200 falsch positiv, 8 entdeckt, 2 übersehen – warum Kinder- und Jugendmediziner Massen-Schnelltests skeptisch sehen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. März 2021

Aktuell sind in verschiedenen Bundesländern Massen-Tests an Schülern und Lehrpersonal geplant, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Dass dabei der Teufel im Detail steckt und Schnelltests für Kinder und Jugendliche sinnvoll und richtig angewendet werden müssen – darauf weisen jetzt die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in ihrer Stellungnahme hin [1].

Die – verglichen mit der PCR – geringere Sensitivität der Schnelltests und auch die bei einer geringen Prätest-Wahrscheinlichkeit herabgesetzte Spezifität müssten berücksichtigt und positive Ergebnisse natürlich über Post-PCR-Tests abgesichert werden. „Bei einer Wahrscheinlichkeit von über 96%, zwar im Schnelltest positiv im PCR-Kontrolltest aber negativ zu sein, ist eine umfassende Aufklärung über die Limitationen der Schnellteste vorher zwingend notwendig, bevor man anlasslose Massen-Schnellteste in Schulen und Kindertagesstätten einführt“, schreiben DGKJ und BVKJ in ihrer Stellungnahme.

Das Dilemma ist: Zum einen leiden Kinder und Jugendliche unter den aktuellen Bedingungen der Pandemie mit Kita-/Schulschließungen ganz erheblich und ihr Recht auf eine möglichst geringe Beeinträchtigung ihrer Lebensbedingungen muss berücksichtigt werden. Zum anderen sind sie aber auch Teil des Infektionsgeschehens und können Infektionen weitertragen. Mit Hilfe der Tests lassen sich infizierte Personen identifizieren und frühzeitig isolieren.

Zwar könne das Konzept einer anlasslosen flächendeckenden regelmäßigen Testung an Schulen potenziell zur Verhinderung von Infektionsausbreitungen an Schulen beitragen, so die DGKJ, „eine durchdachte umfassende Teststrategie mit Folgeabschätzung ist dabei aber unabdingbar“.

Nasenvorhof -und Gurgeltests müssen richtig durchgeführt werden

Der PCR-Test auf SARS-CoV-2 gilt als Goldstandard für den Infektionsnachweis, Schnelltests erkennen Eiweißbestandteile des Virus, sind aber weniger zuverlässig. Je höher die Viruskonzentration, umso verlässlicher das Testergebnis. Das gilt für beide Tests. Die Viruslast an der Rachen-/Nasenhinterwand ist am höchsten, ein solcher Abstrich sollte allerdings durch medizinisches Personal vorgenommen werden.

Für Kinder deutlich angenehmer sind die auch durch geschulte Laien durchführbaren Nasenvorhof- / Speichel- / Spuck- / Gurgeltests. Um dabei eine ausreichende Virusmenge zu bekommen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören u.a. Schnäuzen vor dem Nasen-Test, Räuspern vor dem Gewinnen von Material aus dem Mundraum, Nüchternheit, kein Zähneputzen. Die Herstellerangaben müssen genauestens beachtet werden inklusive der Anleitung zur Aufbereitung der Proben und Ablesezeit.

Auch seien mindestens 2 Tests in der Woche sind notwendig, um eine ausreichend sichere Aussage zur individuellen Infektionslage treffen zu können. Aus Sicht von DGKJ und BDKJ ist die Organisation von Schnelltesten in Schulen/Kitas zwar „denkbar, aber zeitaufwändig, es muss dokumentiert werden, es ist datenschutzrechtlich nicht unbedenklich und es besteht eine erhöhte theoretische Infektionsgefahr des anleitenden Lehrpersonals“.

Nicht nur die Sensitivität, auch die Spezifität kann ein Problem sein

Die DGKJ weist auch darauf hin, dass kein Test zu 100% zuverlässig ist. Was dies in der Praxis bedeutet, dokumentieren sie anhand eines anschaulichen Rechenbeispiels.

Nach den Vorgaben des PEI zugelassene Schnelltests müssen bei symptomatischen Patienten eine Sensitivität von mindesten 80% und eine Spezifität von 97% aufweisen. Das heißt: 20% der Infizierten werden durch einen Schnelltest nicht als infiziert erkannt.

