Vom Broken- zum Happy-Heart-Syndrom: ein Mysterium mit vielen Triggern, schwieriger Diagnose und eher schlechter Prognose

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

22. April 2021

Das Broken-Heart-Syndrom, auch als Takotsubo-Myokardie bezeichnet, ist eine ernstzunehme Erkrankung, die immer mehr erforscht wird, aber selbst Spezialisten immer noch viele Rätsel aufgibt. So lautet die Essenz einer translationalen Sitzung zu neuen Klinik-, Register- und Forschungsdaten zu der schwer zu behandelnden Herzmuskelerkrankung auf dem Online-Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) [1].

 
Beim Takotsubo-Syndrom handelt es sich um ein Krankheitsbild, das immer relevanter wird. Prof. Dr. Ingo Eitel
 

„Beim Takotsubo-Syndrom handelt es sich um ein Krankheitsbild, das immer relevanter wird“, sagte Prof. Dr. Ingo Eitel, Universitäres Herzzentrum Lübeck. Das um 1990 zum ersten Mal beschriebene Syndrom wurde aufgrund der ähnlichen Morphologie der linken Herzkammer bei Betroffenen nach einem bauchigen und enghalsigen japanischen Gefäß für den Tintenfischfang benannt (japanisch tako: Oktopus, tsubo: Pott).

Auch durch Organschäden können „Herzen brechen“

Unter anderem erschwerten verschiedene Trigger, die nicht nur psychischer, sondern auch physischer Natur sein können, ein Erkennen der Erkrankung, bemerkte Eitel, Studienleiter des seit 2017 geführten internationalen GErman Italian Spanish Takotsubo (GEIST) Registers. Außerdem gestalten sich die Symptome und Schädigungen des Myokards meist unspezifisch.

 
Das Takotsumo-Syndrom ist unterdiagnostiziert, unterschätzt und wird immer noch nicht richtig verstanden. Prof. Dr. Christian Templin
 

Eine insgesamt steigende Inzidenz und immer mehr physische und neurologische Trigger beobachtet auch Prof. Dr. Christian Templin, Leitender Arzt für Kardiologie am Unispital Zürich. „Das Takotsumo-Syndrom ist unterdiagnostiziert, unterschätzt und wird immer noch nicht richtig verstanden“, so seine Einschätzung. Seit 10 Jahren führt Templin am Universitären Herzzentrum in Zürich das weltweit größte internationale Takotsumo-Register, „um die Erkrankung besser zu charakterisieren und als Grundlage für Studien“, erklärte er.

Prognose ähnlich schlecht wie nach Myokardinfarkt

In den meisten Fällen sei die Erkrankung reversibel, heile also komplett aus – das sei jedoch kein Indikator für eine gute Prognose, betonte Eitel. „Wir haben früher gedacht: Wenn es ausheilt, kann es nicht schlimm sein und haben daher eine gute Prognose erwartet. Die Mortalität ist aber deutlich höher als vermutet und ähnlich wie bei Patienten mit einem Myokardinfarkt: „Fast 30% sterben innerhalb von 5 Jahren nach dem Auftreten des Syndroms“, berichtete Eitel.

„Da wir also ein signifikantes Risiko im Verlauf zu versterben beobachten, fragen wir uns: Was ist das Problem?“ Die Erfahrung habe gezeigt, dass viele Takotsubo-Patienten nicht an kardiovaskulären Ursachen, sondern an unterschiedlichen Komorbiditäten wie Malignomen oder Diabetes versterben. Menschen mit diesen Begleiterkrankungen weisen ein wesentlich höheres Risiko für eine schlechte Prognose auf, so der Experte.

Häufig gehe ein Takotsubo-Syndrom (TTS) mit einem Malignom einher. Daher führt Eitels Team in Lübeck bei Patienten mit dieser Erkrankung eine kleine Tumorsuche durch. „Im Rahmen einer Tumorerkrankung gibt es diverse Punkte, bei denen ein Takotsubo auftreten kann – zum Zeitpunkt der Diagnose, zu Beginn der Chemo, nach überstandener Krebserkrankung, dann als Happy-Heart Syndrom, oder während der Operation – all das könnten Trigger sein“, kommentierte Templin.

