„Die Forschung mit neuen Technologien wie Biomarkern, genetischer Stratifizierung und molekularen Therapien könnte in den kommenden 10 Jahren auch eine Revolution in der Therapie der Parkinson-Krankheit und anderer Bewegungsstörungen einleiten“, erklärte Prof. Dr. Günter Höglinger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG), auf der Pressekonferenz zum Kongress „Parkinson und Bewegungsstörungen – Highlights Digital“ [1].
Der Direktor der Neurologischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover hob hervor, dass man überzeugt sei, „bis 2030 die ersten ursächlichen Therapien im Einsatz“ zu haben. Auf der Konferenz stellte er die aktuellen Studien in Deutschland für personalisierte Therapien auf der Basis genetischer Merkmale vor.
Bisher sei„Parkinson ein großes und ungelöstes Problem für die Gesellschaft“, betonte Höglinger. Was fehle, sei die stringente Förderung und Strukturierung dieser medizinischen Forschung. Mit der Parkinson-Agenda 2030 will die DGP die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass Parkinson 200 Jahre nach seiner Erstbeschreibung endlich ursächlich therapiert werden könnte.
In Deutschland leiden rund 400.000 Patienten an Parkinson. Weltweit ist die Zahl der Parkinson-Patienten von 2,5 Millionen im Jahr 1990 auf 6,1 Millionen im Jahr 2016 gestiegen.
Parkinson-Ursachen noch unklar
Mit 75% der Fälle macht das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS) den größten Anteil unter den Bewegungsstörungen aus. Die Ursache ist aktuell noch ungeklärt. Vermutet wird eine multifaktorielle Genese. In seltenen Fällen liegt ein monogenetischer Gendefekt vor.
Weil vom Beginn der Erkrankung bis zum Auftreten der ersten klinischen Symptome Jahre oder auch Jahrzehnte vergehen, ist Früherkennung der Schlüssel zur Entwicklung von präventiven Therapien. Dazu werden inzwischen Riechtests, Schlafuntersuchungen, Hautbiopsie-Tests, Nervenwasser-Untersuchungen und Gendiagnostik eingesetzt. Eine neue molekulare Diagnostik-Methode ist beispielsweise die Bestimmung der alpha-Synuclein-Aggregate im Nervenwasser mittels RT-QuiC oder der Tau-Aggregate im Gehirn mit dem PET-Tracer PI-2620.
Maßgeschneiderte Therapien durch molekulare Stratifizierung
Ein genaues Verständnis der molekularen Signalwege, die an der Krankheitsentstehung beteiligt sind, ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von maßgeschneiderten Therapien, erläuterte Prof. Dr. Christine Klein, Direktorin des Instituts für Neurogenetik der Universität Lübeck.
Parkinson-Patienten können aufgrund genetischer Merkmale unterschiedlichen Gruppen zugeordnet – also stratifiziert – werden. Insgesamt finden sich bei ca. 10% aller Parkinson-Patienten Mutationen in Genen, für die aktuell erste klinische Studien durchgeführt werden.
Dabei machen monogene, also auf einem einzelnen Gendefekt beruhende Parkinson-Syndrome (PS), ca. 5% aller Parkinson-Erkrankungen aus. In den letzten 20 Jahren konnten 3 autosomal-dominant (SNCA, LRRK2, VPS35) und 3 autosomal-rezessiv (Parkin, PINK1, DJ-1) vererbte kausale Parkinson-Gene identifiziert und validiert werden.
Weil die Mutationen insgesamt aber selten sind und es bislang noch keine spezifischen Therapie-Empfehlungen gibt, kommen für eine molekulare Diagnostik nur ausgewählte Patienten infrage. Dazu zählen Patienten mit frühem Erkrankungsalter, positiver Familienanamnese oder Herkunft aus einer Bevölkerungsgruppe mit gehäuftem Vorkommen von Parkinson-Genmutationen. Beginnt bei Patienten die Erkrankung vor dem 40. Lebensjahr, sollte zunächst an Veränderungen im Parkin- und PINK1-Gen gedacht werden.
Erste Studien in Deutschland
In der multizentrischen ROPAD-Studie (Rostock International Parkinson’s Disease) wird der genetische Hintergrund von mehr als 11.000 Parkinson-Patienten mittels Hochdurchsatzverfahren charakterisiert. Ziel ist die Analyse der Prävalenz von LRRK2-positiven Patienten und von Patienten mit PD-bedingten Genveränderungen (außer LRRK2-Gen). „Wird in der Studie bei einem Teilnehmer eine LRRK2-Mutation nachgewiesen, kann dieser an zukünftigen klinischen Studien mit unserem Partner in den USA eingeschrieben werden. Aktuell kann ein solcher Proband an unserer LIPAD-Studie (LRRK2 International Parkinson’s Disease) in Lübeck teilnehmen“, sagte Klein.
