Noch hält die COVID-19-Pandemie die Welt in Atem. Doch mit dem Klimawandel zieht längst eine noch gravierendere globale Krise herauf. Welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Gesundheitswesen hat und was die Ärzteschaft tun kann – darüber diskutierten Experten auf der Pressekonferenz zur 127. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1]. Anders als ursprünglich geplant, aber wegen COVID-19 unvermeidbar, steht die Jahrestagung unter dem Motto „Von der Krise lernen“.

Prof. Dr. Georg Ertl
„Internistische Erkrankungen werden vom Klimawandel entscheidend beeinflusst“, stellte Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM, fest. Es sei davon auszugehen, dass Infektionskrankheiten, die vorrangig innere Organe wie etwa die Lunge bei COVID-19 befallen, durch höhere Temperaturen in nördlicheren Breitengraden ihre Epidemiologie veränderten.
„Es gibt begründete Vermutungen, dass dies auch für die Übertragung des Coronavirus von der Fledermaus auf den Menschen zutrifft“, sagte Ertl. Eine eben erschienene Studie zeigt, dass durch den Klimawandel Fledermausarten zugenommen haben, die Coronaviren übertragen. Die Autoren kommen deshalb zu dem Schluss, dass der Klimawandel bei dem Ausbruch von SARS und SARS-CoV-2 eine Rolle spielte.
Längst sind die Folgen von Treibhauseffekt und Erderwärmung in Krankenhäusern und Arztpraxen angekommen. „Wir beobachten in den vergangenen Jahren, dass immer mehr Menschen mit internistischen Erkrankungen etwa der Lunge oder des Herzens zu uns kommen, deren Ursache oder Verlauf direkt oder indirekt am Klimawandel liegen können“, berichtete Ertl.
In Hitzewellen treten deutlich mehr Herzinfarkte auf
Hitzewellen mit Temperaturen von über 30 Grad Celsius haben nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in Deutschland seit den 1990er-Jahren deutlich zugenommen. Das schlägt sich auch in den Notaufnahmen nieder: „Im vergangenen Jahrzehnt traten etwa deutlich mehr Herzinfarkte im Zusammenhang mit Hitzewellen auf als in den 10 Jahren davor“, berichtete Ertl. Statistiken zeigen außerdem, dass an Tagen mit einer Temperatur über 30 Grad Celsius die Sterbequote um etwa 10% und die der Krankenhauseinlieferungen um 5% ansteigt.
Folgen mehrere Hitzetage aufeinander, steigert sich dieser Effekt. Eine deutsche Studie mit Daten des Augsburger MONIKA-Registers hat gezeigt, dass im letzten Jahrzehnt mehr Herzinfarkte im Zusammenhang mit hohen Außentemperaturen aufgetreten sind als in der Dekade davor.
Debatte um Klimawandel: Ärzte haben eine besondere Verantwortung
Sowohl Ertl als auch Kongresspräsident Prof. Dr. Sebastian Schellong, Chefarzt der II. Medizinischen Klinik am Städtischen Klinikum Dresden, betonten die politische Verantwortung der Ärzteschaft. Aufgrund ihres hohen gesellschaftlichen Ansehens komme Ärzten in der hoch emotionalisierten und stark politisch motivierten Debatte um die Folgen des Klimawandels eine besondere Rolle zu.

Prof. Dr. Sebastian Schellong
„Genau wie in der Corona-Pandemie, gibt es beim Thema Klimawandel Personen, die ihn ganz abstreiten oder seine Folgen klein reden. Als Mediziner und Wissenschaftler ist es unsere Verantwortung, diesen Strömungen immer wieder die Erkenntniswege und Fakten der Wissenschaft entgegenzusetzen“, betonte Schellong. Der Klimawandel „stellt eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Gesundheit dar“. Mediziner seien in einer besonderen Verantwortung gegenüber Patienten und der Öffentlichkeit, auf wissenschaftliche Fakten hinzuweisen und für Nachhaltigkeit zu werben.
