Bilden sich auf sonnengeschädigter Haut aktinische Keratosen, wird eine Behandlung dringend empfohlen, um nicht ein Fortschreiten zu Karzinomen zu riskieren. Die Palette der Präparate könnte bald um den neuartigen Wirkstoff Tirbanibulin ergänzt werden. 2 Zulassungsstudien belegen, dass damit ein Großteil der Läsionen abheilt [1]. Weil die Salbe nur über wenige Tage aufgetragen werden muss, fallen Hautreizungen mild aus. Die hohe Rate von Rezidiven und neuen Keratosen kann sie jedoch nicht senken.
„Es handelt sich um sorgfältig konzipierte Studien, die für Tirbanibulin einen guten Wirkungsgrad gezeigt haben“, konstatiert PD Dr. Martin Hartmann, Oberarzt an der Hautklinik der Universität Heidelberg, im Gespräch mit Medscape. „In den USA ist die Salbe bereits seit einem Jahr für die Feldtherapie aktinischer Keratosen im Gesicht und auf der Kopfhaut zugelassen. In der EU ist der Antrag gestellt, die Genehmigung wird bis Ende 2021 erwartet.“
Bei aktinischen oder solaren Keratosen vermehren sich – meist als Folge übermäßiger Sonnenbestrahlung – atypische Keratinozyten in der Haut. Sie erscheinen dann als rötliche oder bräunliche verhornte Flecken, Knoten oder Papeln, besonders im Gesicht, auf Kopf und Handrücken, Armen und Beinen. Männer, ältere und hellhäutige Menschen machen einen erheblichen Anteil der Patienten aus.
Das Krebsrisiko lässt sich schwer einschätzen
Unbehandelt besteht die Gefahr, dass die Krebsvorstufen die Basalmembran durchbrechen und sich in Plattenepithelkarzinome umwandeln. Die Angaben zu den Progressionsraten reichen von weniger als 1% bis 16% pro Jahr, eine Variationsbreite, die damit zu erklären ist, dass Geschwindigkeit und Wahrscheinlichkeit der Transformation individuell stark schwanken. „Wegen dieses unberechenbaren Risikos raten die Leitlinien grundsätzlich zur Behandlung“, sagt Hartmann.
Trotzdem hat das die hohe Inzidenz von „weißem Hautkrebs“ nicht verhindern können. Daran erkrankten in Deutschland zwischen 2010 und 2014 jährlich 27 pro 100.000 Einwohner, eine Zunahme um 30% im Vergleich zum vorangehenden 5-Jahres-Zeitraum. Folglich noch stärker verbreitet sind die Präkanzerosen, in den USA beispielsweise bei rund 58 Millionen Menschen, wie die Autoren der Tirbanibulin-Studie berichten, Prof. Dr. Andrew Blauvelt vom Oregon Medical Research Center in Portland und seine Kollegen.
Der Bedarf an lokalen Therapeutika wächst
Hartmann merkt an: „Medikamente gegen aktinische Keratosen treffen auf einen riesigen Markt, weil die sowieso schon häufige Erkrankung weiter zunimmt: dadurch, dass die Zahl alter Menschen steigt und Sonnenschutz leider noch häufig vernachlässigt wird.“ Hinzu komme, dass es sich um eine chronische Krankheit handelt, die immer wieder eine Intervention erfordert. „Zum Glück ist es auch möglich, immer wieder zu behandeln, weil sich keine Resistenzen aufbauen“, so der Dermatologe.
Einzelne Herde werden üblicherweise per Kryochirurgie mit flüssigem Stickstoff, Kürettage oder Laser entfernt. Bei multiplen Läsionen wird mit der sogenannten Feldtherapie das umgebende ebenfalls UV-geschädigte Areal einbezogen. Gebräuchlich sind außer der photodynamischen Therapie Wirkstoffe wie 5-Fluorouracil, Diclofenac, Imiquimod oder Ingenolmebutat, als Lösung, Gel oder Creme. Sie bringen einen Großteil der Läsionen ganz oder teilweise zum Verschwinden, wobei sie meist nur lokale und vorübergehende Nebenwirkungen auslösen, selten irreversible Hautveränderungen wie Pigmentierung und Narben.
Tirbanibulin gehört zu einer Klasse innovativer Zytostatika
„Tirbanibulin ist auch insofern ein vielversprechender Ansatz, weil es nach einem anderen Prinzip funktioniert als die bisherigen Substanzen“, erläutert Hartmann. Das Molekül hemmt die Signalübertragung durch die Tyrosinkinase Scr und gehört damit zur Klasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren, die seit etwa 30 Jahren für die Tumortherapie entwickelt werden.
Ausgangspunkt war die Nobelpreis-gekrönte Entdeckung, dass fehlreguliertes Scr eine Schlüsselrolle bei der Krebsentstehung spielt, was bald auch für weitere Tyrosinkinasen nachgewiesen wurde. Die Hemmstoffe dieser Onkogene übertreffen herkömmliche Zytostatika durch ihre stärkere Spezifität und geringeren unerwünschten Effekte. Darüber hinaus tötet Tirbanibulin proliferierende Zellen ab, indem es den Aufbau der Mikrotubuli blockiert. Diese Strukturen aber benötigt die Zelle als stabilisierendes Gerüst, als Spindelapparat für die Teilung und als „Schienen“ für den Stofftransport.