 
Fast 30% sterben innerhalb von 5 Jahren nach dem Auftreten des Syndroms.  Prof. Dr. Ingo Eitel
 

Mittlerweile sind diverse Prädiktoren für eine schlechte Prognose bekannt. Dazu zählen neben Krebserkrankungen physiologische Trigger, neurologische Erkrankungen, Diabetes und männliches Geschlecht, zählte Eitel auf. Rund 80-90% der Betroffenen seien Frauen nach der Menopause; bei den weniger betroffenen Männern liege die Mortalitätsrate jedoch deutlich höher als bei Frauen. Gründe für die schlechte Prognose bei Männern, die im Schnitt etwas jünger sind als betroffene Frauen, seien noch nicht bekannt.

Viele Takotsubo-Patienten entwickeln während des Klinikaufenthalts eine schwere Herzinsuffizienz – auch diese Gruppe verzeichne eine hohe Mortalität, so Eitel. Gleiches gelte für die 10% der Takotsubo-Patienten mit kardiogenem Schock.

Diagnose mit Hilfe von Biomarkern

Symptome des Broken-Heart-Syndroms lassen sich von denen eines Herzinfarkts – plötzlich einsetzende Luftnot, linksthorakale Schmerzen – nicht unterscheiden. Deshalb ziehen Ärzte bei der Diagnostik unter anderem kardiale Biomarker heran.

Bei den meisten Patienten sei keine KHK oder andere Pathologie des Herzens beobachtbar, jedoch ein „moderater Anstieg“ kardialer Marker, sagte Eitel. „BNP ist meist deutlich, Troponin dagegen nur leicht erhöht.“ Dahingehend sei das „Broken Heart“ vom Myokardinfarkt unterscheidbar. Sicherster Diagnoseweg sei die Katheter-Untersuchung, da ein Takotsubo-Patient meist keinen Verschluss der Herzkranzgefäße aufweise. Bei 13,5% der Patienten liegen Rhythmusstörungen vor; Nekrosen oder Fibrosen seien nicht nachweisbar, wohl aber häufig ein Ödem „als Zeichen für einen unspezifischen Myokardschaden“, so der Experte.

Allerdings sei in kleinen Studien immer wieder auch das gleichzeitige Auftreten des TTS mit einer KHK zu beobachten gewesen, sagte Templin. In einer 2020 veröffentlichten Studie am Universitätsspital Zürich wies sogar fast ein Viertel der TTS-Patienten eine KHK auf. „Die KHK ist also kein Ausschlusskriterium“, so seine Erkenntnis.

Kein einheitliches Behandlungsschema

Da Catecholamine die Problematik des kardiogenen Schocks verschärften, seien sie in der Therapie der Takotsumo-Patienten eher kontraindiziert, sagte Eitel. Allgemein gestalte sich die Behandlung schwierig; es gebe derzeit kein gültiges Behandlungsschema.

„Takotsumo ist ein ernsthaftes Problem, das zunehmend besser erkannt, wird, dessen therapeutische Konsequenz aber immer noch limitiert ist“ so Eitels Erkenntnis. Sein Team behandlt Betroffene im Grunde wie Infarktpatienten; aufgrund der akuten Lebensgefahr auch intensivmedizinisch. In Ausnahmefällen werde eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) eingesetzt, sagte der Experte.

„Bislang existieren keine prospektiven Studien zum Management, also keine Evidenz“, resümierte Templin. „Wir vermeiden Catecholamine; antikoagulieren bei schlechtem Score und überwachen die Patienten telemedizinisch für mindestens 48 Stunden“, so seine Strategie, die auch auf den Erkenntnissen des großen Züricher TTS-Patientenregisters fußt.

Weltgrößtes Patientenregister in Zürich

Anhand dieser Registerdaten wisse man nun, dass 90% der Takotsumo-Patienten weiblich seien und das Durchschnittsalter bei Männern bei 63 und bei Frauen bei 67Jahren liege, berichtete Templin. „Wir haben aber auch wesentlich jüngere Patienten und sogar Babys“. In der Gruppe der jüngeren Patienten befinden sich mehr Männer sowie mehr Patienten mit neurologischen und akuten psychiatrischen Erkrankungen.

