Long-COVID auch bei Kindern? Nichts Genaues weiß man (noch) nicht

Donavyn Coffey

Interessenkonflikte

16. April 2021

Nach einem auf MedArXiv (sprich: „med-archive“) veröffentlichten Preprint gibt es auch bei Kindern noch Monate nach ihrer ersten SARS-CoV-2-Infektion Langzeitsymptome. Die Evidenzen aus der Studie, nach denen Kinder ebenso wie Erwachsene unter Long-COVID leiden können, gelten allerdings noch als vorläufig, da noch kein Review der Studie stattgefunden hat.

Bislang existieren nur wenige Daten zu Long-COVID bei Kindern. Von Erwachsenen gibt es seit Beginn der Pandemie vermehrt Berichte über anhaltende Symptome. Eine große Kohortenstudie zeigte, dass 76% der Erwachsenen 6 Monate nach der SARS-CoV-2-Infektion noch über mindestens ein anhaltendes Symptom klagen. Deutsche Experten gehen davon aus, dass rund ein Zehntel der ehemals SARS-CoV-2-Infizierten auch längerfristig Symptome haben.

Mehr als jedes zweite Kind mit Long-COVID-Symptomen

Um mehr über die Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern zu erfahren, sprachen die Untersucher der aktuellen Studie mit dem ärztlichen und dem Pflegepersonal von 129 Patienten in Rom. Alle Patienten waren unter 18 Jahre alt und hatten eine bestätigte COVID-19-Diagnose. Die Untersucher verwendeten einen Fragebogen, der von der „ISARIC Global COVID-19 Follow-up-Working-Group“ entwickelt worden war. Dabei handelt es sich um eine internationale Forschergruppe, die einige Studien zu Long-COVID bei Erwachsenen initiiert hatte. Der Fragebogen beinhaltete Beeinträchtigungen wie z.B. Atemwegssymptome, Müdigkeit, Nasenverstopfung, Muskelschmerzen usw.

Über 50% der Kinder wiesen 4 Monate oder länger nach ihrer Diagnose noch mindestens eines dieser Symptome auf, fast ein Viertel (22,5%) berichtete gar von 3 oder mehr. Manche der jungen Patienten, die während der akuten Infektion symptomatisch waren oder ins Krankenhaus eingeliefert wurden, berichteten eher über anhaltende Beschwerden, während andere, die während der akuten COVID asymptomatisch gewesen waren, erst mehrere Monate später über Symptome klagten. Die an Long-COVID Leidenden berichteten zu 42%, dass die anhaltenden Symptome ihr tägliches Leben beeinträchtigten.

Der Hauptautor der Studie Dr. Danio Buonsenso sagte gegenüber Medscape, dass er nicht erwartet habe, bereits in der ersten untersuchten Kohorte so viele Long-COVID-Patienten zu finden. Buonsenso ist in Rom pädiatrischer Infektiologe an derselben Klinik, die auch zuerst über das Long-COVID-Syndrom bei Erwachsenen berichtet hatte.

Nachdem er im vergangenen Sommer die Arbeit seiner Kollegen gelesen hatte, fragte er sich, ob Kinder wohl auf die gleiche Weise betroffen sein könnten. „Dann hatte ich im September meinen ersten pädiatrischen Fall“, sagte er. Jetzt arbeitet er mit einem Netzwerk von Kinderärzten in Italien zusammen, um weitere Daten zu sammeln.

Zahlreiche Kritikpunkte

Seine Fachkollegin Dr. Danielle Zerr hingegen ist bei der Interpretation der neuen Daten etwas zurückhaltender, da ihr bei der Studie die Kontrollgruppe fehlt. Die Ärztin vom Seattle Children's Hospital in Seattle, USA, sagt gegenüber Medscape: „Ich wäre sehr vorsichtig damit, Schlussfolgerungen aus diesen Daten zu ziehen. Eine verstopfte Nase bei Kindern ist zu keiner Jahreszeit etwas Besonderes.“ Darüber sei etwas der Faktor Müdigkeit in einem Jahr, in dem die Kinder sich ohnehin kaum draußen aufhielten, schwer zu beurteilen. 