Denn gerade in Punkto Nachhaltigkeit ist noch viel zu tun. Das Umweltbundesamt (UBA) meldet, dass 5% des gesamten Rohstoffkonsums an fossilen Brennstoffen in Deutschland auf Dienstleistungen des Gesundheitssektors entfällt. In seinem Gutachten zeigt das UBA Möglichkeiten auf, in den Bereichen Arzneimittel, Medizinprodukte, Bauen sowie Lebensmittel- und Getränkeversorgung kostenneutral oder kostensparend Ressourcen zu schonen.
Die DGIM sieht sich bei ihren knapp 30.000 Mitgliedern, aber auch in der Gesellschaft in einer besonderen Verantwortung: „Wir müssen als Ärzte im Alltag und – mit einer Stimme – in der Öffentlichkeit für wissenschaftlich basierte Maßnahmen für die Sicherung der Zukunft unseres Planeten und die Gesundheit seiner Bewohner werben, und wir müssen diese Verantwortung wahrnehmen“, betonte Ertl.
Die Klimakrise ist ein medizinischer Notfall
Die Klimakrise nannte Dr. Martin Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), einen „medizinischen Notfall“ und sprach von der „größten Bedrohung für unsere Gesundheit und die Gesundheit zukünftiger Generationen“.
Das Leben eines jeden Kindes, das heute geboren wird, werde tiefgreifend beeinflusst sein von den klimatischen Veränderungen, die sich bereits heute weltweit und in Deutschland zeigen, so Herrmann. Hitzewellen, Luftverschmutzung, die Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten, die Verlängerung der Allergie-Perioden sind nur einige der Auswirkungen, die zusätzlich zur Gefahr durch Extremwetterlagen, Nahrungsunsicherheit und Kriege um die knapper werdenden Ressourcen entstehen, berichtete Herrmann.
Lange Zeit sei der Zusammenhang von Gesundheit und Klimawandel auch in der Medizin nicht erkannt worden, „doch seit 2 Jahren bekommt das Thema in den Fachgesellschaften wie auch den Ärztekammern und verschiedensten Forschungsinstitutionen erheblichen Aufwind“, sagte Herrmann. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, unser Leben zu verändern”, fügte er hinzu.
Klimaschutz wirke sich positiv auf Gesundheit aus: Weniger Stress, mehr Bewegung, weg von fossilen Brennstoffen und damit weniger Luftschadstoffe, eine pflanzenbasiertere Ernährung. Die Lancet-Countdown-Kommission bezeichnet mehr (nicht motorisierte) Bewegung und eine pflanzenbasierte Ernährung als „Co-Benefits” von klimafreundlichen Lebensstiländerungen, die nach neuesten Prognosen allein in Deutschland rund 150.000 vorzeitige Todesfälle jährlich verhindern könnten.
Herrmann betonte, dass Ärzte durch ihre Berufsordnung verpflichtet sind, nicht nur die Menschen selbst, sondern auch die Lebensgrundlagen zu schützen. „Wir als Ärzte müssen jetzt intervenieren. Es geht auch beim Klimawandel um nicht-lineare Veränderungen, das kennen wir jetzt aus der Pandemie, und wir wissen, dass es Kippunkte gibt und man früh genug eingreifen muss, um die Entwicklung noch beeinflussen zu können“, so Herrmann.
Am wichtigsten sei nun, Klimaschutz als Top-Priorität auf die Agenda setzen. Im Moment spiele bei Entscheidungen im Gesundheitsbereich Nachhaltigkeit noch keine Rolle, das müsse sich ändern. „Über unsere Fachgesellschaften und Kammern müssen wir dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit etabliert wird. Wir müssen klar vermitteln, dass Klimaschutz Gesundheitsschutz ist“, schloss er.
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Diesen Artikel so zitieren: Klimawandel und COVID-19: Internistenkongress unter dem Motto „Von der Krise lernen“ – Klimaschutz als Gesundheitsschutz - Medscape - 19. Apr 2021.
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