMT-Silencing bzw. Temozolomid in Kombination mit Chemotherapie oder anderen Therapien untersucht hatten. Aber das ist bislang die wirksamste Kombination.

FOCUS-4-Studie mit Adavosertib

Schilling: Als weitere neue Substanz wurde Adavosertib vorgestellt mit Daten aus der FOCUS-4-Studie [3,4]. Adavosertib ist ein Inhibitor der WEE1-Kinase, der bei einer größeren Patientenkohorte mit RAS- und TP53-Mutation eingesetzt worden war. Davon sind zwischen 30 und 40% der Kolorektalkarzinome betroffen.

Sie haben Adavosertib nach einer Chemotherapie-Phase in einer stabilen Erkrankungssituation erhalten.

Arnold: Das ist eine ganz relevante Studie auch wenn die klinische Situation mit der Maintenance etwas artifiziell war. Aber das gibt es bei anderen Tumorarten wie dem Ovarialkarzinom ja auch.

Es war eine große britische randomisierte Studie. Die Patienten, die stabil nach platinhaltiger Chemotherapie waren, erhielten randomisiert Adavosertib oder Placebo.

Die These war, dass sie 7 Monate progressionsfrei sein sollten. Dies wurde erfüllt. Die PFS-Verbesserung war deutlich mit einer Hazard-Ratio von 0,35. Es zeigte sich eine gewisse Abhängigkeit von der Tumorlokalisation. Bei linksseitigen Primärtumoren war der Effekt mit einer HR von 0,24 sehr groß, bei rechtseitigen Tumoren war er fast gar nicht da (HR = 1,02).

Dazu hatten wir vorher noch keine Hypothese, warum das der Fall sein könnte. Da muss man weiter nachgucken, welche sonstigen molekularen Strukturen oder Veränderungen hier zugrunde liegen könnten, da die Studie so heterogen im Ergebnis ist.

Schilling: Aber würdest Du das jetzt tatsächlich in der Erhaltungstherapie sehen?

Arnold: Es ist bislang das beste Label, das wir für die Substanz haben. Ob die Substanz upfront wirksam ist mit genau der Selektion von Patienten mit einer vorherigen Platin-haltigen Therapie müssen wir noch klären. In der klinischen Routine sehe ich den Ansatz noch gar nicht, aber es ist ein Ansatz.

EPOCH-Studie mit Radioembolisation

Schilling: Zum Schluss kommen wir nochmals auf ein bekanntes Therapieprinzip zu sprechen, die Radioembolisation. In der Phase-3-Studie EPOCH wurde Yttrium-90 in der 2. Linie eingesetzt. Die primären Endpunkte waren progressionsfreies Überleben (PFS) und hepatisches PFS.

Eingeschlossen waren Patienten mit meist schon sehr fortgeschrittener Lebermetastasierung, 2 Drittel hatten mehr als 6 Lebermetastasen.

In den beiden primären Endpunkten wurde ein deutlicher Vorteil gesehen bei guten Hazard-Ratios, aber das hat sich nicht in das Gesamtüberleben (OS) übersetzt. Hast Du da eine Begründung?

Arnold: Nein, noch nicht. Man kann argumentieren, dass es möglicherweise die nachfolgenden Therapielinien sind, die den Effekt auf das progressionsfreie Überleben verwässert haben. Wir kamen immerhin von einer HR von 0,69. Es ist schon seltsam, dass hiervon gar nichts beim OS zu sehen ist.

Wir wissen auch nicht, was die Radioembolisation sonst noch mit der Leber gemacht hat, ob die Anzahl und Dichte der Folgetherapien noch genauso möglich war. Dazu liegen noch keine Daten vor, wie wir überhaupt viele spannende Daten noch gar nicht vorliegen haben.

Beispielsweise ist unklar, wie lange die Patienten im experimentellen Arm mit Chemotherapie und Radioembolisation behandelt worden sind im Vergleich zu Patienten, die nur Chemotherapie erhalten haben. Es gibt auch keinen Vergleich der Lebensqualität.

Es könnte ja durchaus sein, dass mit einem verbesserten PFS und einem höheren Ansprechen Patienten kürzer behandelt worden sind, wenn sie radioembolisiert worden sind, dann eine gute Lebensqualität hatten mit einer stabilen Erkrankung über einen längeren Zeitraum ohne weitere Therapie. Das wäre dann ein ziemlicher Gewinn, selbst wenn sich das nicht 1:1 ins Gesamtüberleben überträgt.

Diese Daten fehlen noch. Man lernt daraus, dass die Radioembolisation wirkt –  im Gegensatz zu einigen bislang vorgelegten negativen Studien. Aber wir müssen noch mehr wissen, für welche Patienten sie geeignet ist und was der Effekt auch aus dieser Studie heraus ist.

Schilling: Ich dachte, dass man vielleicht nicht immer nur auf das Gesamtüberleben schauen sollte. Vielleicht ist das PFS doch ein härterer Endpunkt für die Patienten, als wir immer denken.

Arnold: Ja, wenn er mit der messbaren Lebensqualität in Verbindung steht. Die Patienten haben was von einer Zeit ohne Progression, wenn sie keine Beschwerden und keine giftige Therapie haben. Aber das sehen wir aus den Daten dieser Studie nicht. Sie ist deshalb ein halb vollendetes Werk.

Schilling: Wir sind damit am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dirk, ich danke Dir ganz herzlich für die Kommentare. Das war wie immer sehr spannend, auch für unser Publikum.

Damit sage ich Tschüss aus Hamburg.
 

Kommentar

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