Weniger Infarkt- und Schlaganfall-Diagnosen, höhere Mortalität: Wie sich COVID-19 kardiovaskulär ausgewirkt hat

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

8. April 2021

Weniger Patienten in der Notaufnahme, weniger Infarkt- und Schlaganfall-Diagnosen, gestiegene kardiale Mortalität: Dass sich die COVID-19-Pandemie ganz erheblich auf die Kardiologie ausgewirkt hat, wurde auf der virtuellen Pressekonferenz zum Auftakt der 87. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) deutlich [1].

Schon zu Beginn der Pandemie hatten sich erste Anzeichen für eine Beteiligung des Herzens bei einer SARS-CoV-2-Infektion gezeigt. Wie Prof. Dr. Dirk Westermann, Oberarzt und Bereichsleiter Strukturelle Herzerkrankungen am UKE Hamburg, erklärte, wurde bei Patienten ein Anstieg des Troponins im Blut festgestellt. Eine Erhöhung des Troponins bei COVID-19-Patienten ist mit einem höheren Sterberisiko assoziiert.

Dass das Virus bei 16 von 39 an COVID-19 gestorbenen Patienten im Herzgewebe nachweisbar war, konnten Westermann und Kollegen in einer Autopsiestudie im JAMA 2020 zeigen. Das Vorhandensein des Virus im Herzgewebe war aber nicht mit dem Auftreten von Myokarditis assoziiert.

Andere Arbeitsgruppen konnten die Hamburger Ergebnisse bestätigen, auch war der Anteil der Verstorbenen, bei denen sich SARS-CoV-2 im Herzgewebe fand, in diesen Arbeiten ähnlich hoch. „Trotzdem gibt es immer noch mehr Lücken als Wissen über die Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung auf das Herz“, stellte Westermann klar.

Keine Myokarditis, sondern wahrscheinlich virus-assoziierte Folgen

Ihre Ergebnisse ihrer Autopsiestudie konnten Westermann und Kollegen jetzt bei insgesamt 95 weiteren gestorbenen COVID-19 Patienten bestätigen (die Arbeit ist noch unveröffentlicht). Dabei zeigt sich auch, dass diejenigen mit einer kardialen Infektion schneller an COVID-19 gestorben sind als die Patienten ohne kardiale Infektion.

„Die Autopsiestudien zeigen, dass bei einem Drittel der Patienten SARS-CoV-2 im Herzen nachweisbar ist, einige Patienten haben das Virus dort auch repliziert, wir sehen aber keine Myokarditis, sondern wahrscheinlich virusassoziierte Folgen“, berichtete Westermann. Bislang gebe es allerdings keine Daten für überlebende Patienten, denn eine Herzmuskelbiopsie werde (natürlich) im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung nicht routinemäßig durchgeführt.

Westermann betonte, dass die kardialen Langzeitfolgen einer COVID-19 Erkrankung „noch nicht ausreichend geklärt sind“. Es laufen aber mittlerweile verschiedene Studien an deutschen Kliniken dazu. Die ersten validen Daten zu Langzeitfolgen nach COVID-19 werden aus dem Bereich der MRT-Forschung erwartet, weil dabei relativ einfach und nicht-invasiv Folgeuntersuchungen durchgeführt werden können.

„An der Uniklinik in Frankfurt konnte kürzlich gezeigt werden, dass sehr kurz nach der COVID-19-Erkrankung Veränderungen im kardialen MRT nachweisbar sind“, berichtete Westermann. Langzeit-Daten seien aber bislang noch nicht im großen Stil verfügbar und es würden Daten aus vielen Kliniken benötigt, um genaue Aussagen über mögliche Folgen zu treffen.

 
Ob sich die häufig beschriebenen Erschöpfungssyndrome nach COVID-19 durch eine von SARS-CoV-2 ausgelöste kardiale Erkrankung erklären lassen, ist ebenfalls noch völlig unklar. Prof. Dr. Dirk Westermann
 

Bislang sei auch nicht belegt, dass nach einer SARS-CoV-2-Infektion das Risiko, an einer Herzinsuffizienz zu erkranken, erhöht ist. „Das ist erstmal ein gutes Zeichen. Ob sich die häufig beschriebenen Erschöpfungssyndrome nach COVID-19 durch eine von SARS-CoV-2 ausgelöste kardiale Erkrankung erklären lassen, ist ebenfalls noch völlig unklar“, so Westermann.

Nach momentanem Wissenstand brauchen nicht alle Patientinnen und Patienten nach einer COVID-19 Erkrankung eine kardiologische Untersuchung, stellte Westermann klar: „Das gilt nur für Patientinnen und Patienten, die sich mit spezifischen Symptomen vorstellen wie Dyspnoe, Leistungsabfall, Fatigue.“

Kardiale Risikofaktoren sind prognostisch relevant

Prof. Dr. Uwe Janssens, Direktor der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin in Eschweiler machte deutlich, dass COVID-19 eine Multisystemerkrankung ist, für die kardiovaskuläre Risikofaktoren prognostisch relevant sind. So zeigt eine Metaanalyse mit 38.000 Patienten, dass das Alter (> 60), männliches Geschlecht, Rauchen, COPD, Hypertonie, Diabetes, Herzerkrankungen und Niereninsuffizienz Risikofaktoren für einen schweren oder tödlichen Verlauf von COVID-19 sind.

