Die Situation in der Intensivpflege ist ernst: Seit einem Jahr im Dauereinsatz, jetzt in der 3. Welle der Pandemie, spielen zahlreiche Pflegekräfte mit dem Gedanken, aus ihrem Beruf aussteigen.
„Die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte müssen sich dringend ändern“, betont Prof. Dr. Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen und Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in einer gemeinsamen Stellungnahme der DIVI und der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) [1].
„Wenn wir jetzt nichts tun, und die Pflegekräfte gehen, dann bekommen wir ein existentielles Problem in der Intensivmedizin!“, stellt Prof. Dr. Felix Walcher klar, Präsident elect der DIVI und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg. „Es gibt kein Intensivbett ohne Pflege! Wir Ärzte stehen nicht den ganzen Tag am Bett der Patienten – das sind die Pflegenden“, betonen Walcher und Marx.
Praxisnahe Forderungen
DIVI und DGF haben in ihrer Stellungnahme „zur Stärkung und Zukunft der Intensivpflege in Deutschland“ 6 Aspekte benannt, in denen rasche und nachhaltige Veränderungen notwendig sind: Arbeitsbedingungen, psychosoziale Unterstützung der Mitarbeitenden, interprofessionelle Teamarbeit, Kompetenzen in der Intensivpflege, berufliche Perspektiven und politischer Einfluss der Pflege. Sie fordern unter anderem:
ein verbindliches Instrument der Personalbemessung
kreative und moderne Arbeitszeitmodelle
Unterstützungsangebote für Mitarbeitende mit Familie oder pflegebedürftigen Angehörigen
psychosoziale Unterstützungsangebote
die Optimierung der interprofessionellen Teamarbeit
die Entlohnung entsprechend der Qualifikation
die Erweiterung der Kompetenzen für Intensivpflegende
patienten- und pflegeferne Tätigkeiten sowie die Bürokratie drastisch zu reduzieren
Die Vorschläge und Empfehlungen der Stellungnahme stammen in erster Linie direkt von den Pflegenden. „Intensivpflegekräfte müssen täglich einen Spagat zwischen High-Tech-Versorgung und dem Patienten im Mittelpunkt des Geschehens machen und sind darüber außerordentlicher physischer und psychischer Belastung ausgesetzt“, berichtet Andreas Schäfer, Sprecher der DIVI-Sektion Pflegeforschung und Pflegequalität und Pflegefachleiter am Klinikum Kassel. Schäfer bezeichnet es als „wichtigen Schritt und gutes Signal, dass sich Intensivmediziner und Intensivpflegekräfte gemeinsam auf den Weg machen und gegenüber der Politik Stellung beziehen.“
Er betont, wie wichtig berufliche Perspektiven sind: „Um dem Exodus aus der Intensivpflege zu begegnen, wären insbesondere das Aufzeigen eines Karriereweges mit entsprechender Verantwortung und Vergütung sowie die gleichberechtigte Integration in den Behandlungsprozess, wertvolle Maßnahmen für eine Steigerung der Attraktivität des Berufes. Das Einbeziehen von Assistenzkräften, die nicht auf den Stellenplan der Pflege angerechnet werden, würde die hohe Arbeitsbelastung zudem entschärfen können.“
Walcher glaubt, dass die Vorschläge sehr viele positive Signale senden werden – was auch notwendig sei. „Wir müssen – jetzt – Fakten schaffen. Sonst wird uns dieses hochqualifizierte Personal von der Fahne gehen und das System ist – so wie jetzt – nicht mehr aufrechtzuerhalten“, warnt er. Als Sprecher der Sektion Resilienz betont Walcher, dass vor allem auch die psychosoziale Unterstützung der interprofessionellen Teams ein wichtiges und zentrales Anliegen der DIVI sei.
„Die exzellenten Mitarbeiter der Intensiv- und Notfallmedizin machen eine sehr wertvolle Arbeit“, die gelegentlich aber auch psychisch extrem belastend sei, sagt Walcher. „Bis zum heutigen Tag gibt es weder Psychologen noch professionelle Strukturen im Krankenhaus, an die sich ein Mitarbeiter wenden kann, wenn er mit einem belastenden Ereignis nicht mehr alleine emotional fertigwerden kann. Das ist nicht hinnehmbar!“, fügt er hinzu.
Pflegebevollmächtigter will sich für bessere Bedingungen einsetzen
Die Stellungnahme wurde Anfang März von der DIVI und der DGF erarbeitet und Mitte März durch den Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Staatssekretär Andreas Westerfellhaus vorgestellt. „Pflegekräfte und Ärzte haben sich zusammengetan und treten gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen in der Intensivpflege ein. Das begrüße und unterstütze ich mit aller Kraft!“, sagt Westerfellhaus. „Ich werde die Forderungen von der DIVI und der DGF in den politischen Raum tragen, damit der Umsetzung Nachdruck verliehen wird.“
Schon seit Jahren setzt sich die DIVI politisch für die Stärkung der Pflegekräfte ein, durch die Pandemie scheint endlich Bewegung in den Prozess zu kommen. „Die sehr positiven Signale aus der Politik, jetzt unmittelbar gemeinsam mit uns in die Umsetzung der konkret skizzierten Maßnahmen zu gehen, stimmen uns sehr hoffnungsvoll“, erklärt DIVI-Präsident Marx. „Das ist ein Meilenstein! Und wir werden nicht lockerlassen.“
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Diesen Artikel so zitieren: DIVI: Alarmstufe Rot in der Intensivpflege – was geschehen muss, damit Pflegekräfte nicht den Beruf wechseln - Medscape - 7. Apr 2021.
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