Leitlinien mit „geänderter Philosophie“: Wann Experten beim Vorhofflimmern die DOAK, wann den LAA-Verschluss empfehlen

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

14. April 2021

Bei der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern gehen Spezialisten hinsichtlich der Antikoagulation zur Schlaganfall-Prophylaxe neue Wege. Das zeigen die 2020 gemeinsam von der European Society of Cardiology (ESC) und der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) veröffentlichten Leitlinien.

 
Eine Grundidee, die sich durch die Guidelines zieht, ist, dass man die Pathophysiologie und die Entwicklung bei einem Patienten mit Vorhofflimmern mit einbezogen hat – das finde ich überzeugend. Prof. Dr. Andreas Götte
 

Es seien „besondere Guidelines“, nicht zuletzt aufgrund der im Vergleich zu den Empfehlungen von 2016 „wesentlich geänderten Philosophie“, erklärte Prof. Dr. Andreas Götte, Leiter der Kardiologie und Internistischen Intensivmedizin am St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn, in der Leitliniensitzung zu Vorhofflimmern auf der virtuellen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) [1].

„Eine Grundidee, die sich durch die Guidelines zieht, ist, dass man die Pathophysiologie und die Entwicklung bei einem Patienten mit Vorhofflimmern mit einbezogen hat – das finde ich überzeugend“, kommentierte Götte.

Antikoagulation: „earlier is better“

Etwa versuche man bei der Frage, ab wann antikoaguliert werden solle, das subklinische Vorhofflimmern, Episoden hochfrequenzieller Aktivität also, mit einzubeziehen. In Kombination mit dem CHA2DS2-VASc-Score, der Auskunft gibt über das Schlaganfallrisiko, können diese Episoden durchaus schon in Phasen mit Vorstufen von Vorhofflimmern darauf hindeuten, dass Patienten von einer oralen Antikoagulation profitieren – zumindest diejenigen, deren Hochfrequenz-Episoden nachweislich länger als eine Stunde anhalten, sagte Götte.

2 noch andauernde Studien, ARTESIA und NOAH-AFNET-6, sollen über den Nutzen einer sehr frühen oralen Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe bei diesen Patienten mehr Auskunft geben.

Antikoagulation als erster Schritt im Behandlungs-ABC

In den neuen ESC-Leitlinien erfolgt die Diagnose und Behandlung nach dem Schema „CC to ABC“. Bei der Diagnose steht das erste C für „confirm“ – die Bestätigung der Diagnose Vorhofflimmern anhand eines 12-Kanal-EKGs oder einem 1-Kanal-Rhythmusstreifen, der mehr als 30 Sekunden andauert. Das zweite „C“ steht für „Characterize AF“ – also die nähere Beschreibung des dokumentierten Vorhofflimmerns.

Für die Behandlung empfehlen die Leitlinien einen „ABC-Pathway“ mit:

  • A = Antikoagulation,

  • B = bessere Symptomkontrolle und

  • C = Komorbidität und Optimierung der Kardiovaskulären Risikofaktoren.

Die Antikoagulation spiele als erster Behandlungsschritt also eine „ganz entscheidende Rolle“, betonte Götte.

Verändert habe sich im Vergleich zu der letzten Aktualisierung 2016, dass die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) jetzt mit Klasse-I-Empfehlung auch für die Kardioversion geführt werden, so der Experte. Zudem sei nun festgeschrieben, wie lange mit einem DOAK behandelt werden solle; nach einer Ablation etwa, oder unter Berücksichtigung des CHA2DS2-VASc-Scores auch nach Pulmonalvenen-Isolation.

Die neuen Leitlinien empfehlen eine Fortsetzung der Antikoagulation über mindestens 2 Monate nach einer Ablation. „Unabhängig vom Erfolg der Ablation selbst sollte die Antikoagulation fortgeführt werden, denn wir wissen: Viele Thromben entstehen im Sinus-Rhythmus bei geschädigten Vorhöfen“, erklärt Götte. Dieser wichtige Aspekt der Vorhof-Kardiomyopathie ziehe sich durch die gesamten Leitlinien und sei ein Parameter, der bei der Antikoagulation ins Gewicht falle, bemerkte er.

