Neues von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA): Bei seiner Sitzung Ende Februar hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) 6 Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, darunter 2 Orphan-Arzneimittel und 2 Biosimilars [1]. Ein Schwerpunkt des Treffens war wenig überraschend SARS-CoV-2. Dabei ging es um Zulassungsverfahren für modifizierte Impfstoffe und um Antikörper als COVID-19-Therapie.
Evrysdi® bei Muskelatrophie
Der Ausschuss gab grünes Licht für Evrysdi® (Risdiplam), der 1. oralen Therapie für verschiedene Formen der spinalen Muskelatrophie (SMA).
SMA wird meist im 1. Lebensjahr diagnostiziert. Patienten fehlt ein Protein namens „Survival Motor Neuron“ (SMN), was dazu führt, dass Motoneuronen angegriffen werden und schließlich zugrunde gehen. Die Krankheit ist lebensbedrohlich, weil es zu Atemproblemen und zu Muskelschwund kommt.
Das SMN-Protein wird von 2 Genen codiert, nämlich SMN1 und SMN2. Patienten mit spinaler Muskelatrophie fehlt ein intaktes SMN1-Gen, aber sie haben mindestens eine Kopie des SMN2-Gens, die für ein kürzeres, eingeschränkt funktionstüchtiges SMN-Protein codiert. Unter Risdiplam entsteht ein biologisch aktives SMN-Protein in voller Länge. Motoneuronen überleben länger, und die Symptome sind weniger stark ausgeprägt.
In den letzten Jahren wurden Therapien gegen die spinale Muskelatrophie entwickelt. Sie haben den Nachteil, dass Patienten zur Behandlung ins Krankenhaus müssen. Evrysdi® wird von Patienten nur oral eingenommen, was als entscheidender Vorteil gilt.
Ergebnisse von Studien zeigen bei sehr jungen Patienten positive Auswirkungen auf ihre motorische Entwicklung und auf ihr Überleben nach 12 Monaten im Vergleich zu historischen Daten ohne Therapie. Der positive Effekt bei später einsetzender SMA (Typ 2 und 3) wurde in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie mit Patienten zwischen 2 und 25 Jahren nachgewiesen.
Die wichtigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Mundgeschwüre bzw. Aphthen, Harnwegsinfektionen einschließlich Blasenentzündungen, Gelenkschmerzen, Fieber, Übelkeit und Schwindel.
Folgt die EMA der CHMP-Empfehlung, wird sie den Hersteller verpflichten, eine prospektive Langzeitbeobachtungsstudie zur weiteren Bewertung des Krankheitsverlaufs bei SMA-Patienten unter der neuen Pharmakotherapie durchzuführen.
Jemperli® bei Endometriumkarzinomen
Außerdem empfahl der CHMP, Jemperli® (Dostarlimab) eine bedingte Genehmigung für das Inverkehrbringen zur Behandlung bestimmter Arten von rezidivierendem oder fortgeschrittenem Endometriumkarzinom zu erteilen.
Dostarlimab, ein monoklonaler Antikörper, verstärkt T-Zell-Reaktionen gegen maligne Zellen durch Blockade der PD-1-Bindung an PD L1- und PD L2-Liganden.
Jemperli® verbessert die objektive Ansprechrate und Ansprechdauer bei Patienten mit Mismatch-Repair-Mangel (dMMR) oder mit rezidivierendem oder fortgeschrittenem Endometriumkarzinom mit hoher Mikro-Satelliten-Instabilität (MSI-H), die zuvor behandelt wurden. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Anämie, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Juckreiz, Hautausschlag, Muskelschmerzen, Fieber und Hypothyreose.
Orladeyo® beim hereditären Angioödem
Orladeyo® (Berotralstat) erhielt eine positive Stellungnahme zur Vorbeugung von wiederkehrenden Anfällen eines hereditären Angioödems. Es kommt dabei zu wiederkehrenden Schwellungen der Haut. Das liegt an unterschiedlichen genetischen Defekten.
Berotralstat wirkt als Inhibitor von Plasma-Kallikrein. Letzteres ist an der Freisetzung von Bradykinin, einem potenten Vasodilatator, beteiligt. Unter Orladeyo® war die Zahl der Anfälle um 44% niedriger als unter Placebo. Als häufigste Nebenwirkungen nennt die EMA Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Durchfall.
