Das Fernbehandlungsverbot ist schon länger passé, ohne dass bisher von Ärzten und Bevölkerung größere Reaktionen gekommen wären. Denn die Pandemie zeigt die Chancen der Digitalisierung für Ärzte auf wie unter einem Brennglas. Ein Beitrag von Hans-Joachim A. Schade, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator von der Rechtsanwaltskanzlei „Broglie, Schade & Partner GmbH“:
Digitalisierung der Arztpraxen ist vom Gesetz gegeben
Die Aufhebung des Fernbehandlungsverbotes und die Einführung von Videosprechstunden und Telemonitoring – wie die Dauerüberwachung von Diabetes-Patienten mit Sensoren am Körper – hatten Ärzteschaft und Bevölkerung noch ohne unmittelbare Verhaltensänderungen zur Kenntnis genommen. Keiner nutzte die neuen Chancen, hielten sie doch die gesetzgeberischen Interventionen für überflüssig.

Hans-Joachim A. Schade
Mit der 1. und 2. Corona-Welle hat sich das grundlegend geändert. Die Menschen haben gelernt, die regelmäßigen Arztkonsultationen zu reduzieren. Die Nutzung von Videosprechstunden und Telefonberatung ist zeitgleich hochgeschnellt. So haben Ärzte und Patienten entdeckt, dass auch telefonische und Video-basierte Kontakte Informationsgewinn und Sicherheit bringen.
Noch hapert es an der Abrechnung digitaler Kontakte
Je mehr Videosprechstunden und Telefonberatungen eingesetzt werden, desto weniger physische Untersuchungen können die Ärzte in den Praxen naturgemäß abrechnen. Arztvertreter formulieren in der Folge, dass der persönliche Kontakt immer noch Goldstandard sei. Zugleich räumen sie ein, dass er in nur noch etwa 20% aller Arztkontakte erforderlich sei.
Zusammengefasst: Weniger Arztkontakte und die Patientenverlagerungen in die neuen Wohn- und Arbeitsquartiere steigern die Gefahr, dass es einen Einbruch in der abgerechneten Patientenkontaktfrequenz und damit in der Fallzahl gibt.
Wird zusätzlich der regelmäßige physische Arztbesuch durch dauerhaft am Körper messende Sensoren ersetzt, zeigt sich, dass es neue Herausforderungen für die Abläufe in der Arztpraxis geben könnte.
Die Arztpraxis wäre dann nicht mehr die Erstanlaufstelle mit Diagnose, sondern zunehmend Ort für das Gespräch über die von Patienten mitgebrachten und übermittelten Daten, inklusive der daraus resultierenden Vorschläge für Diagnose und Behandlung. Für dies Anforderungen und Abläufe gibt es jedoch heute keinen Gebührenrahmen.
Die Vision von der hybrid-digitalen Hauptpraxis
In den Quartieren in städtischen Randvierteln und in der Fläche entstehen neue multifunktionale Begegnungsstätten. (Lesen Sie hierzu auch einen weiteren Kommentar von Hans-Jochen A. Schade über „Tote Innenstädte – leere Praxen“. )
So wird es möglich sein, zentrale Praxisstandorte in der Fläche zu entwickeln. Dort stehen dann sowohl ärztliches Praxispersonal als auch Ärzte auf flexibler Zeitbasis zur Verfügung. Dies gilt für Ärzte der Grundversorgung ebenso wie für Zahnärzte mit Schwerpunkten wie Prophylaxe und Schmerzintervention. Ferner könnten sich um diesen Standort Angebote zur Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege und stark automatisierte Apotheken und Sanitätshäuser entwickeln.
Dieser Artikel ist im Original am 3. März 2021 erschienen auf Coliquio.de .
Medscape © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Die hyprid-digitale Praxis kommt: Nur noch jeder 5. Arzt-Patienten-Kontakt persönlich – Einbruch der Fallzahlen vorprogrammiert? - Medscape - 17. Mär 2021.
Kommentar