Komplementärmedizin: Schutz vor Neuropathien, Haut- und Schleimhautschäden bei onkologischer Therapie sichert Compliance

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

1. April 2021

Neuroprotektion sowie Haut- und Schleimhautschutz sind 2 grundlegende komplementärmedizinische Ziele in der Begleitung von Patientinnen und Patienten während onkologischer Strahlen- und Chemotherapien. Wenn diese 3 Ziele effektiv erreicht werden, sichert das die Compliance und verhindert Therapieabbrüche.

Auf dem frauenärztlichen Fortbildungskongress FOKO 2021 erläuterte Dr. Peter Holzhauer, Chefarzt der Abteilung für Integrative Onkologie der Klinik Bad Trissl, die Standards, die nach aktuellem Studienstand zur supportiv-komplementärmedizinischen Grundausrüstung bei der Begleitung onkologischer Patientinnen und Patienten gehören sollten [1].

Neurotoxizität – nicht zu verwechseln mit dem Hand-Fuß-Syndrom – ist ein verbreitetes Problem in der Folge vieler Chemotherapien. „Unsere Möglichkeiten sind hier begrenzt“, stellte Holzhauer fest. „Hochdosiertes Vitamin B, so wie man es auch bei der diabetischen Neuropathie einsetzen kann, hat zwar auch in der Onkologie eigentlich ein akzeptables Evidenzniveau. Aber die Effekte, die wir bei den Patienten in der Realität sehen, sind nicht überzeugend.“ Erfolgversprechend seien stattdessen, so der Komplementärmediziner, vor allem Methoden, die die toxisch-entzündlichen Prozesse am Neuron modulieren.

Topische Cannabinoide stabilisieren die geschädigten Neuronen

Eine innovative Option seien hier Cannabinoide, wie z.B. Beta-Caryophyllen aus ätherischem Hanföl, das topisch oder systemisch appliziert werden kann, oder auch N-Palmitoylethanolamin (PEA), ein Endocannabinoid mit u.a. antioxidativer Wirkung, sowie das synthetische Cannabinoid-Analogon Adelmidrol. Beide sind sowohl zur topischen als auch systemischen Anwendung geeignet.

„Cannabinoide hemmen die Degranulation in den nervennahen Mastzellen, was zu einer Membran-Stabilisierung in den Neuronen und zu einer Schmerz-Desensibilisierung führt“, erklärte Holzhauer. „Für einen Schutz vor neurotoxischen Schäden und die Regeneration bereits hyperreagibler sensibler Nerven ist dies ein innovativer kausaler Ansatz.“

L-Carnitin stützt Repair-Funktionen

Auch das L-Carnitin sieht Holzhauer weiterhin als bewährtes und potentes Neuroprotektivum an, obwohl die Studienlage eher gemischt sei: „Wir kombinieren zu den Cannabinoiden L-Carnitin hinzu, weil das Oligopeptid zu einem Anstieg des Nerve-Growth-Factors führt und die Repair-Funktionen nach einer Nervenschädigung unterstützt. L-Carnitin zusammen mit topischen Cannabinoiden führt zu einer deutlichen Stabilisierung der neuronalen Situation und verringert die Neurotoxizität vieler Chemotherapien.“ 

 
L-Carnitin zusammen mit topischen Cannabinoiden führt zu einer deutlichen Stabilisierung der neuronalen Situation und verringert die Neurotoxizität vieler Chemotherapien. Dr. Peter Holzhauer
 

Laut Holzhauer sind deren Erfahrungen sehr gut. „Aber die Studien zum L-Carnitin sind leider noch nicht so weit, dass man von einem evidenzbasierten Konzept sprechen könnte. Bislang ist das deshalb noch gelebte Erfahrungsmedizin“, gab der Internist zu.

Wie Sepsis-Patienten auf der Intensivstation

Mit Blick auf die Haut- und Schleimhauttoxizität onkologischer Strategien – sowohl bei Strahlentherapien als auch bei systemischen Konzepten – sieht Holzhauer Vitamin D und Selen als wichtige Optionen an. Krebspatientinnen und -patienten würden bereits vor Beginn der Therapien – wahrscheinlich krankheitsbedingt – häufig defizitäre Blutspiegel von Vitamin D und Selen aufweisen.

„Im Verlauf der Behandlung sehen wir dann teilweise katastrophale Vitamin-D-Situationen und eine desolate Selen-Versorgung, vergleichbar mit Sepsis-Patienten auf einer Intensivstation. Die belastenden Symptome an Haut und Schleimhaut sind häufig mit einem ausgeprägten Vitamin-D-Mangel vergesellschaftet und können auch Arthralgien unter Aromatase-Inhibitoren verstärken“, sagte Holzhauer.

 
Im Verlauf der Behandlung sehen wir teilweise katastrophale Vitamin-D-Situationen und eine desolate Selen-Versorgung, vergleichbar mit Sepsis-Patienten auf einer Intensivstation. Dr. Peter Holzhauer
 

Organische Selenverbindungen für Einsatz in Onkologie ungeeignet

Während der gesamten Therapiedauer und auch später in der Nachsorgesituation sollte deshalb die Versorgung mit Vitamin D und Selen gesichert werden. Dazu Holzhauer: „Wir sprechen hier immer nur von anorganischem Selen, am besten als Natriumselenit. Alle organischen Selenverbindungen, vor allem das häufig verwendete und in der Apotheke frei verkäufliche Selen-Methionin, sind schlecht bioverfügbar, können im ungünstigsten Fall akkumulieren und selbst toxische Effekte hervorrufen.“

Eine der wichtigsten Aufgaben des Selenits sei die Rolle beim Prozess der DNA-Reparatur von gesunden Zellen, u.a. über eine Interaktion mit dem Tumorsuppressorgen p53. Liegt in einer gesunden, aber von einer Schädigung bedrohte Zelle der intakte p53-Wildtyp vor, können sowohl DNA-Reparatur als auch die Induktion der Apoptose ungestört ablaufen. Dieser Prozess brauche Selen. Die Zellen werden dadurch, abhängig von einer ausreichenden Selen-Versorgung, vor Noxen geschützt.

„Wir sehen mit dieser Unterstützung weniger Hautschäden, weniger Schleimhautschäden im Mund und auch erheblich weniger Diarrhöen, z.B. in der Situation einer Strahlentherapie. Insgesamt kann die Tumortherapie damit verträglicher gestaltet werden und die Compliance wird dadurch gestärkt“, so Holzhauer.

 
Wir sehen unter Selen-Supplementierung weniger Hautschäden, weniger Schleimhautschäden im Mund und auch erheblich weniger Diarrhöen, z.B. in der Situation einer Strahlentherapie. Dr. Peter Holzhauer
 

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....