Bevacizumab-Biosimilars bei unterschiedlichen Krebserkrankungen
2 Biosimilars, nämlich Abevmy® (Bevacizumab) und Lextemy® (Bevacizumab), erhielten eine positive Stellungnahme zur Behandlung von Dickdarm- oder Rektumkarzinomen, Brustkrebs, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, Nierenzellkrebs, epithelialem Ovarialkarzinomen, Peritonealkarzinose sowie Zervix-Karzinomen. Daten zeigen, dass Abevmy® und Lextemy® eine vergleichbare Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wie das Referenzprodukt Avastin® (Bevacizumab) aufweisen.
Abiraterone Accord® bei metastasiertem Prostatakrebs
Das Generikum Abiraterone Accord® (Abirateron) erhielt eine positive Stellungnahme zur Behandlung von metastasierten Prostata-Karzinomen. Abirateron wirkt als Hormonantagonist. Das Molekül hemmt die Produktion von Androgenen in den Hoden, den Nebennieren und im Prostata-Gewebe. Laut EMA entsprechen Qualität und Bioäquivalenz von Abiraterone Accord® dem Referenzprodukt Zytiga®.
Erweiterung der therapeutischen Indikation
Der Ausschuss empfahl Erweiterungen der Indikation für:
Cabometyx® (Cabozantinib), ein Tyrosinkinase-Inhibitor bei fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom
Epidyolex® (Cannabidiol), ein nicht psychoaktives Cannabinoid zur Therapie epileptischer Anfälle beim Dravet- oder Lennox-Gastaut-Syndrom
Opdivo® (Nivolumab), ein Checkpoint-Inhibitor, zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen
Quofenix® (Delafloxacin), ein Reserve-Antibiotikum bei akuten bakteriellen Haut- und Hautstrukturinfektionen
Sarclisa® (Isatuximab), ein CD38-Antikörper zur Behandlung des refraktären und rezidivierenden Multiplen Myeloms
Überprüfung des Varizellen-Impfstoffs Varilrix®
Der CHMP schloss eine Überprüfung des Impfstoffs Varilrix® (ein lebendes, attenuiertes Varizellenvirus) ab. Varilrix® wird zum Schutz gegen Windpocken verwendet. Die Zulassung erfolgte jedoch auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten. Experten empfehlen jetzt, Informationen für Fachkreise europaweit zu harmonisieren, was der Hersteller beantragt hatte. Zuvor gab es länderspezifisch Unterschiede Indikationen oder Gegenanzeigen.
Überprüfung von REGN-COV2® bei COVID-19
Der Ausschuss hat seine Überprüfung des Antikörper-Cocktails REGN-COV2® (Casirivimab/Imdevimab) abgeschlossen. Er kam zu dem Schluss, dass diese Therapie sinnvoll ist zur Behandlung von Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und die ein hohes Risiko für schweres COVID-19 haben.
Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass REGN-COV2® die Viruslast stärker reduziert als Placebo und dass weniger Arztbesuche erforderlich sind. Es traten nur wenige Nebenwirkungen auf, die weiter erfasst werden sollten. Dazu zählen allergische Reaktionen als Folge der Infusion.
Impfstoffe gegen neue Coronavirus-Varianten
Die EMA hat Anforderungen für Hersteller veröffentlicht, die planen, bereits zugelassene COVID-19-Vakzine zu modifizieren. Vorzulegen sind klinische Daten: je eine kleine Studie mit Personen ohne Impfung versus Personen mit der neuen Vakzine und Probanden mit der alten versus der neuen Vakzine. Neue Laborstudien sind nicht erforderlich. Außerdem erwartet die EMA, dass der neue Impfstoff vom selben Hersteller produziert wird. Verfahren und Kontrollen müssen identisch zum bereits zugelassenen Impfstoff sein.
Patienten mit seltenen Erkrankungen stärker einbinden
Der CHMP startete ein neues Pilotprojekt im Bereich Orphan Diseases. Ziel ist, dass Patienten ihre Ansichten zu Aspekten wie der Lebensqualität, Behandlungsoptionen und ungedecktem medizinischem Bedarf frühzeitig an die EMA kommunizieren. Dies kann etwa über Patientenorganisationen geschehen.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Die EMA empfiehlt 6 neue Arzneistoffe – und hat Rahmenbedingungen für modifizierte COVID-19-Impfstoffe veröffentlicht - Medscape - 26. Feb 2021.
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