In der LIPAD-Studie werden werden Parkinson-Patienten mit Mutationen im LRRK2-Gen systematisch charakterisiert. Klinisch ist das LRRK2-assoziierte Parkinson-Syndrom nicht vom IPS zu unterscheiden. Es wird zwar autosomal-dominant vererbt, doch die Krankheit tritt nicht bei jedem Mutationsträger auf. Die Penetranz ist reduziert und die Mechanismen dafür sind noch unklar. Im Idealfall könnte das Wissen, was die Penetranz beeinflusst, es ermöglichen die Erkrankung gezielt zu beeinflussen oder gar zu verhindern.
In einer weiteren Studie aus Lübeck wird untersucht, ob eine genetisch stratifizierte Untergruppe von Parkinson-Patienten mit mehreren Risikovarianten in mitochondrialen Genen auf eine maßgeschneiderte Therapie mit Koenzym Q10 anspricht. Dazu nutzen die Forscher Bildgebungsverfahren wie die Magnetresonanzspektroskopie zur Energiemessung im Gehirn. „Die Studie könnte ein erster Schritt in Richtung einer erfolgreichen Vorhersage des Thera-pieansprechens auf der Grundlage des genetischen Status von Parkinson-Patienten sein“, erklärte Klein.
Ob der Hustensaft Ambroxol bei Parkinson-Patienten die Blut-Hirn-Schranke überwinden und als molekulares Chaperon, also als molekularer Schalter fungieren kann, wurde in einer britischen Studie 2020 untersucht.
Hintergrund der Studie ist, dass es bei Parkinson-Patienten mit Mutationen in GBA1 zur Anreicherung von alpha-Synuclein im Gehirn kommt. In der Studie konnte gezeigt werden, dass Ambroxol sicher und verträglich war und die alpha-Synuclein-Spiegel im Liqour anstiegen (was Ausdruck eines vermehrten Exports aus dem Gehirn sein könnte). In weiteren Studien muss nun untersucht werden, ob die Therapie mit Ambroxol die Krankheitsprogression beeinflusst.
Präziser und individueller: Tiefe Hirnstimulation wird optimiert
Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist seit 10 Jahren etabliert in der Parkinson-Therapie. Sie kann die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern und beispielsweise jungen Patienten wieder ein Berufsleben ermöglichen.
Die direktionale Stimulation und die adaptive, bedarfsgerechte Stimulation ermöglichen inzwischen eine präzisere und individuellere Ausrichtung der THS, berichtete Prof. Dr. Andrea Kühn, Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin. Entscheidend für eine optimale Linderung der Symptome ist die exakte Lage der Elektrode im Nucleus subthalamicus. Segmentierte Elektroden erlauben, das elektrische Feld auszurichten und so die Stimulation besser zu steuern. Das führt zu besseren motorischen Ergebnissen.
Weil die Parkinson-typischen Bewegungsstörungen im Tagesverlauf schwanken, ist eine adaptive Stimulation notwendig. Optimalerweise sollte sie nur in Phasen schlechter Beweglichkeit eingesetzt werden und Tremor und unwillkürliche Bewegungen unterdrücken.
Als Biomarker, der den motorischen Status des Patienten verlässlich spiegelt, wird die Beta-Aktivität genutzt – eine synchrone, oszillatorische Aktivität im Beta-Frequenzbereich um 20 Hertz. Die Beta-Aktivität ist umso ausgeprägter, je stärker der Patient motorisch durch Bradykinese und Rigor beeinträchtigt ist. Wird die Beta-Aktivität unterdrückt, korreliert das mit einer motorischen Verbesserung.
Schon Studien aus 2013 konnten zeigen, dass sich die Beta-Aktivität als Triggersignal nutzen lässt. Bei der adaptiven Stimulation wird eine Simulation deshalb nur dann ausgelöst, wenn die Beta-Aktivität eine bestimme Schwelle überschreitet. Mit dem Percept Stimulator können neuronale Signale über die in den Basalganglien platzierten Elektroden über einen langen Zeitraum ausgelesen werden. „Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahr mit Studien in Deutschland starten können“, so Klein. Erstmals wird dabei außerhalb des Labors der Mechanismus der adaptiven Stimulation in der klinischen Routine über mehrere Wochen an Patienten getestet.
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Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Große Hoffnungen: „Bis 2030 die ersten ursächlichen, personalisierten Parkinson-Therapien“: Gen-Diagnostik ebnet den Weg - Medscape - 12. Mär 2021.
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