Genesen, aber nicht gesund: Eine internationale Studie zu Long-COVID zeigt, dass 13,3% aller COVID-19-Patienten länger als 4 Wochen mehrere Symptome haben. Fatigue, Lungen- und Herzprobleme gehören zu den häufigsten Beschwerden, doch Long-COVID macht aufgrund dieser Vielfalt Behandlungen schwierig.
Um Ärzten konkrete Anhaltspunkte zur Diagnostik und Therapie an die Hand zu geben, hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) gemeinsam mit Psychosomatikern, Neurologen und Allgemeinmedizinern eine S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Long-COVID entwickelt [1]. Sie wurde bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) angemeldet und erscheint voraussichtlich Ende April 2021.
Long-COVID wahrscheinlich auch nach mildem COVID-19
Zum Hintergrund: Mit steigender Inzidenz kämpfen mehr und mehr Menschen nach Abklingen der akuten Krankheitsphase mit Long-COVID. Darunter befänden sich sowohl Patienten, die schwer erkrankt gewesen seien, als auch Patienten mit leichtem Verlauf ohne stationäre Therapie, bestätigt Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla, Koordinator der S1-Leitlinie Long-COVID, im Gespräch mit Medscape.
„Das belegen auch unterschiedliche Untersuchungen“, berichtet Koczulla. Eine niederländische Forschergruppe wertete Daten von rund 2.000 Personen aus, die sich via Facebook über ihre anhaltenden Symptome nach COVID-19 ausgetauscht hatten. Alle Betroffenen alle waren nicht schwer erkrankt und konnten ambulant behandelt werden. Noch 3 Monate nach ihrer Infektion litten sie an Fatigue, Dyspnoe, Husten und Brustenge.
Eine Arbeit aus China schloss 1.700 Patienten ein, die schwer an COVID-19 erkrankt waren. Sie mussten stationär mit oder ohne Sauerstoffgabe behandelt werden, manche waren auch beatmungspflichtig. Die Ergebnisse zeigen, dass nach 6 Monaten 3 von 4 der mittlerweile Genesenen mindestens 1 Symptom hatten. Meistens handelte es sich um Dyspnoe, aber auch Fatigue, mangelnde Belastbarkeit und Haarausfall wurden beobachtet.
„Bei stationär behandelten Patientinnen und Patienten treten zudem häufig Veränderungen der Lunge auf“, so Koczulla weiter. Das Lungengewebe habe sich verändert, was einen Gasaustausch zwischen Blut und Luft in der Lunge erschwere. „Daten aus Österreich machen jedoch Hoffnung auf eine gute Rückbildungstendenz nach 60 beziehungsweise 100 Tagen“, sagt der Experte.
Ob Patienten auch nach asymptomatischem Verlauf Long-COVID entwickeln können, ist unklar, aber bezogen auf die ambulanten Verläufe nicht unwahrscheinlich. Daten gibt es kaum. „Dass aber Patienten im Verlauf einer asymptomatischen Virus-Persistenz Long-COVID-Symptome entwickeln, ist denkbar – zumindest gibt es erste Hinweise auf Viruspersistenz”, sagt Koczulla.
Denn dass das Virus in manchen Fällen noch monatelang im Körper persistiert, zeigt eine im November 2020 erschienene Arbeit: Bei 30% der Patienten ließ sich noch nach 4 Monaten aktives SARS-CoV-2 im Gastrointestinaltrakt nachweisen.
Von Long-COVID sind laut Koczulla Patienten fast jeden Alters betroffen: „Unter unseren Patienten befinden sich Menschen mit über 80 Jahren, aber auch 16-Jährige.”
Patienten profitieren von kardiopulmonaler Reha und Lungen-Reha
Die niederländische Studie zeigt aber auch, dass Long-COVID-Verläufe unberechenbar sein können. So nimmt bei den meisten Patienten im Lauf der Zeit die Zahl der Symptome zwar ab, im Durchschnitt nach 3 Monaten von 14 auf 6 Beschwerden. „Es gibt aber auch Patienten, die über die Zeit mehr Symptome entwickeln”, berichtet Koczulla.
Seiner Einschätzung nach wurde Long-COVID anfangs „möglicherweise unterschätzt, und es wird auch noch nicht komplett verstanden“. Koczulla; „Wir haben aber viel dazugelernt“. So gibt es inzwischen eine gute Evidenz dafür, dass Rehabilitationsmaßnahmen die Symptome verringern.
Wie Ergebnisse einer prospektiven Studie zeigen, konnten COVID-19-Patienten, die 25 Tage nach akuter Infektion weiter an Symptomen litten, von einer gezielten Lungen-Rehabilitation profitieren und wiesen signifikante klinische und funktionelle Verbesserungen auf.
Auch eine Studie aus 2020 zeigt die Effektivität einer umfassenden kardiopulmonalen Rehabilitation bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung. Alle 28 Probanden wiesen bei Entlassung aus der Klinik eine eingeschränkte Lungenfunktion auf. 25% benötigten noch Sauerstoff, und bei 74% fanden Ärzte Infiltrate im Röntgenbild. 12 der Probanden waren zuvor in der Klinik mechanisch beatmet worden.
Aus den Studienergebnissen lässt sich ebenfalls schließen, dass Verbesserungen der körperlichen Leistungsfähigkeit und des subjektiven Gesundheitszustandes unabhängig von vorangegangenen Beatmungen waren.
„Durch eine gezielte Rehabilitation bessern sich die Symptome – sowohl bei Patienten, die ambulant behandelt wurden, als auch bei Patienten die stationär behandelt werden mussten. Ob die Symptome langfristig allerdings komplett verschwinden lässt sich leider nicht vorhersagen, aber es besteht die berechtigte Hoffnung auf individuelle Besserung”, erklärt Koczulla. Möglicherweisen profitieren – nach aktuellen Hypothesen und ersten Erfahrungsberichten – Patienten mit Long-COVID von einer Impfung gegen COVID-19. „Das Immunsystem könnte durch die Impfung einen Boost erhalten”, vermutet der Experte.
Herz und Lunge in den Blick nehmen
Noch ist Long-COVID kein umschriebenes Krankheitsbild. Prof. Dr. Andreas M. Zeiher, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK) empfiehlt deshalb, „vor allem Herz und Lunge in den Blick zu nehmen“.
Und Prof. Dr. Claus Vogelmeier, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lungenstiftung (DLS), rät: „Wenn nach sechs bis acht Wochen noch Atemnot vorherrscht, sollte das unbedingt untersucht werden.”
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Long-COVID nach schwerem, aber auch nach leichtem COVID-19: Neue S1-Leitlinie weist Weg durch Diagnostik und Therapie - Medscape - 7. Apr 2021.
Kommentar