Eine Herabstufung des Empfehlungsgrads (von IIa zu IIb) erfolgte dagegen hinsichtlich der Antikoagulation von Patienten nach einer Herz-Operation. Bei diesen Patienten müsse man „pauschal nicht immer antikoagulieren“, sagte Götte.

DOAK sind ganz klar erste Wahl

„Die Guidelines regeln, dass DOAK in Europa die präferierten Antikoagulanzien sind“, sagt Götte. So sei im Leitlinientext festgeschrieben, dass die Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern möglichst mit einem DOAK statt einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) begonnen werden solle. Unverändert bestehe die Indikation für eine Antikoagulation bei Frauen mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 3, bei Männern mit 2.

 
Die Guidelines regeln, dass DOAK in Europa die präferierten Antikoagulanzien sind. Prof. Dr. Andreas Götte
 

Wieder aufgeführt sei der Einbezug des HAS-BLED Scores (Klasse IIb-Empfehlung) zur Berechnung des Blutungsrisikos. Einbezogen in diesen Score, der in den Leitlinien von 2016 nicht zu finden war, sind unkontrollierte Hypertonie, Veränderung der Nieren- und Leberfunktion, Schlaganfallrisiko und Blutungen. „Bei Patienten mit einem HAS-BLED von mindestens 3 sollte man häufiger kontrollieren, um die Therapie sicherer zu machen.“

Auch wichtig: Das klinische Muster des Vorhofflimmerns sei kein Entscheidungskriterium für die Antikoagulation, sondern der CHA2DS2-VASc-Score, betonte Götte.

Duale Therapie nach PCI

Auch die Antikoagulation um die Interventionen herum sei in den Leitlinien klar geregelt. „Es braucht eine Vor- oder auch eine Nachtherapie mit oraler Antikoagulation, weil eine Vorhof-Myopathie bestehen kann, ausgelöst durch die unterschiedlichen Komorbiditäten“, erklärt Götte. „Wir wissen auch, dass Schlaganfälle nicht unbedingt während der Flimmer-Episode passieren, sondern 30 bis 90 Tage danach.“

Bei der antithrombotischen Therapie nach Stent-Implantationen sei die duale Therapie der „sichere Weg für die Dauertherapie“ – DOAK in adäquater Dosis plus ein P2Y12-Hemmer, in der Regel Clopidogrel. Bei dieser Kombination sei jedoch das Risiko einer Stent-Thrombose kurz nach dem Eingriff deutlich erhöht, wie eine 2019 veröffentlichte Metaanalyse von DOAK-Studien zeige. Für einen Zeitraum von rund 30 Tagen nach einer Stentimplantation sei daher die zusätzliche Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) durchaus angezeigt, bemerkte Götte. „Nach 30 Tagen gibt es eigentlich keine Daten mehr, dass eine dauerhafte Triple-Therapie einen Wert hat.“

 
Nach 30 Tagen gibt es eigentlich keine Daten mehr, dass eine dauerhafte Triple-Therapie einen Wert hat. Prof. Dr. Andreas Götte
 

Nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS) empfehlen die Leitlinien eine 12-monatige, bei stabiler KHK eine 6-monatige duale Therapie. Anschließend sei nach Möglichkeit auf Mono-Therapie mit DOAK umzustellen.

Empfehlung für LAA-Okkluder eher verhalten

Parallel zur Konzeption der neuen Leitlinien zu Vorhofflimmern hat die ESC ein Konsensuspapier zum Einsatz von Vorhof-Verschlusssystemen veröffentlicht, basierend auf der Vorhof-Kardiomyopathie als Disposition zur Thrombogenese. Eine Option ist dieser Verschluss des linken Vorhofohrs (left atrial appendage, LAA) laut diesem Konsensuspapier:

  • bei Patienten, bei denen die orale Koagulation zu Komplikationen führt, vor allem aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos,

  • bei Patienten, die bereits eine Blutung hatten, oder

  • bei solchen, die orale Antikoagulanzien nicht einnehmen wollen oder können.

