Kinder sind in ihrem Alltag durch die Medien einer Vielzahl von Anreizen ausgesetzt, ungesunde Lebensmittel zu konsumieren. Ihr Risiko für Übergewicht oder Adipositas erhöht sich. Darauf wiesen Experten bei einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und des AOK-Bundesverbands hin. Sie stellten Ergebnisse einer aktuellen Studie der Universität Hamburg zum Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV vor [1]. Tenor der Experten: Zur Krankheitsprävention sei Werbung dieser Art – wie bereits in einigen anderen Ländern geschehen – gesetzlich zu reglementieren oder ganz zu verbieten.
Social Media spielen eine Schlüsselrolle
Als zentrale Ergebnisse nannte Studienautor PD Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg:
Ein mediennutzendes Kind im Alter von 3 bis 13 Jahren sieht in Deutschland durchschnittlich pro Tag rund 15 Lebensmittelwerbungen für ungesunde Produkte – davon etwa 5 im Internet und etwa 10 im Fernsehen.
Von der gesamten Lebensmittelwerbung, die Kinder im Internet und TV rezipieren, betreffen 92% ungesunde Produkte. Die Bewertung erfolgte dabei anhand des Nutrition Profile Model der WHO.
Rund 70% der von Kindern gesehenen Lebensmittelwerbespots im TV richten sich durch Aufmachung oder Umfeld der Ausstrahlung direkt an Kinder. Zwar sehen Kinder mittlerweile weniger fern, dafür nimmt die Frequenz ungesunder Werbespots im Fernsehen zu.
Soziale Medien wie Facebook oder YouTube nehmen eine Schlüsselrolle im Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel ein.
Knapp 67% des untersuchten Videocontents für ungesunde Lebensmittel auf YouTube wurde durch Influencer beworben.
Akute Effekte auf Auswahl und Verzehr
Dass derartige Werbung bei Kindern gut wirkt, erläuterte Prof. Dr. Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung: „Dutzende, meist im angelsächsischen Raum durchgeführte Studien zur Kinderwerbung für Lebensmittel und Getränke belegen eindeutig, dass diese Werbung akute Effekte auf die Lebensmittelauswahl und den Lebensmittelverzehr hat. Das heißt, dass Kinder die beworbenen Lebensmittel rasch bevorzugen, vermehrt konsumieren und damit den Weg in eine ungesunde Ernährung einschlagen.“ Dabei seien die Kinder um so leichter manipulierbar, je jünger sie seien. „Das nutzt die Werbung und die hinter ihr stehende Industrie unverblümt aus“, erklärt Hauner.
Besonders gefährlich und perfide sei Werbung über Influencer in sozialen Medien, weil sie auf Peer-Group-Ebene erfolge und sich z.B. Tweens (Kinder im Alter zwischen 10 und 13 Jahren) sehr stark mit ihren bevorzugten Youtubern identifizierten, weiß der Experte. So zeigte u.a. eine randomisiert-kontrollierte Studie zum Influencer-Marketing für ungesunde Nahrungsmittel, dass Kinder den Konsum dieser Produkte umgehend nach der Werbung dafür steigerten.
Prävention durch Regulierung
Abhilfe könnten gesetzliche Regulierungen schaffen. Hier verwies Hauner auf eine große Studie zum Junkfood-Marketing aus den USA, bei der die Regelungen von fast 80 Ländern weltweit miteinander verglichen wurden. Wie die Autoren berichten, nahm der Verzehr von Junkfood in Ländern mit Regulierungen von Kinderwerbung nach deren Implementierung signifikant ab.
Als Modell nannte Hauner Chile mit besonders strengen Regeln, etwa auch Warnhinweisen auf ungesunden Lebensmitteln. „Je mehr Regeln bestehen, desto stärker sind die reduzierenden Effekte", so der Ernährungsmediziner. Notwendig, aber bislang noch nicht verfügbar seien allerdings auch Daten dazu, wie die Reglementierung von Kinderwerbung nicht nur den Lebensmittelverzehr, sondern gesundheitsrelevante Parameter wie Übergewicht direkt beeinflusst.
Die seit Jahren zunehmende Prävalenz von Übergewicht bei Kindern korreliert nicht zuletzt mit dem hohen Medienkonsum vieler Kinder aufgrund eigener PCs oder Smartphones, wie die Berliner Kinderärztin Dr. Sigrid Peter, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), erläuterte: „Die Folgen der Corona-Pandemie, das Home-Schooling, mangelnde Bewegungsmöglichkeiten und Ausfall jeglichen Sports tragen hier zusätzlich zu einem Übergewichtsproblem bei.“
Um normalgewichtig zu werden und zu bleiben, bräuchten Kinder so wenige Versuchungen wie möglich und Regelungen auf oberster Ebene gegen an sie gerichtete Lebensmittelwerbung.
Werbeverbot als Teil eines Maßnahmenbündels
Freiwillige Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie, so Dr. Kai Kolpatzik, Leiter der Abteilung Prävention beim AOK-Bundesverband, hätten sich als unwirksam erwiesen. Als Beispiele nannte er den seit 2007 bestehenden sogenannten EU Pledge der weltgrößten Lebensmittelunternehmen auf der europäischen Bühne sowie die nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Salz und Fette, die zu keinen wesentlichen Veränderungen geführt hätten.
„Ein Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel“, sagte Barbara Bitzer, DANK-Sprecherin und Geschäftsführerin Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), „ist mehr als überfällig. Es gehört auf die politische Agenda und in den nächsten Koalitionsvertrag“.
Ein alleiniges Werbeverbot, so die Auffassung Kolpatziks, werde jedoch nicht ausreichen, damit sich Kinder gesünder ernährten. „Dafür braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen inklusive gesetzlicher Schritte wie etwa die Einführung einer Softdrink-Steuer nach dem Vorbild Großbritanniens oder die Umsetzung einheitlicher Standards für die Kita- und Schulverpflegung.“
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Diesen Artikel so zitieren: Gegen Zuckerbomben, Junkfood und andere Dickmacher: Experten fordern Verbot von Kinderwerbung für ungesunde Lebensmittel - Medscape - 17. Mär 2021.
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