Es gibt auch einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Höhe der Biomarker (Troponin, D-Dimere, CK-MB, LDH, IL-6, NT-proBNP und CRP), dem Schweregrad und der Prognose von COVID-19 – wie eine Metaanalyse mit 5.626 Patienten zeigt.

Janssens bezeichnete das Herz-Kreislaufsystem als „Zielorgan“ einer schweren COVID-19-Erkrankung. Er erinnerte daran, dass COVID-19 bei intensivpflichtigem Verlauf weiterhin eine „unverändert hohe Sterblichkeit“ aufweist. Bei beatmeten Patienten liegt diese bei 50%.

Bis zu 40% Patienten weniger in der Notaufnahme

In den Notaufnahmen habe sich über den Sommer die Situation zwar weitestgehend normalisiert und es kamen Patienten erneut in die Kliniken, deren Erkrankungen im Frühjahr noch nicht akut lebensbedrohlich waren. „Es gab allerdings eine ganze Reihe von Patienten, die schlicht unterdiagnostiziert waren“, sagte PD Dr. Sebastian Ewen, Ärztlicher Leiter der zentralen Notaufnahme am Uniklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar.

Mit der zweiten Welle sank die Zahl der Patienten wieder: „Wir haben in unserer Notaufnahme auch jetzt noch ein um 10 bis 20% geringeres Patientenaufkommen als im Vergleichszeitraum der Vorjahre“, berichtete Ewen.

Die Zurückhaltung der Patienten hatte Folgen: Daten aus Hessen zeigen einen Anstieg der kardiovaskulären und kardial bedingten Mortalität um 7,6% bzw. 11,8%. Die Zahl der Eingriffe in den Katheterlaboren ist dort um 35% zurückgegangen. Auch eine Untersuchung aus Hamburg zeigt, dass die Zahl der Herzinfarkt-Diagnosen um 15% gesunken ist und die der Schlaganfall-Diagnosen um 10 bis 15%.

 
Wir haben in unserer Notaufnahme auch jetzt noch ein um 10 bis 20% geringeres Patientenaufkommen als im Vergleichszeitraum der Vorjahre. PD Dr. Sebastian Ewen
 

„Es sind vor allem die ‚milderen‘ Formen dieser Ereignisse, die wir in den Notaufnahmen weniger gesehen haben“, so Ewen. Patienten mit geringen Symptomen blieben also eher zu Hause und gingen nicht zum Arzt. Das hatte Folgen: Dänische Daten zeigen, dass die Out-of-Hospital-Mortalität im Lockdown deutlich angestiegen ist. 12% mehr Menschen als im Vorjahr sind außerhalb des Krankenhauses gestorben.

Dies gilt auch für Herzinsuffizienzen: Wie Ewen berichtete, wurden während der ersten zweieinhalb Monate des vergangenen Jahres noch erwartbar viele Herzinsuffizienz-Diagnosen gestellt; die Zahl ging während des Lockdowns aber sehr deutlich zurück. Auch hier sei eine Unterdiagnostizierung zu vermuten, weil z.B. weniger bildgebende Diagnostik eingesetzt wurde.

Versorgung kardialer Notfälle ist anhaltend gesichert

Zur aktuellen Situation in den Notaufnahmen fehlen noch Daten: „Mein Eindruck aus der täglichen Arbeit ist allerdings, dass die Zahl der Patienten, die sich mit COVID-19 in der Notaufnahme vorstellen, langsam wieder ansteigt.“ Die Rate der Patienten, die davon stationär aufgenommen werden müsse, steige derzeit noch nicht, das könne sich bei zunehmender Inzidenz aber schnell ändern. Wer stationär aufgenommen werde, sei aktuell häufig mit einer der Mutanten infiziert.

Prof. Dr. Martin Möckel, Ärztlicher Leiter der zentralen Notaufnahmen und Chest Pain Units an der Berliner Charité stellte klar, dass die Versorgung kardiovaskulärer Notfälle anhaltend gesichert ist. Der Rückgang der Fallzahlen in den Notaufnahmen gehe „vorwiegend zu Lasten jüngerer, ambulanter und weniger dringlicher Fälle“.

Allerdings seien Kollateralschäden aktuell noch nicht exakt absehbar und würden laufend weiter untersucht: „Die Folgen könnten sich auch erst nach mehreren Jahren zeigen.“ Notaufnahmen seien im Hinblick auf COVID-19 ein sicherer Ort, betonte Möckel und fügte hinzu: „Es lässt sich kaum zu viel betonen, wie wichtig es ist, dass Patienten mit akuten Beschwerden in die Notaufnahmen kommen, um sich behandeln zu lassen!“

 

Kommentar

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