MEINUNG

Neuro-Talk: Die Kunst der modernen Migräne-Therapie – Prof. Diener fasst 3 „extrem lesenswerte“ Lancet-Reviews zusammen

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

19. April 2021

In der Migräne-Therapie hat sich viel getan. 3 Übersichtsarbeiten zu Epidemiologie, neuen Therapeutika und auch alternativen Heilmethoden – präsentiert von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Diesen Monat möchte ich mich auf das Thema Migräne konzentrieren.

Hintergrund ist, dass 3 wirklich exzellente Reviews in Lancet erschienen sind [1,2,3].

Epidemiologie der Migräne

Die erste Übersicht befasst sich mit der Epidemiologie [1]. Weltweit leiden etwa 1 Mrd. Menschen unter einer Migräne. Die 1-Jahres-Prävalenz weltweit liegt bei etwa 15%. Sie ist am höchsten in Südostasien, am geringsten in China. In Europa ist sie höher als in den USA. Der Peak der Prävalenz liegt bei Frauen etwa um das 40., bei Männern um etwa das 30. Lebensjahr. Etwa 6% aller Jugendlichen leiden bereits unter eine Migräne.

Im Projekt Global Burden of Disease ist Migräne die zweithäufigste Ursache für eine Behinderung. Sie wird nur von chronischen Rückenschmerzen übertroffen.

Die Migräne hat viele wichtige Komorbiditäten. An der Spitze stehen Depression und Angsterkrankungen, aber auch chronische Rücken- und Nackenschmerzen.

Die Jahreskosten waren schon in der Vergangenheit erheblich, werden aber mit den neuen Medikamenten, die wir jetzt zur Verfügung haben, definitiv zunehmen. Die indirekten Kosten, z. B. durch Arbeitsausfall, sind natürlich viel höher als die direkten Kosten.

Die meisten Patienten weltweit werden von Allgemeinärzten betreut, die etwas schwierigeren Patienten von Neurologen. In den Ländern mit hohem Einkommen gibt es auch spezialisierte Kopfschmerzzentren.

Das größte Problem sind natürlich Länder mit niedrigem Einkommen, weil die Patienten dort keinen Zugang zum Medizinsystem haben und auch keine Kosten für Medikamente übernommen werden. Viele Medikamente sind dort für viele Menschen gar nicht zugänglich.

Allerdings muss man zugeben, dass in Ländern mit niedrigem Einkommen ganz andere Erkrankungen eine hohe Bedeutung haben, beispielsweise Infektionskrankheiten, Epilepsie, HIV und Ähnliches.

Was wissen wir biologisch?

Es gibt eine ganze Reihe von Genuntersuchungen [2]. Dabei sind beispielsweise in einer genomweiten Analyse zwischenzeitlich 38 Loci identifiziert worden, die bei der Migräne eine Rolle spielen.

Der wichtigste Biomarker im Blut ist CGRP – Calcitonin Gene Related Peptide – das während eine Migräneattacke im Gehirn und in den Gefäßen, die das Gehirn und die Dura versorgen, freigesetzt wird. Diese Erkenntnis hat auch zur Entwicklung von neuen Medikamenten geführt.

Auch Imaging hat uns weiter geholfen, nicht nur die Tatsache, dass es bei Frauen die sehr häufig Migräneattacken mit Aura haben, zu „white matter lesions“ kommt, die aber wahrscheinlich keine pathophysiologische Bedeutung haben. Ganz im Vordergrund steht die funktionelle Bildgebung, die zeigt, dass es eindeutig Veränderungen im schmerzmodulierenden System gibt, die allerdings im Gegensatz zum chronischen Spannungskopfschmerz bei der chronischen Migräne reversibel sind.

Empfehlungen zur Akuttherapie

Was empfehlen die Autoren dieser Übersichtsarbeiten für die Akuttherapie [3]? Natürlich zunächst Analgetika wie Paracetamol, Acetylsalicylsäure und nichtsteroidale Antirheumatika. Im zweiten Schritt kommen Triptane, die in Deutschland viel zu wenig verschrieben werden, was wahrscheinlich daran liegt, dass es für Triptane keine Werbung mehr gibt.

Dann gibt es 2 neue Gruppen von Medikamenten, die Ditane wie Lasmiditan, das über einen Serotonin-1F-Rezeptor wirkt, und die so genannten Gepante, die direkt am CGRP-Rezeptor angreifen. Dazu gehören Ubrogepant und Rimegepant.

Diese Medikamente werden sich, wenn sie zugelassen sind, für Patienten eignen, bei denen Triptane nicht wirksam oder kontraindiziert sind.

Empfehlungen zur Prophylaxe

In der medikamentösen Prophylaxe standen bisher Betablocker, die beiden Antiepileptika Valproinsäure und Topiramat, das Antidepressivum Amitriptylin und Flunarizin zur Verfügung.

Für die chronische Migräne ist eine Wirksamkeit nachgewiesen für Topiramat und Onabotulinumtoxin A.

Jetzt haben wir die neuen monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor, die alle wirksam sind. Sie sind genauso wirksam wie die traditionellen Migräneprophylaktika, haben aber ein sehr viel besseres Verträglichkeitsprofil.

Auch hier wird es neue Substanzen geben. Es gibt 2 Gepante – Rimegepant und Atogepant – die im Moment als orale Medikation in der Migräneprophylaxe untersucht werden.

Ergänzung durch nichtmedikamentöse Maßnahmen

Jede medikamentöse Therapie sollte mit nichtmedikamentöser Therapie kombiniert werden. Hier stehen ganz im Vordergrund regelmäßige sportliche Betätigung, Entspannungsverfahren wie z. B. Jacobsen oder Yoga, wenn es notwendig ist Krankengymnastik und physikalische Therapie. Es spricht auch nichts dagegen, Akupunktur zu versuchen, auch wenn man weiß, dass es sich um eine Placebotherapie handelt. 

Ganz wichtig, so schreiben die Autoren dieser Reviews, ist natürlich eine gründliche Aufklärung und Schulung der Patienten. Die Interaktion zwischen Patient und Arzt spielt eine ganz besondere Rolle. Hier kann man insbesondere den Placeboeffekt, den manche Therapien mit beinhalten, in der Kommunikation mit dem Patienten verstärken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind 3 extrem lesenswerte Übersichtsarbeiten über Migräne in Lancet.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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