Gefährliche Emissionen: Studie aus 400 Städten findet linearen Zusammenhang von Stickoxid-Konzentration und Mortalität

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

16. April 2021

Stickoxid (NO2) entsteht hauptsächlich bei der Verbrennung der fossilen Energieträger Erdgas, Erdöl und Kohle im Verkehr, bei industriellen Prozessen und zur Energiegewinnung. Eine aktuelle Publikation im British Journal of Medicine (BMJ) zeigt nun, dass schon geringe Zunahmen des Stickoxid-Gehalts in der Luft mit einer Zunahme der Sterblichkeit einhergehen [1]. Die Studie stützt sich dabei auf Daten, die von 1973 bis 2018 in weltweit 398 Städten in 22 Ländern erhoben worden sind.

Dabei analysierten die Forscher um den Erstautor Dr. Xia Meng, Fudan University Shanghai, China, die Daten auf der Basis täglicher Messungen. Auf diese Weise konnten sie die Sterblichkeit direkt mit tagesaktuellen Erhöhungen der NO2-Konzentration in Beziehung setzen.

 
Diese Studie ist ein weiteres Argument dafür, dass die Transformation hin zu einer nicht mehr auf fossilen Energieträgern basierenden, klimaneutralen Wirtschaft mit gesundheitlichen Vorteilen assoziiert ist. PD Dr. Christian Schulz
 

Einer Erhöhung um 10 µg NO2/m3 folgten am Tag danach durchschnittlich 0,46% mehr Todesfälle. Innerhalb der nächsten beiden Tage sanken die Sterblichkeitsraten wieder auf den Wert vor der Stickoxid-Zunahme. Der Anstieg bzw. das Absinken der Todeszahlen erfolgte nahezu linear zur Zu- bzw. Abnahme der NO2-Konzentrationen.

PD Dr. Christian Schulz

„Diese Studie ist ein weiteres Argument dafür, dass die Transformation hin zu einer nicht mehr auf fossilen Energieträgern basierenden, klimaneutralen Wirtschaft mit gesundheitlichen Vorteilen assoziiert ist“, konstatiert PD Dr. Christian Schulz, Geschäftsführer und inhaltlicher Leiter der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Deutschland liegt weit vorn im Stickoxid-Ranking

Ausgangspunkt war die Luftqualitätsrichtlinie der World Health Organisation (WHO), die einen jährlichen Durchschnittswert von höchstens 40 µg NO2/m3 empfiehlt. In Deutschland, wo Daten aus 12 Städten ab 1993 einbezogen wurden, wurde sogar eine Zunahme von 0,62% gemessen. Damit lag Deutschland unter den 5 Ländern mit der höchsten Werten. Allein in Deutschland könnten, so die Modellrechnung der Autoren, durch eine Reduktion der NO2-Konzentrationen theoretisch jährlich 135.000 vorzeitige Todesfälle vermieden werden.

„Da die Grenzwerte aber in vielen Ländern an mehr als die Hälfte der Tage über dem Grenzwert der WHO lagen, summiert sich die Zahl an Todesfällen erheblich, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit Überschreitung der Grenzwerte auftraten“, erläutert Schulz.

Folgen der NO2-Anstiege gegen andere Luftschadstoffe adjustiert

Die Messungen der Luftqualität bezog auch Ozon (O3), Schwefeldioxid (SO2) und Kohlenmonoxid (CO) sowie Temperatur und Luftfeuchtigkeit ein, die von den Autoren zur Adjustierung der Ergebnisse genutzt wurden. Auf diese Weise gelang es, den spezifischen Zusammenhang mit Stickoxid herauszuarbeiten. Die Todeszahlen und -ursachen wurden amtlich erhobenen Dokumentationen entnommen. Insgesamt wurden über die beobachteten 45 Jahre 62,8 Millionen Todesfälle dokumentiert, davon 19,7 Millionen kardiovaskulär und 5,5 Millionen respiratorisch bedingt.

Das Besondere an dieser Studie ist ihr Umfang und die damit verbundene hohe statistische Aussagekraft in Bezug auf die Folgen von kurzzeitigen Stickoxid-Emissionen, diskutieren die Autoren. Die Ergebnisse vorheriger kleinerer und lokal beschränkter Studien wurden durch sie bestätigt.

Obwohl es sich um eine Beobachtungsstudie handelt und daher streng genommen keine Kausalitäten abgeleitet werden können, liefert die Studie starke Hinweise auf den Zusammenhang zwischen NO2-Belastung und vorzeitigen Todesfällen. Daher fordern die Autoren eine Verschärfung der generellen Beschränkung der NO2-Emissionen weltweit, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und vorzeitige Todesfälle zu verringern.

„Da die Reduktion der Sterblichkeit in einem linearen Zusammenhang mit der Reduktion der NO2-Konzentrationen steht, lassen sich allerdings keine Grenzwerte ableiten“, bemerkt Schulz dazu. „Deshalb sollte man zumindest die Grenzwerte an die WHO angleichen, was das EU-Parlament tatsächlich glücklicherweise aktuell am 25. März so entschieden hat.“

EU-Luftqualitätsstandards

Die EU-Luftqualitätsstandards von 2008 entsprechen nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand. Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt, dass bei einer Reduzierung der Luftverschmutzung in europäischen Städten auf die von der WHO empfohlenen niedrigeren Grenzwerte über 51.000 Todesfälle pro Jahr – davon allein 900 Todesfälle aufgrund von Stickoxid – vermieden werden könnten.

Zahlreiche deutsche medizinische Fachverbände und ganz aktuell jetzt auch das EU-Parlament unterstützen deshalb strengere Luftqualitätsstandards und deren Angleichung an die strengeren WHO-Grenzwerte.

 

Kommentar

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