Die europäische Arzneimittelagentur EMA stellt sich nach wie vor hinter den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca. Nach derzeitigen Erkenntnissen überwiegt nach Ansicht der Agentur immer noch der Nutzen der Impfung deren Risiken, zeigte sich EMA-Chefin und Pharmazeutin Emer Cooke bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz der Agentur am Dienstag „tief überzeugt“.
Am Donnerstagnachmittag soll die erste PRAC-Bewertung vorliegen
Die Bewertung der unerwünschten Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung sei ein „laufender Prozess“, sagte Cooke. Bereits am gestrigen Dienstag gab es ein Ad-hoc-Experten-Meeting zu den gemeldeten Vorfällen, über deren genaue Anzahl Cooke keine Angaben machen wollte. Diese Zahlen seien „sehr dynamisch“ – es würden ständig neue Verdachtsfälle aus verschiedenen Ländern gemeldet, die EMA habe auch zu solchen Meldungen aufgefordert, sagte sie. Es geht in erster Linie um thromboembolische Ereignisse. Am Donnerstagnachmittag kündigte sie eine offizielle Bewertung der Situation im Anschluss an eine Sondersitzung des für Nebenwirkungen zuständigen PRAC-Gremiums der EMA an.
Wie berichtet, hatte am Montagnachmittag das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Anraten des für die Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich Instituts (PEI) die Impfungen mit der AstraZeneca-Vakzine in Deutschland vorläufig ausgesetzt. Auch in anderen europäischen Ländern war man ähnlich vorsorglich vorgegangen. In Deutschland soll es, wie Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, 7 Fälle von Hirnvenen-Thrombosen gegeben haben, 3 davon verliefen tödlich.
Laut PEI handelt es sich damit um eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenen-Thrombosen (Sinusvenenthrombosen) in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu den Impfungen. Alle Fälle traten zwischen 4 und 16 Tagen nach Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine auf.
Betroffen vor allem Frauen in jüngerem und mittlerem Alter – 3 starben
Bei den Betroffenen handelte es sich vor allem (6 von 7 Fällen) um Frauen in jüngerem bis mittlerem Alter – also Menschen, bei denen das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf eher gering ist. Die Zahl der Fälle bei insgesamt 1,6 Millionen verimpften Dosen sei statistisch signifikant höher als in der Bevölkerung normalerweise zu erwarten sei: Die Häufigkeit in der allgemeinen Bevölkerung wird mit 2 bis 5 pro einer Million Personen pro Jahr angegeben. „Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle sind gemeldet worden.“
Alle befragten Expertinnen und Experten seien einstimmig der Meinung gewesen, dass hier ein Muster zu erkennen sei und ein Zusammenhang mit der AstraZeneca-Vakzine „nicht unplausibel" sei, hieß es vom PEI. Daher empfahl es, bis zum Abschluss der Bewertung durch die EMA die Impfungen mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca in Deutschland auszusetzen – und zwar sowohl für Erst- als auch Folgeimpfungen.
Das PEI weist darauf hin, dass Personen, die den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca erhalten haben und sich mehr als 4 Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen – z.B. mit starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen – sich unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben sollten.
EMA will klinische Einzelheiten nun genauer prüfen
Bei der EMA will man nun die klinischen Einzelheiten der gemeldeten Fälle genauer prüfen – ebenso, ob diese Meldungen nur bestimmte Chargen des Impfstoffs betreffen – und vielleicht mit Fehlern im Produktionsprozess im Zusammenhang stehen könnten. Darüber hinaus werde natürlich auch analysiert, ob ähnliche Fälle auch unter den mRNA-Impfstoffen von Moderna oder BioNTech-Pfizer berichtet worden seien, kündigte Cooke an.
In Großbritannien sind übrigens bislang 3 solcher Fälle einer Sinusvenenthrombose registriert worden – dies bei insgesamt über 11 Millionen verimpften Dosen der Vakzine von AstraZeneca. Diese Rate in UK sei „ganz sicher“ keine besondere Häufung, meint Prof. Dr. Peter Berlit, Koordinator der S1-Leitlinie Neurologische Manifestationen bei COVID-19 und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin. Weiter sagte er gegenüber dem Science Media Center: „Die Frage ist: Ist in Deutschland eine ungewöhnliche Häufung aufgetreten? Auch hier lässt sich das derzeit nicht sicher beantworten“, so seine Einschätzung.
„Wir benötigen eine tiefgehende wissenschaftliche Analyse der gemeldeten Fälle“, sagte EMA-Direktorin Cooke. In den klinischen Zulassungsstudien seien solche Nebenwirkungen nicht aufgefallen, sie seien daher bislang auch nicht bei den unerwünschten Ereignissen gelistet. Nach den bisherigen Daten seien thromboembolische Ereignisse insgesamt bei gegen COVID-19 Geimpften nicht statistisch gehäuft aufgetreten, berichtete Cooke.
Sie erinnerte daran, dass die Impfstoffe ein wichtiges Instrument seien, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. „Es ist nicht unerwartet, wenn Millionen von Menschen geimpft werden, dass unerwünschte Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gemeldet werden.“ Nun gelte es zu entscheiden, ob es sich bei diesen Fällen um „reale Nebenwirkungen oder nur um eine Koinzidenz“ handele.
„Wir werden diese Meldungen sehr, sehr sorgfältig bewerten“, versprach Cooke, „und die EU-Bevölkerung zeitnah informieren.“ Es sei für den Fortgang der Impfungen von enormer Bedeutung, dass die Bevölkerung auf die Sicherheit der verwendeten Vakzine vertrauen könne. Nun hoffen alle auf mehr Klarheit nach dem PRAC-Meeting am kommenden Donnerstag – wir werden berichten.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: PEI versus EMA – wie sich die Bewertung des Impfrisikos mit der AstraZeneca-Vakzine unterscheidet: die Standpunkte - Medscape - 17. Mär 2021.
Kommentar