In den Leitlinien sei die Empfehlung für einen LAA-Verschluss „relativ strikt“, sagte Götte. Für Patienten mit intrakranieller Blutung unter oraler Antikoagulation sei der Eingriff „eine gute Alternative“ (Empfehlungsgrad: IIb).

Bei nur leicht erhöhtem Blutungsrisiko dagegen empfehlen die Leitlinien eine orale Antikoagulation mit DOAK, unter intensiverem Follow-up, inklusive Kontrolle von Nierenwerten und Komedikation. Zu achten sei auf die richtige Dosierung des DOAK. „Nach den Empfehlungen wäre bei diesem Patienten die Implantation eines LAA-Okkluders nicht gerechtfertigt“, sagt Götte.

Langzeitdaten aus 5 deutschen Zentren

Zu dem seit 2009 in Deutschland zugelassenen Verschlussverfahren – das die Bildung von Thromben im linken Vorhofohr, und damit eine Ursache eines durch Blutgerinnsel im Herzen ausgelösten Schlaganfalls, beseitigt – existieren bislang keine Langzeitdaten für Patienten mit Kontraindikationen. Nun haben 5 deutsche Kliniken, die alle bereits eine große Anzahl an interventionellen LAA-Verschlüssen in der durchgeführt haben, ihre Patientenregister zusammen ausgewertet (Universitätsklinikum Jena; Herzzentrum Leipzig- Universitätsklinik für Kardiologie; Asklepios Klinik Hamburg St. Georg; Cardiolgicum Hamburg, Regiomed Klinikum Lichtenfels).

Erste Ergebnisse ihrer Langzeit-Daten von insgesamt 1.951 Patienten präsentierten Dr. Sven Möbius-Winkler, Universitätsklinikum Jena, und Dr. Felix Meincke, Asklepios Klinik Hamburg, auf dem DGK-Kongress. Die Patienten waren im Durchschnitt 74 Jahre alt, 38% weiblich. Sie hatten sich zwischen 2009 und 2017 einem interventionellen Verschluss des linken Vorhofohrs unterzogen (bei 80% mit Watchman System),

Der mittlere CHA2DS2-VASc-Score der Patienten betrug 4,2 Punkte, was einem Hochrisiko-Kollektiv für Schlaganfallrisiko entspricht. Die Komplikationsrate betrug insgesamt 3%. Im Nachbeobachtungszeitraum von 321 bis 1.640 Tagen starben 221 Patienten, 33 aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse. Das Auftreten von Schlaganfällen konnte im Vergleich zu nach dem CHA2DS2-VASc-Score erwarteten Zahl um 60% reduziert werden (5% erwartete Schlaganfälle vs. 2% beobachtete pro Jahr).

Im Vergleich zu den Studien Protect AF und Prevail „konnten wir in unserer Real World Kohorte … eine höhere Mortalität, Schlaganfallrate und Blutungsrate dokumentieren“, bemerkten Möbius-Winkler und Meincke. „Grund dafür ist das differente Patientenkollektiv in den randomisierten Studien im Vergleich zur vorliegenden Untersuchung mit Hochrisikopatienten, welche – im Gegensatz zu den randomisierten Patienten – überwiegend Kontraindikationen für eine OAK/DOAK-Therapie aufwiesen.“

Dennoch, schlussfolgerten sie, „kann die Effektivität der Methode mit einer Reduktion der Schlaganfälle zu den erwarteten Schlaganfällen auch in diesem Patientenkollektiv nachgewiesen werden“.

Ebenfalls in den ESC-Leitlinien zu Vorhofflimmern thematisiert ist die Behandlung von Patienten nach einem LAA-Verschluss, auch je nach eingesetztem Okkluder-System (Amulet™ und Watchman™): In der Regel erhalten die Patienten eine duale Therapie (ASS, Clopidogrel).

Trotz aller Evidenz weise die Erkenntnis zur optimalen Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern, auch zur oralen Antikoagulation, weiterhin Lücken auf, die es zu schließen gelte, sagte Götte am Ende seines Vortrags.
 

Kommentar

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