 
Ich wäre sehr vorsichtig damit, Schlussfolgerungen aus diesen Daten zu ziehen. Eine verstopfte Nase bei Kindern ist zu keiner Jahreszeit etwas Besonderes. Dr. Danielle Zerr
 

„Wenn man über derart unspezifische Beschwerden und Symptome sprechen will, wäre eine Kontrollgruppe hier sehr wichtig“, sagt sie. Auch ansonsten sei es besonders in einer ungewöhnlichen Zeit wie der aktuellen Pandemie schwierig zu wissen, was eigentlich normal ist. 

 
Wenn man über derart unspezifische Beschwerden und Symptome sprechen will, wäre eine Kontrollgruppe hier sehr wichtig. Dr. Danielle Zerr
 

Um eine Art Baseline zu definieren, hatten die Autoren die Eltern gebeten, aus der Erinnerung den Gesundheitszustand ihres Kindes vor der SARS-CoV-2-Infektion zu beschreiben. Wenn man jedoch Eltern und Patienten bittet, ihre Symptome oder ihre Fitness zum Zeitpunkt der Befragung mit dem Niveau vor der Corona-Infektion zu vergleichen (was 4 Monate oder länger zurückliegen kann), berge dies das Risiko eines Bias, sagt Dr. Lara Danziger-Isakov, ebenfalls pädiatrische Infektiologin, die am Cincinnati Children's Hospital in Cincinnati, USA, tätig ist.

Überdies handele es sich „um eine kleine Population“. Es sei eine relevante Gruppe, doch angesichts von Millionen betroffener Kinder, „müssen wir wirklich Klarheit darüber haben, welche Symptome mit welcher Ausprägung im Zusammenhang mit der Infektion stehen“, so Danziger-Isakov. Dazu sei eine größere Patientengruppe als 129 in einer Studie erforderlich.

Schließlich merkte sie an, dass es nicht klar sei, nach welchen Kriterien die Patienten in der Studie ausgewählt wurden. Es sei möglich, dass das Studiendesign Patienten mit langanhaltender Symptomatik bevorzugt habe. Dann läge die wahre Prävalenz von Long-COVID allerdings mutmaßlich viel niedriger als die in der Studie angegebenen 50%.

Mehr Daten werden gebraucht

„Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es einfach keine Long-COVID-Experten. Es ist ein neues klinisches Syndrom“, sagt Danziger-Isakov. Außerdem fehlten in dieser neuen Studie einige wichtige Details, die im Peer-Review-Verfahren geklärt werden könnten, so hofft sie. Dennoch sei es eine wichtige Arbeit: „Alles deutet darauf hin, dass wir dem Thema Aufmerksamkeit schenken und weitere Untersuchungen durchführen müssen.“ 

 
Alles deutet darauf hin, dass wir dem Thema Aufmerksamkeit schenken und weitere Untersuchungen durchführen müssen. Dr. Lara Danziger-Isakov
 

Und das ist es auch, was die Autoren tun. Buonsenso und sein Team sammeln jetzt in einer wesentlich größeren Kohorte die Daten der Patienten und verfolgen sie über einen längeren Zeitraum, um objektivere Messungen vorzunehmen. Mindestens eine klinische Studie der National Institutes of Health (NIH) untersucht die langfristigen Auswirkungen von COVID bei Erwachsenen, eine andere untersucht schwere COVID-Komplikationen bei Kindern.

„Ich bin schon auf die Ergebnisse gespannt“, sagt Zerr. Sie warnt jedoch Kollegen, nun anzunehmen, dass 50% der an COVID erkrankten Kindern ein Long-COVID-Syndrom entwickeln würden. Die aktuellen Daten seien jedoch wichtig und machten deutlich, dass es das Long-COVID-Syndrom auch bei Kindern gebe. Und damit sei der Anfang für die Identifizierung des Syndroms und die Entwicklung einer Behandlungsstrategie gemacht.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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