Verspätete Diagnose von Krebsmetastasen: Arzt muss 50.000 € Schmerzensgeld für einen Monat Verzögerung zahlen

Alexa Frey

Interessenkonflikte

7. April 2021

Eine 70-jährige Patientin verstirbt 2012 an einem metastasierten Sarkom. Ihr Ehemann geht nun gerichtlich gegen den Orthopäden vor, der den Tumor erst einen Monat nach Erstkontakt diagnostiziert hatte. Das zugesprochene Schmerzensgeld hätte, laut Gericht, jedoch noch höher ausfallen können.

Diagnose um einen Monat verzögert

Zunächst landete der Fall vor dem Landgericht Gießen. Der hinterbliebene Ehemann hatte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den behandelnden Arzt geklagt [1].

Alexa Frey

Die damals 68-jährige Patientin hatte sich im Oktober 2010 in eine orthopädische Fachpraxis überweisen lassen, da sie Schmerzen im rechten – bereits geschwollenen – Oberschenkel hatte. Der behandelnde Arzt diagnostizierte damals ein Hämatom und verordnete der Patientin Schmerzmittel.

Ende November 2010 veranlasste der Arzt dann ein MRT, das den Befund eines Tumors ergab. Bei dem Tumor handelte es sich um ein pleomorphes Sarkom, das im Dezember 2010 operativ entfernt wurde [2].

Im Februar 2011 wurde eine Metastase entdeckt. Ab Anfang 2012 war die Patientin besonders leidgeprägt gewesen und sie hatte in den letzten 8 Monaten ihres Lebens starke Schmerzen gehabt. Sie starb im August 2012 im Alter von 70 Jahren.

Prognose wäre zuvor 10 bis 20% besser gewesen

Das Landgericht Gießen ging von einem Behandlungsfehler in der Form einer unterlassenen Befunderhebung des Arztes aus, da er beim Erstkontakt im Oktober 2010 gebotene medizinische Untersuchungen unterlassen hatte.

Laut des gerichtlich bestellten Sachverständigen wäre die statistische Prognose der Patientin bei einer Diagnosestellung zu diesem Zeitpunkt um 10 bis 20% besser ausgefallen. Das Landgericht sprach erstinstanzlich daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zu.

Nach Berufung Erhöhung auf 50.000 €

Der Ehemann der Verstorbenen legte Berufung gegen dieses Urteil ein. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte den Befunderhebungsfehler des Arztes und setzte das Schmerzensgeld mit 50.000 € schließlich etwas höher an als das Landgericht [3].

Begründet wurde die Erhöhung damit, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes „einerseits der Leidensweg der Patientin bis zu ihrem Tod, aus dem sich insbesondere die Heftigkeit und Dauer ihrer Schmerzen ablesen lasse, und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation“ zu berücksichtigen seien. Das OLG berücksichtigte hier, dass sich eine 70 Jahre alte, verheiratete Frau mit 2 Kindern und 2 Enkelkindern wegen Metastasen zunehmend Sorgen um ihr Leben machte.

Für die Höhe des Schmerzensgelds sei laut OLG der Zeitpunkt relevant, zu dem die erste Metastase entdeckt wurde. Die Grunderkrankung, also das Sarkom, sei dem Orthopäden nicht zuzurechnen. Ab der Metastasierung sei dieses jedoch in den Hintergrund getreten.

Stattdessen seien nun die schwindenden Genesungschancen sowie die körperliche und psychische Belastung durch medizinische Eingriffe in den Vordergrund gerückt, ebenso wie die starken Schmerzen. Das OLG sprach daher – für diesen Leidensweg – ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € zu.

Deshalb war es nicht noch höher

Die Leidensdauer von etwa eineinhalb Jahren, fügt das OLG hinzu, sei im Vergleich zu anderen Fällen eher gering. Das Leben sei bei einer 70 Jahre alten Person typischerweise unterdurchschnittlich beeinträchtigt, da man in diesem Alter „die zentralen erfüllenden Momente des Lebens“ bereits erlebt habe.

Auch wenn der Orthopäde das Sarkom gleich erkannt hätte, hätte die Patientin im Verlauf starke Beeinträchtigungen erlebt. Der Arzt habe daher zwar eine Verschlechterung zu vertreten, die jedoch nicht näher bestimmbar sei. Die Schmerzen der Patientin seien ihm daher nur sehr begrenzt zuzurechnen. Daher wurde das Schmerzensgeld nicht (noch) höher angesetzt.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, da gegen das Urteil des OLG Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Revision zum BGH zugelassen wird.

Dieser Artikel ist am 19. März 2021 im Original erschienen auf  Coliquio.de .
 

Kommentar

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