Eine kurze Therapie begünstigt die Adhärenz
Die Wirksamkeit und Sicherheit von 1%-iger Tirbanibulin-Salbe hat das Team um Blauvelt in 2 identischen multizentrischen und parallelen Phase-3-Studien mit Placebo verglichen. Die jeweils 351 Patienten hatten median 6 aktinische Keratosen im Gesicht oder auf der Kopfhaut, mehr als 3 Viertel waren zuvor mit einem anderen Verfahren behandelt worden, rund die Hälfte hatte schon einmal Hautkrebs.
Doppelblind trugen sie die Salben, die der Sponsor und Hersteller Athenex in ununterscheidbaren Einzeldosis-Packungen mit und ohne Wirkstoff lieferte, auf eine 25 cm2 große Fläche auf. „Die Anwendung erfolgte einmal täglich über 5 aufeinanderfolgende Tage – eine überschaubare Dauer“, stellt Hartmann fest. „Bei einigen topischen Wirkstoffen müssen die Patienten die Therapie über Wochen oder sogar Monate durchhalten, was die Adhärenz und damit den Erfolg erschwert.“
Die Auswertung nach 2 Monaten (Tag 57) ergab: Für beide Studien zusammengerechnet hatten sich die Läsionen bei rund der Hälfte der Patienten mit Tirbanibulin und bei 9% mit Placebo vollständig zurückgebildet. Ebenso war ein partieller Rückgang – mehr als 75% - mit Tirbanibulin signifikant häufiger: nämlich bei 72% gegen 18% mit Placebo.
Wechselbad von Spontanheilung und Progredienz
Selbst wenn Patienten keine Behandlung in Anspruch nehmen, zumal wenn sie grelle Sonne meiden, kommt es relativ häufig zu Spontanheilungen, wie die Raten mit Scheinmedikament zeigen. Zieht man diesen Effekt ab, liegt die Wirksamkeit von Tirbanibulin unter 50%“, sagt Hartmann. Er verweist darauf, dass UV-Schutz zwar im Allgemeinen ein entscheidendes Therapie-Element ist, die Teilnehmer der Studie dagegen aufgefordert waren, bis zum Stichtag 57 auf Sonnencreme zu verzichten, um Verzerrungen zu minimieren.
Hautreaktionen waren bei fast allen Patienten Erytheme, Verkrustung oder Schuppung, meist mild und vorübergehend. Jeweils rund ein Zehntel hatte Schmerzen oder Juckreiz an der Applikationsstelle, die aber ebenfalls von selbst abklangen. „Im Gegensatz zu den meisten topischen Behandlungen der aktinischen Keratose traten schwere lokale Reaktionen wie Blasen oder Pusteln, Erosion oder Ulzeration mit Tirbanibulin-Salbe nur selten auf“, stellen die Autoren fest. Als Grund für diesen Vorteil vermuten sie ebenfalls die kurzfristige Applikation. Systemische Nebenwirkungen traten kaum auf, was mit der geringen Absorption übereinstimmt.
Auswertung nach einem Jahr
Bei rund der Hälfte der Teilnehmer mit zunächst komplettem Ansprechen waren nach einem Jahr im Anwendungsgebiet Rezidive entstanden, bei einem weiteren Viertel neue Läsionen.
„Dass die vollständige Remission nur bei etwa 25% der Patienten erhalten bleibt, ist von anderen Therapien ebenfalls bekannt. Das zeigt, dass es sich bei der aktinischen Keratose eher um einen dynamischen Prozess als um ein statisches Phänomen handelt“, so Hartmann.
Der Praxistest steht Tirbanibulin noch bevor
Sein Fazit lautet: Der Nutzen des Tyrosinkinase-Hemmstoffs entspricht etwa dem, was auch herkömmliche Mittel leisten. Eine Rangfolge der Wirksamkeit aufzustellen sei jedoch schwierig, weil direkte Vergleichsstudien weitgehend fehlen.
Die US-Forscher hätten Placebo als Referenz genommen, weil sie ja eine Zulassungsstudie anstrebten. Nun müsste Tirbanibulin auch noch gegen andere Präparate getestet und die Nachbeobachtung verlängert werden. Hartmann: „Die meisten der bisherigen Wirkstoffe sind bewährt und zugleich kostengünstig. Nun gilt es abzuwarten, zu welchem Preis Tirbanibulin auf den Markt kommt, inwieweit es von den Kassen erstattet wird und wie es sich in die älteren Medikamente einreiht.“
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Diesen Artikel so zitieren: Aktinische Keratose: Positive Zulassungsstudien mit neuartigem Wirkstoff Tirbanibulin – besser als bisherige Therapien? - Medscape - 15. Mär 2021.
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