MEINUNG

Was bringt´s einen Prädiabetes zu behandeln? Neue Studien untermauern die These: „Wir müssen weg vom glukozentrischen Weltbild“

Prof. Dr. Stephan Martin

Interessenkonflikte

22. März 2021

Hat das Management eines Prädiabetes einen langfristigen Vorteil? Prof. Dr. Stephan Martin erklärt, die Studienlage und empfiehlt, mit Patienten weniger über Zucker und mehr übers Herz zu sprechen.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in meinem heutigen Blog möchte ich mich mit dem Thema Prädiabetes beschäftigen.

Was ist Prädiabetes?

Ein Prädiabetes ist durch einen Nüchtern-Blutglukose-Spiegel zwischen 100 und 125 mg/dl bzw. 5,6 und 6,9 mmol/l gekennzeichnet. Ab einem Nüchtern-Blutglukose-Spiegel ab 126 mg/dl ist das Kriterium für einen Diabetes erfüllt.

Beim Blutzuckerbelastungstest liegt der 2-Stunden-Wert zwischen 140 und 199 mg/dl bzw. 7,8 bis 11 mmol/l.

Diese Definition eines Prädiabetes scheint sehr prädiktiv für die künftige Entwicklung eines Typ-2-Diabetes zu sein.

Der HbA1c-Wert als 3. Parameter liegt beim Prädiabetes zwischen 5,7 und 6,4%. Bei einem HbA1c-Wert von 5,6% oder kleiner ist ein Diabetes eindeutig ausgeschlossen, ab 6,5% und höher ist das Kriterium für einen Diabetes erfüllt.

Was machen wir mit diesen Definitionen?

Prädiabetes bedeutet Vorstufe zum Typ-2-Diabetes. Man hat viele Jahre gesagt „Einmal Diabetes – immer Diabetes“. Deshalb muss man den Diabetes verhindern, sonst haben wir keine Chance.

In verschiedenen großen Studien, z. B. in Finnland, China oder den USA, konnte man zeigen, dass man den Diabetes durch Lebensstil-Intervention oder durch eine Metformin-Therapie verhindern oder zumindest die Manifestation verzögern kann.

Man hat sofort angefangen, Präventionsmanager auszubilden, es starteten vielfältige Aktivitäten. Wir wollen ja die Komplikationen des Diabetes, etwa mikrovaskuläre und makrovaskuläre Komplikationen, verhindern.

Komplikationsrate in Präventionsstudien

Aber nur in der chinesischen Präventionsstudie konnten makrovaskuläre Komplikationen reduziert werden. Warum das in der finnischen und der amerikanischen Studie nicht klappte, ist unklar. Aber in diesen beiden anderen Studien konnte man zeigen, dass mikrovaskuläre Komplikationen wie Retinopathie oder Nephropathie etwas reduziert waren.

Daher ist jetzt die große Frage, ob man Menschen in einer frühen Phase, also bevor sie einen Diabetes haben, screenen soll oder was machen wir mit diesen Parametern des Prädiabetes.

Kardiovaskuläre Komplikationen verhindern

Eine ganz aktuelle Arbeit befasst sich nochmals mit diesem Thema [1]. Man hat über 3.400 Personen ohne Diabetes im durchschnittlichen Alter von 75 Jahren über 5 Jahre beobachtet. Es zeigte sich, dass es bei mehr Personen zu einer Regression zur Normoglykämie als zu einer Progression zum Diabetes kam. Deshalb wurde gesagt, dass man bei Personen ab dem 75. Lebensjahr auf den Prädiabetes gar nicht eingehen sollte.

Dann gab es die Remissionsstudien beim Diabetes, die das Dogma „Einmal Diabetes – immer Diabetes“ aufgelöst haben. Deshalb stellt sich jetzt die Frage, ob der Prädiabetes irgendeine Bedeutung hat.

Dazu ist eine sehr interessante Arbeit erschienen, die ich Ihnen etwas detaillierter vorstellen möchte [2]. In einer chinesischen Studie wurden über 14.000 Personen beobachtet. Alle hatten das Prädiabetes-Kriterium Nüchternblutglukose erfüllt. Keiner hatte einen Myokardinfarkt oder Schlaganfall erlitten.

Nach 2 Jahren hat man den Prädiabetes nochmals überprüft. Bei einem Teil der Personen (13%) war der Prädiabetes zum Diabetes fortgeschritten, bei 42% persistierte der Prädiabetes, aber 45% der Personen waren wieder normoglykämisch, sie waren also wieder stoffwechselgesund.

Im Verlauf der Jahre hat man weiter beobachtet, wie sich das kardiovaskuläre Risiko entwickelt hat. Nach einem medianen Follow-Up von 8,75 Jahren war bei den zur Normoglykämie zurück gekehrten Personen das kardiovaskuläre Risiko um 22%, das Risiko eines Herzinfarkts um 38%, eines Schlaganfalls um 21% und der Gesamtsterblichkeit um 18% geringer, als bei den Personen mit manifestem Diabetes.

Das ist ein ganz interessanter Punkt, dass man den Prädiabetes in der kardiovaskulären Sicht betrachtet. Ein erhöhter Nüchternblutzucker sollte in der Praxis nicht dazu führen, dass man dem Patienten erklärt, dass er auf dem besten Weg ist, einen Diabetes zu entwickeln, sondern dass man ihm sagt, dass er ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall hat.

Diese Ergebnisse weisen den Weg, den wir in der Diabetologie in den letzten Jahren sehr konsequent gegangen sind, und zwar weg vom glukozentrischen Weltbild bzw. lassen Sie uns lieber Diabetologie anstelle von Zuckerologie betreiben.

Ich hoffe, das waren für die Praxis wichtige Hinweise und verbleibe

Ihr Stephan Martin
 

Kommentar

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