Junge Patienten, sagte Templin, würden im Schnitt häufiger beatmet und reanimiert und erlitten eher einen kardiogenen Schock als ältere. Aktuelle Registerdaten zu diesen altersspezifischen Unterschieden bei Takotsumo-Patienten haben Temlin und Kollegen Journal of the American College of Cardiology (JACC) im April 2021 publiziert. „Wir wissen heute: physische Trigger überwiegen und können in jedem Organsystem liegen“, sagte Templin.

Happy-Heart-Syndrom als Unterform

Trigger, die zu einem „Syndrom des gebrochenen Herzens“ führen, reichen von Luftnot oder dem Einleiten einer Narkose bis hin zu psychischen Phänomenen wie Mobbing oder Angst vor einer schweren Erkrankung, so seine Erfahrung. Es gebe sogar eine Subgruppe von positiv-emotionalen Triggern, bei denen man von einem „Happy Heart Syndrom“ sprechen könne, so Templin.

Grundsätzlich sei die Erkrankung reversibel – das zeigten auch die Züricher Registerdaten – doch 5-10% der Betroffenen erkranken erneut. Bei diesem Rezidiv sei ein unterschiedlicher Trigger möglich, erklärte Templin.

Auf die Frage, ob sich ein „Broken Heart“ mit Zellen modellieren ließe, antwortete Prof. Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke von der Arbeitsgruppe Translationale Stammzellenforschung der Universitätsmedizin Göttingen, die mit ihrem Team unter anderem zum TTS forscht, noch sehr zögerlich. Bis zu einem gewissen Punkt sei das möglich, im 2D- oder 3D-Modell, fokussiert auf Kardiomyozyten, einen Zelltyp also, so ihre bisherige Erkenntnis.

Zellmodelle sollen neue Therapieoptionen zeigen

„Es ist zu diesem Zeitpunkt völlig ungeklärt, inwieweit die Genetik beim Takotsubo-Syndrom eine Rolle spielt“, erklärte Streckfuß-Bömeke auf dem DGK-Kongress. Genauso unklar seien Langzeitbehandlung und Pathophysiologie. Diese 3 großen Unbekannten, sagte sie, ranken sich immer noch um das „Syndrom des gebrochenen Herzens“. So bliebe auch die Frage inwiefern in vitro-Modelle der Erkrankung herstellbar seien, bislang weitgehend unbeantwortet.

 
Es ist zu diesem Zeitpunkt völlig ungeklärt, inwieweit die Genetik beim Takotsubo-Syndrom eine Rolle spielt. Prof. Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke
 

Herausgefunden habe man im Rahmen einer Kooperation mit dem Unispital Zürich, bei der TTS-Patienten aus Göttingen und Zürich untersucht wurden. Forscher haben personalisierte in-vitro-TTS-Disease-Modelle hergestellt. Sie fanden heraus, dass Kardiomyozyten von Takotsumo-Patienten viel stärker auf Catecholamine reagieren als die von Kontrollpatienten.

Im Zuge genetischer Untersuchungen hat das Team eine Mutation identifiziert, die zur Entwicklung des Takotsubo-Syndroms beiträgt. Diese werde nun in Zellkulturen korrigiert – Ergebnisse stünden noch aus. Zu genetischen Faktoren, die zur Prädisposition für die Erkrankung beitragen können, werde in der Arbeitsgruppe weiter geforscht, berichtete sie.

Zudem werden Pathophysiologie, zugrunde liegende Mechanismen und pharmakologische Substanzen anhand der Zellmodelle weiter untersucht, mit dem Ziel neue Behandlungsoptionen zu entwickeln. Streckfuß-Bömeke: „Die Patienten sind sehr unterschiedlich und zeigen unterschiedliche Ursachen, die in der gleichen kardialen Dysfunktion enden“ – das sei bei der Erforschung therapeutischer Ansätze eine große Herausforderung.

 

Kommentar

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