„Keine andere Krebserkrankung bedroht Sexualität und Partnerschaft mit der gleichen Wucht wie der Brustkrebs“, konstatierte Dr. Markus Valk, Frauenarzt und Sexualmediziner, auf dem FOKO 2021, dem Fortbildungskongress der Akademie des Berufsverbandes der Frauenärzte [1].
Er betonte, dass es für die wichtige erste Hilfestellung für die Patientin und deren Partnerschaft keine sexualmedizinische Ausbildung braucht. Wichtig ist es vielmehr, die Bruchstellen für Sexualität und Partnerschaft überhaupt zu kennen, die durch die Krankheit aufgeworfen werden, und sie in der Nachsorge anzusprechen. „Die eigene Offenheit und Ehrlichkeit bauen der Patientin und auch ihrem Partner oder ihrer Partnerin eine Brücke, selbst ins Gespräch zu kommen.“
Intimität hat eine eigenständige Qualität
Besonders am Anfang der Krebserkrankung sei die Ermutigung gegenüber der Patientin wichtig, den Wunsch nach Intimität zuzulassen. „Intimität bedeutet Herzensnähe und danach haben die traumatisierten Patientinnen praktisch immer eine große Sehnsucht“, so Valk. Sie leiden häufig schwer unter dem Gefühl der Verstümmelung und auch unter dem Haarausfall.
Viele supportive Medikamente beeinträchtigen zudem die Libido. Der medikamentöse Hormonverlust führt nicht nur zu Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen und schweren Beeinträchtigungen der Stimmungslage, sondern auch zu einer dauerhaften vulvovaginalen Atrophie. Diese wiederum führt zu Trockenheit und erheblicher Verletzlichkeit der Vaginalhaut, zu Schmerzen beim Sex und letztlich zur Unmöglichkeit, penetrativen Sex zu haben.
Auch die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in Alltag, Familie und im Beruf beeinträchtigen das Selbstwertgefühl der Patientin. Meist sei auch ein Karriereknick nicht zu vermeiden, so Valk. „Es kommt zu einem Störungsbild des gesamten Lebensentwurfs. Alle Lebenspläne gehen verloren, die Patientin muss sich und ihr ganzes Leben neu definieren.“
Die vor der Krebserkrankung geübte Sexualität sei durch diese einschneidenden Veränderungen auf vielen Ebenen nachhaltig beeinträchtigt. Der Patientin hier für einen Neuanfang die Tür zu öffnen, könne die Lebensqualität erheblich verbessern.
Oft hat die Patientin keine Worte
„Wir sollten nicht warten, bis die Patientin von sich aus ihre Problematik anspricht, denn das tut sie nicht. Das ist viel zu schambesetzt und häufig hat sie für das, was sie bedrückt, auch gar keine Worte“, so Valk. „Die Initiative liegt bei uns, und jeder Nachsorgetermin ist dafür der richtige.“
Empfehlenswert sei es, sich der eigenen Partnerschaft und Sexualität in Ehrlichkeit zu stellen. Offenheit und Durchlässigkeit sich selbst gegenüber sei die Brücke, über die man den richtigen Einstieg für das Gespräch mit der Patientin finden kann.
Dabei müsse nicht gleich die Sexualität direkt angesprochen werden. Anfangs gehe es meist darum, überhaupt den Weg dorthin wieder zu finden: „Wie viel sinnvolle Paarzeit verbringen Sie miteinander?“ sei eine Kernfrage, denn Zeit miteinander als Paar zu verbringen, sei die Grundlage, um in problematischen Situationen wie einer Krebserkrankung neue Ebenen von Intimität und Sexualität zu entdecken und zuzulassen. Gemeinsames Fernsehen gelte dabei nicht als sinnvoll verbrachte Paarzeit.
Trockene Vagina – Folge der Antihormon-Therapie
„Sprechen Sie auch Themen der Körperlichkeit und der Erotik direkt an“, rät Valk. „Ermutigen Sie die Patientin, ihre Brust vor dem Spiegel anzusehen, anzufassen, sich einzucremen, sich vom Partner ansehen, berühren und vielleicht ebenfalls eincremen zu lassen. Fragen Sie vielleicht beim nächsten Nachsorgetermin, ob sie schon wieder Sex hatte oder es versucht hat, ob das schmerzhaft war, ob die Scheide trocken war und erklären Sie ihr, dass das eine Auswirkung der Therapie ist und dass das nichts mit fehlender Liebe und Leidenschaft zu tun hat.“
Allein die Tatsache, dass man für diese Themen in der Konsultation Worte und Formulierungen finde, könne für die Patientin eine Ermutigung sein, diese Fragen ihrerseits in ihrer Partnerschaft zum Thema zu machen.
