Demenzkrank mit Depression: Metanalyse zeigt, es geht (oft besser) ohne Medikamente – doch die Umsetzung bleibt schwierig

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. März 2021

Nicht-medikamentöse Therapien sind bei Demenzpatienten mit leichten depressiven Symptomen offenbar genauso effektiv oder sogar effektiver als Medikamente. Das ist das Ergebnis einer jetzt im BMJ veröffentlichten Metaanalyse [1].

Prof. Dr. Jennifer A. Watt, Geriaterin am St. Michael’s Hospital in Toronto, Kanada, und ihre Kollegen haben für ihre Analyse 256 Studien ausgewertet und verglichen die Wirkung nicht-medikamentöser Therapien mit der Wirkung von Antidepressiva. Massage- und Berührungstherapie, kognitive Stimulation in Kombination mit einem Cholinesterasehemmer und kognitive Stimulation kombiniert mit Bewegung und sozialer Interaktion erwiesen sich als effektiver als die Medikamente.

Prof. Dr. Richard Dodel

Frühere Studien hatten zwar gezeigt, dass nicht-medikamentöse Ansätze depressive Symptome bei Menschen mit Demenz lindern, es war aber nicht klar, wie wirksam sie im Vergleich zu Medikamenten sind. „Die Metaanalyse ist deshalb wichtig, weil sie jetzt diese Evidenz liefert“, kommentiert Prof. Dr. Richard Dodel die Studienergebnisse gegenüber Medscape. Er ist Leiter des Geriatriezentrums Haus Berge in Essen und Lehrstuhlinhaber für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen. Eine Stärke der Analyse sei auch die große Anzahl der überprüften Studien.

Fast ein Drittel der Demenzpatienten leidet an depressiven Symptomen

50 Millionen Menschen weltweit (in Deutschland 1,6 Millionen) weisen die Diagnose Demenz auf, 32% dieser Patienten leiden an depressiven Symptomen, 16% an einer Major Depression. „Depressive Symptome sind bei Demenzpatienten weit verbreitet. Depressionen sind ein Risikofaktor für eine spätere Demenz und treten häufig in deren Vorfeld auf: Bei knapp 60% der Demenzpatienten kann eine Depression bereits bis zu 2 Jahre vor Beginn der Demenz nachgewiesen werden“, so Dodel.

 
Die Metaanalyse ist deshalb wichtig, weil sie jetzt diese Evidenz liefert. Prof. Dr. Richard Dodel
 

Überwiegend werden Depressionen bei Demenzpatienten mit Antidepressiva behandelt. Entsprechend den Empfehlungen der Leitlinie werden den Demenzpatienten mit depressiven Symptomen „eine Psychotherapie, eine medikamentöse Therapie oder eine Kombination aus beidem angeboten“, so Dodel.

Watt und ihre Kollegen hatten in ihre Analyse 28.483 Demenzpatienten eingeschlossen. Die Patienten litten an Depressionen, allerdings nicht an einer Major Depression. Zu den verabreichten Medikamenten gehörten Mirtazapin, Sertralin, Venlafaxin, Fluoxetin, Citalopram, Escitalopram, Desipramin, Imipramin, Clomipramin, Amitriptylin und Paroxetin.

Verglichen mit der Gabe von Antidepressiva waren 7 soziale Interventionen mit einer stärkeren Reduktion der depressiven Symptome assoziiert, wobei die 3 Kombinationen am besten abschnitten:

  • kognitive Stimulation (mittlere Differenz -2,93; 95% KI: -4,35 bis -1,52),

  • multidisziplinäre Betreuung (-1,98; KI: -3,80 bis -0,16),

  • Beschäftigungstherapie (-2,59; KI: -4,70 bis -0,40),

  • Reminiszenz-Therapie (-2,30; KI: -3,68 bis -0,93),

  • kognitive Stimulation kombiniert mit einem Cholinesterasehemmer (-11,39; 95% KI: -18,38 bis -3,93),

  • Massage und Berührungstherapie (-9,03; KI: -12,28 bis -5,88),

  • Bewegung plus soziale Interaktion und kognitive Stimulation (-12,37; KI: -19,01 bis -5,36).

