TK-Pizza, Limo und Chips – mit jeder Portion Fertigessen steigt das kardiovaskuläre Sterberisiko

Antje Sieb

Interessenkonflikte

25. März 2021

Jede zusätzliche Portion stark verarbeiteter Lebensmittel könnte das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, erhöhen. Diese Assoziation beobachteten US-Wissenschaftler um Dr. Philippa Juul, Public-Health-Forscherin von der Universität New York, in einer prospektiven Studie an gut 3.000 Probanden. Die Studie ist im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht [1].

Mit jeder Zusatzportion Fertigessen war dabei ein um 9% erhöhtes kardiovaskuläres Sterblichkeitsrisiko verbunden. Damit sieht eine weitere Publikation gesundheitliche Nachteile bei einem hohen Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel. „Die Datenlage ist noch nicht sehr umfangreich“, sagt dazu der Ernährungsepidemiologe Prof. Dr. Matthias Schulze vom Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. „Es gibt erste Studien, die nahelegen, dass es dahingehend Bedenken geben sollte, aber die Evidenz ist noch recht übersichtlich.“

Die US-Wissenschaftler nutzten die Daten der Framingham Offspring Kohorte, einer Gruppe, die seit den 1970er-Jahren beobachtet wird. Die Teilnehmer werden in regelmäßigen Abständen untersucht und befragt. Als Grundlage für die vorliegende Analyse diente eine Folgeuntersuchung aus den Jahren 1991 bis 1995. Aus der Teilnehmergruppe wurden alle ausgeschlossen, die zu diesem Zeitpunkt bereits an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litten oder für die keine ausreichenden Ernährungsdaten vorlagen.

Für die 3.003 verbleibenden Teilnehmer berechneten die Wissenschaftler anhand von Fragebogen, wie viele Portionen stark verarbeiteter Lebensmittel sie täglich zu sich nahmen. Als Portion galten dabei etwa eine Dose Limonade oder rund 30 g Kartoffelchips. Manche Teilnehmer kamen dabei auf nur 4 Portionen täglich, andere auf über 11 Portionen – im Schnitt wurden 7,5 Portionen pro Tag verzehrt.

Klassifizierung oft schwierig

Diese Berechnung sei allerdings oft nicht einfach, gibt Schulze zu bedenken: „Es ist in vergleichbaren Studien oft schwierig, den Lebensmittelverzehr sauber in diese Gruppen einzuteilen, weil man nicht unbedingt konkret nach dem Verarbeitungsgrad gefragt hat.“

Stark verarbeitete Lebensmittel sind nach der in der aktuellen Studie benutzten NOVA-Klassifizierung solche Lebensmittel, die Zusatzstoffe enthalten und industriellen Prozessen unterworfen werden, die in der heimischen Küche so nicht vorkommen würden. Während Chips und Limonaden meist recht eindeutig in die Gruppe der stark verarbeiteten Lebensmittel gehören, ist die Einteilung bei Brot z.B. komplizierter: Je nach Zutaten kann es stark oder weniger stark verarbeitet sein.

Während der durchschnittlich 18 Jahre langen Nachbeobachtungszeit kam es bei den Teilnehmern zu insgesamt 251 Fällen von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herztod. 108 Todesfälle waren auf kardiovaskuläre Ursachen zurückzuführen.

Aus diesen Daten berechneten die Wissenschaftler, dass eine zusätzliche tägliche Portion verarbeiteter Lebensmittel mit einem um 7% erhöhten Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis assoziiert war. Das kardiovaskuläre Sterblichkeitsrisiko erhöhte sich um 9%. Das habe sich auch nicht geändert, wenn für verschiedene mögliche Einflussfaktoren wie BMI, Bewegung oder Rauchen adjustiert wurde, schreiben die Autoren.

Mögliche Wirkmechanismen noch unzureichend erforscht

Die Gruppe der stark verarbeiteten Lebensmittel ist allerdings recht heterogen. Tiefkühlpizza und andere Fertigessen gehören ebenso dazu wie süße und salzige Snacks, Frühstückscerealien, Wurstwaren und Limonaden. Was genau für negative gesundheitliche Auswirkungen verantwortlich sein könnte, ist bisher unklar. Neben einem Zuviel an ungünstigen Fetten, Zucker oder Salz kämen auch Verarbeitungsprozesse oder Zusatzstoffe infrage – die Beweislage ist allerdings häufig noch lückenhaft, so Schulze.

Eine mögliche Frage: „Wenn die klassischen Frühstückcerealien aus Vollkornprodukten bestehen, ist das physiologisch trotzdem etwas anderes, als wenn ich Haferflocken verzehre? Man kann diskutieren, ob ursprüngliche Nahrungsmittel auf Grund ihrer Struktur und Konsistenz z.B. andere Auswirkungen auf die Verdauung haben – aber ob dies Erkrankungsrisiken erklären kann, ist nicht gut untersucht“, erklärt Schulze.

 
Der Verarbeitungsgrad kann abhängig vom einzelnen Lebensmittel sehr unterschiedlich zu bewerten sein. Prof. Dr. Matthias Schulze
 

Und auch Zusatzstoffe sind in der Regel zugelassen und gelten als sicher. Ob sie in Form eines Cocktails allerdings andere Wirkungen entfalten könnten, ist ebenfalls noch unklar. Die Autoren der vorliegenden Studie halten etwa Auswirkungen von Zusatzstoffen auf die Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, für möglich.

Nicht alle verarbeiteten Lebensmittel gleich

Schulze findet es deshalb erwähnenswert, dass die Autoren der vorliegenden Studie auch versucht haben, die Auswirkungen einzelner Gruppen innerhalb der verarbeiteten Lebensmittel näher zu betrachten. „Der Verarbeitungsgrad kann abhängig vom einzelnen Lebensmittel sehr unterschiedlich zu bewerten sein“, glaubt der Epidemiologe.

In der vorliegenden Studie zeigten sich signifikante Assoziationen des Herz-Kreislauf-Risikos mit verarbeitetem rotem Fleisch, salzigen Snacks oder mit stark verarbeiteten Brotprodukten. Der Verzehr von gesüßten Getränken oder Fast Food schien sich allerdings nicht statistisch signifikant auszuwirken, und der Verzehr von Frühstückscerealien war sogar mit geringerem Herz-Kreislauf-Risiko verbunden.

 
Wenn man Ergebnisse so feingliedrig aufteilt, kann es sein, dass Effekte in manchen Fällen zu sehen sind, in anderen nicht. Prof. Dr. Matthias Schulze
 

Schulze möchte solche teilweise auf den ersten Blick erstaunlich klingenden Ergebnisse allerdings auch nicht überbewerten. „Wenn man Ergebnisse so feingliedrig aufteilt, kann es sein, dass Effekte in manchen Fällen zu sehen sind, in anderen nicht.“ Entscheidend sei am Ende ohnehin das Gesamtbild aus allen verfügbaren Studien.

 

Kommentar

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