Denn auch die Partner seien durch eine Krebserkrankung immer massiv mitbeteiligt und kreisen vielfach um ihre eigenen, unbeantworteten Fragen: „Darf ich Lust haben und zeigen? Darf ich ihr zeigen, dass ich sie weiterhin attraktiv finde? Oder bin ich dann übergriffig? Wie erkenne ich, dass ich meine Partnerin bedränge, dass ich ihr zur Last falle? Ist Sexualität für meine Partnerin wichtig oder stört es, wenn ich meine Ansprüche stelle? Darf ich alles so wie früher oder muss ich irgendwas anders machen?“
Die Sprachlosigkeit aufbrechen
Gegebenenfalls könne es sich anbieten, ein Paargespräch außerhalb der Praxisroutine anzubieten, so Valk. Dabei gehe es gar nicht darum, als Arzt Lösungen für eine problematische Situation zu finden, sondern dem Paar Ankerpunkte zu geben, um miteinander in einen Austausch zu kommen.
„Wir müssen als Ärztin und Arzt die Fragen stellen, die sich das Paar nicht mehr stellen kann: Was an Gemeinsamkeit geht derzeit, was geht nicht, was tut mir oder was tut dir gut? Wann waren wir uns in unserem Leben besonders nah, wann war unsere Nähe besonders intensiv? Und wie ist das heute? Was genau wünscht sich der eine oder der andere an Nähe, an Zuneigung, an Berührung, an Sexualität?“
Die Fragen müssen im Arztgespräch nicht beantwortet werden, so Valk. Es reiche, sie zu stellen und dann dem Paar das Vertrauen zu vermitteln, dass es selbst die Stärke hat, das gemeinsame Gespräch fortzuführen, die nächsten Schritte zu gehen.
SSRI und trizyklische Antidepressiva sind eine Libidobremse
Im weiteren Verlauf der Nachsorge gehe es dann um medikamentöse Hilfestellung: Psychopharmaka seien in der depressiven Situation nahezu unerlässlich, so Valk. „Aber denken Sie daran, SSRI sind eine Libidobremse, und eine etwas schwächere auch trizyklische Antidepressiva. Als Alternative kommen gegebenenfalls Bupropion oder Venlafaxin in Frage.“
Bei klimakterischen Beschwerden durch die Antihormon-Therapie sei eine Hormonersatztherapie häufig nicht möglich. Sibirischer Rhabarber, Salbei hochdosiert und auch Traubensilberkerze seien hormonfreie pflanzliche Alternativen. Venlafaxin als Antidepressivum könne Hitzewallungen ebenfalls moderieren. Als Hilfestellung für die Libido könne auch an das südamerikanische Maca gedacht werden.
Grünes Rezept spart Peinlichkeit in der Apotheke
„Für die vulvovaginale Atrophie können Lubrifikanzien empfohlen werden. Gegebenenfalls schreiben Sie der Patientin ein grünes Rezept für ein Hyaluronsäure-haltiges Vaginalgel aus. Das ist zwar rezeptfrei. Aber dann ersparen Sie der Patientin, in der Apotheke danach zu fragen.“
Hilfreich sei auch die lokale Anwendung von Estriol als Low-dose-Applikation, das auch im rezeptor-positiven Fall leitliniengerecht sei. Von der FDA beim Mammakarzinom zugelassen sei auch die lokale Anwendung von DHEA als Vagina-Suppositorium.
„Die Möglichkeiten, einer Brustkrebspatientin zur Selbstliebe, zu einer befriedigenden Partnerschaft und Sexualität zu verhelfen, sind in der normalen Nachsorge begrenzt. Diese Möglichkeiten sollten wir aber nutzen, so gut es in unserer Macht steht“, so Valk. „Intimität und Sexualität sind eine große Ressource, aus der die Patientin Lebensmut schöpfen kann.“
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Vom Kampf gegen den Brustkrebs zum Kampf um die Partnerschaft: So können Sie Ihren Patientinnen helfen - Medscape - 23. Mär 2021.
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