In einem aktuellen Cochrane Review beträgt die Rate falsch negativer Schnelltests bei asymptomatischen Patienten sogar mehr als 40%. Das kann dazu führen, dass Patienten sich in falscher Sicherheit wiegen, „die Gefahr, dass sie die Hygieneregeln (AHA-L) nicht konsequent befolgen, ist hoch“, so die Kinder- und Jugendmediziner.

Auch die Spezifität kann ein Problem darstellen. Geht man von einer Inzidenz von 100 (pro 100.000 Einwohnern) aus, heißt dies: Von 10.000 Personen sind 9.990 nicht infiziert. Von diesen 9.990 haben aber bei einer Test-Spezifität von 98% nur 9.790 Personen ein richtig negatives Testergebnis, während 200 Personen ein falsch positives Ergebnis erhalten. Alle diese positiven Testergebnisse müssen durch PCR-Tests bestätigt werden. Bis dahin müssen die Personen (und ihre Kontaktpersonen der 1. Kategorie) umgehend isoliert werden.

Im genannten Beispiel werden 208 Personen positiv getestet, von denen aber nur 8 (3,85%) tatsächlich infiziert sind. 2 werden bei einer Sensitivität von 80% nicht erkannt.

Ein günstigeres Verhältnis von falsch zu richtig positiv Getesteten lässt sich bei einer höheren Prätest-Wahrscheinlichkeit erreichen. Außerdem muss – sollen Schnelltests in Schulen und Kitas etabliert werden – eine verlässliche Post-Test-Logistik zur Verfügung stehen mit PCR-Test-Anbietern, die Kontroll-Testergebnisse innerhalb kurzer Zeit liefern können, so dass falsch positiv Getestete nicht zu lange unnötig in Isolation müssen.

Der DGKJ kritisiert: „Der Verweis nach einem positiven Schnelltest – ‚gehen Sie zum Hausarzt oder rufen 116117 oder das Gesundheitsamt an‘ – wird die Getesteten bzw. die Einrichtung, die den Test veranlasst hat (Schule, Kita), mehr oder weniger hilflos zurücklassen.“

Bei 12 Millionen Schülern und 780.000 Lehrkräften in Deutschland, die regelmäßig 2 Mal in der Woche getestet werden müssen, ergebe sich bei einer Spezifität von 98% eine Summe von 511.000 falsch positiv getesteten Personen in einer Woche, die in ein Post-Testverfahren eingeschleust werden müssen und bis zum Ergebnis des PCR-Kontrolltestes isoliert werden müssen (inkl. Kontaktpersonen der 1. Kategorie).

Stehe eine Post-Test-Logistik dann nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung, werde das Vertrauen der Bevölkerung in die Schnelltests sehr rasch verloren gehen, warnt die DGKJ und zieht folgendes Fazit:

  • Schnelltests zeigen bei asymptomatischen Patienten einen hohen Anteil falsch negativer und bei Massentests eine signifikant hohe Zahl falsch positiver Befunde.

  • Bei einem falsch negativen Testergebnis (das bei 40% asymptomatischer Patienten zu erwarten ist) werden die AHA-L-Regeln möglicherweise nicht konsequent umgesetzt.

  • Ein positive Schnelltest wird bei der aktuellen Inzidenz nur zu etwa 4% im PCR-Kontrolltest bestätigt. Damit werden Grundrechte unverhältnismäßig eingeschränkt. Das Vertrauen in ein valides Testergebnis wird bei dieser geringen Quote in der Bevölkerung sinken.

  • Eine praktikable Prä- und Posttest-Logistik, die viele Ressourcen benötigt, muss aufgebaut werden und verlässlich funktionieren.

  • Die Bevölkerung muss über die Limitationen von anlasslosen flächendeckenden Massentests aufgeklärt werden.

  • Ohne eine begleitende Analyse der personenbezogenen Daten zur Testqualität (Anzahl falsch positiver und falsch negativer Schnelltests), zur Symptomatik zum Testzeitpunkt und während der Folgewoche (Eintreffen der PCR-Bestätigungstests) erscheint der Aufwand in Anbetracht der niedrigen Nachweisraten unverhältnismäßig hoch.

  • Ein Konzept zu anlassbezogenen Tests bei symptomatischen Patienten und/oder bei regionalem Ausbruchsgeschehen mit hoher Prätest-Wahrscheinlichkeit ist aktuell sinnvoller.

 

Kommentar

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