Multimodale Therapien helfen – doch es fehlt an passenden Angeboten

„Nicht-medikamentöse Ansätze waren mit einer deutlichen Reduktion der Depressionssymptome bei Menschen mit Demenz verbunden“, schreiben die Autoren. Und sie regen an, dass Ärzte mehr „soziale“ Verschreibungen von nicht-medikamentösen Ansätzen bei Vorliegen von Depressionen in Betracht ziehen sollten.

Diese Schlussfolgerung der Autoren, dass Ärzte bei Demenzpatienten mit Depressionen mehr „soziale Therapien“ verschreiben sollten, unterstützt auch Dodel. Er sagt aber auch: „Wir wissen seit Jahren, dass multimodale Therapien bei Patienten mit Demenz hilfreich sind. Wir brauchen aber die entsprechenden Angebote und Kurse von Leuten, die darauf spezialisiert sind. Es ist einfacher und weniger aufwändig, eine Pille zu schlucken, als ein- bis zweimal pro Woche im Rahmen einer Bewegungstherapie einen Sportkurs zu besuchen. Man muss sich auch klar machen, dass wir ja nicht über junge Menschen sprechen, sondern über ältere Menschen, die möglicherweise seit vielen Jahren keinen Sport getrieben haben.“

 
Depressive Symptome sind bei Demenzpatienten weit verbreitet. Depressionen sind ein Risikofaktor für eine spätere Demenz. Prof. Dr. Richard Dodel
 

Der DGN-Experte ist überzeugt, dass sich multimodale Therapien in der Behandlung der Demenz durchsetzen werden. „Das größte Problem ist, dass die Empfehlungen für multimodale Therapien – gerade außerhalb von spezialisierten Zentren – nicht so einfach umzusetzen sind“, erklärt er. Selbst wenn man als Angehöriger ein passendes Angebot für Mutter oder Vater finde, sei noch die Frage, ob man auch einen Termin bekomme. In Essen arbeitet man gerade daran, alle Angebote für Patienten mit Demenz kompakt und übersichtlich zusammenzustellen.

Forschungsprojekt pdp: Passende Therapie für Demenz-Risikopatienten

Idealerweise könnte der Zugang zu multimodalen Therapien wie in Luxemburg aussehen. In das Forschungsprojekt pdp 2.0 werden Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) eingeschlossen, um gezielt das Demenzrisiko zu verringern.

Übergewicht, Bluthochdruck, Depressionen, Schwerhörigkeit oder ein schlecht eingestellter Diabetes sind Risikofaktoren für die Entstehung einer Demenz. Auch Rauchen, soziale Isolation oder mangelnde Bewegung begünstigen das Entstehen der Erkrankung.

Menschen, bei denen ein Verdacht auf MCI besteht und die Hinweise auf erhöhte Risikofaktoren zeigen, können am pdp-Programm teilnehmen und bekommen darüber ein individuelles Risikoprofil erstellt. Basierend auf dem Risikoprofil werden dann konkrete und kostenlose Maßnahmen vorgeschlagen: Die Patienten erhalten dann entsprechende Tickets, z.B. für einen Sportkurs oder ein gezieltes Gedächtnistraining.

Tragische Beispiele

„Ein ungerichtetes Angebot von multimodalen Therapien wäre zu aufwändig, man muss die Patienten und Angehörigen steuern“, sagt Dodel. Seine Erfahrung ist ohnehin, dass nur ein geringer Teil – zwischen 10 und 20% der Patienten – den Empfehlungen des Arztes, beispielsweise Sport zu treiben, auch tatsächlich folgt. „Weil es nur wenige sind, die das wirklich nutzen, wäre ein Ticketsystem schon sinnvoll“, sagt er.

 
Das größte Problem ist, dass die Empfehlungen für multimodale Therapien – gerade außerhalb von spezialisierten Zentren – nicht so einfach umzusetzen sind. Prof. Dr. Richard Dodel
 

Dodel bestätigt, dass Depressionen bei Demenz noch häufig unterschätzt werden. Prominentes Beispiel: Gunter Sachs, der an sich selbst Alzheimer-Demenz diagnostiziert zu haben glaubte, an schweren Depressionen litt und sich aus Angst vor der Demenz das Leben genommen hat. Oder der Schauspieler Robin Williams, der – wie seine Ehefrau Susan Schneider Williams in Neurology schrieb – an einer Demenz mit Lewy-Körpern litt, die jahrelang nicht erkannt wurde und der sich schließlich – schwerst depressiv – 2014 das Leben nahm.
 

Kommentar

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