Semaglutid-Studie: „Kein anderes Medikament hat bisher auch nur annähernd eine derartige Gewichtsabnahme erreicht“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

18. Februar 2021

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid ist zur Gewichtsabnahme bei nicht-diabetischen übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen hoch wirksam. Das ist das Ergebnis der im New England Journal of Medicine veröffentlichten STEP-1-Studie [1].

Erheblicher Gewichtsverlust mit Semaglutid

An der Doppelblindstudie hatten 1.961 Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 ohne Diabetes über 68 Wochen teilgenommen. 1.306 Probanden erhielten eine Spritze mit 2,4 mg Semaglutid einmal pro Woche und 655 Probanden ein Placebo (jeweils plus Diät und Sport) verabreicht. In der Semaglutid-Gruppe verloren die Studienteilnehmer durchschnittlich 15,3 kg an Gewicht, in der Kontrollgruppe waren es nur 2,6 kg.

 
Das ist ein sehr interessantes Ergebnis. Semaglutid ist ein tolles Medikament und die Langzeitdaten dazu zeigen, dass es auch langfristig sicher ist. Prof. Dr. Stephan Martin
 

„Das ist ein sehr interessantes Ergebnis. Semaglutid ist ein tolles Medikament und die Langzeitdaten dazu zeigen, dass es auch langfristig sicher ist“, kommentiert Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ), die Studienergebnisse gegenüber Medscape. Besonders überrascht hätten ihn die Ergebnisse allerdings nicht. Schon der GLP-1-Agonist Liraglutid ist seit 2015 als „Diätspritze“ zur Gewichtsreduktion bei Adipositas und starken Übergewicht zugelassen.

Mehr Störungen der Gallenblase und 3 Fälle von leichter Pankreatitis

Die Probanden nahmen nicht nur ab, auch die Risikofaktoren für Herzerkrankungen und Diabetes, wie Taillenumfang, Blutfette, Blutzucker und Blutdruck, verringerten sich. Die Lebensqualität der Teilnehmer verbesserte sich. Allerdings berichteten deutlich mehr Patienten in der Semaglutid-Gruppe über leichte bis mittelschwere Übelkeit, Erbrechen und Durchfall als in der Placebogruppe: 89,7% versus 47,9%.

Während 1,4% der Teilnehmer der Semaglutid-Gruppe von schwerwiegenden gastrointestinalen Störungen berichteten, war es unter Placebo kein einziger. An hepatobiliären Störungen litten in der Semaglutid-Gruppe 1,3%, in der Placebogruppe 0,2%.

Von Störungen der Gallenblase (meistens Gallensteine) berichteten 2,6% (34 Teilnehmer) unter Semaglutid und 1,2% (8 Teilnehmer) unter Placebo. Eine leichte akute Pankreatitis wurde bei 3 Teilnehmern unter Semaglutid festgestellt, unter Placebo gab es keinen Fall. Die 3 Probanden erholten sich während des Studienzeitraums wieder.

Bei der Inzidenz von benignen und malignen Neoplasmen gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Unter Semaglutid brachen 7% der Patienten die Behandlung ab, in der Placebogruppe waren es 3,1%.

„Störungen der Gallenblase – vor allem Cholelithiasis – traten unter Semaglutid häufiger auf, ein Befund, der mit früheren Berichten für GLP-1-Agonisten und mit schnellem Gewichtsverlust übereinstimmt“, schreiben die Studienautoren um Prof. Dr. Rachel Batterham, Leiterin des Zentrums für Adipositasforschung am University College of London, UK.

 
Zum ersten Mal kann durch Medikamente erreicht werden, was bisher nur durch eine bariatrische Operation möglich war. Prof. Dr. Rachel Batterham
 

Die Inzidenz von Cholelithiasis unter Semaglutid entspreche dabei der unter dem GLP-1-Agonisten Liraglutid bei einer Dosis von 3,0 mg pro Woche – wie sie auch zur Gewichtsabnahme eingesetzt wird. Aus Sicht der Autoren ergaben sich im Studienverlauf „keine neuen Sicherheitsbedenken“.

Batterham wertet die Studienergebnisse als Durchbruch und sagt: „Drei Viertel der Menschen, die Semaglutid 2,4 mg erhalten hatten, verloren mehr als 10% ihres Körpergewichts und mehr als ein Drittel verlor mehr als 20%. Kein anderes Medikament hat bisher auch nur annähernd eine derartige Gewichtsabnahme erreicht – das ist ein echter Wendepunkt. Zum ersten Mal kann durch Medikamente erreicht werden, was bisher nur durch eine bariatrische Operation möglich war.“

Langfristige Anwendung von Semaglutid nicht praktikabel

Martin weist allerdings darauf hin, dass die in der Studie verwendete Dosierung von 2,4 mg stattlich ist und die üblichen Dosierungen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes (0,5 mg oder 1 mg einmal wöchentlich) deutlich übersteigt: „Die in der Studie unter Semaglutid 2,4 mg beobachteten Störungen der Gallenblase sehen wir nicht bei niedrigerer Dosis, deshalb dürften diese schon direkt mit der höheren Dosis in Verbindung stehen“, meint er und fügt hinzu: „Man sollte daraus jetzt aber nicht ableiten, dass alle Patienten unter höherer Dosis Gallensteine entwickeln.“

Eine langfristige Anwendung von Semaglutid zur Gewichtsabnahme hält Martin aber für nicht praktikabel: „Wir sehen ja auch bei Typ-2-Diabetikern, die mit GLP-1-Agonisten behandelt werden, dass die Wirksamkeit irgendwann nachlässt. Ich beobachte, dass Patienten, die Liraglutid über 2 Jahre einnehmen und ihren Lebensstil nicht verändern, nicht weiter an Gewicht verlieren, der Effekt des Medikaments schwächt sich ab.“ Zu Semaglutid fehlten zwar noch die Daten, Martin geht aber davon aus, dass sich diese Beobachtungen übertragen lassen.

Die Studie, so Martin, lasse viele Fragen offen. Nicht nur zur Dauer der Anwendung. Etwa auch die, was nach dem Absetzen des Medikaments passiere. Es falle zudem auf, dass die Gewichtsabnahme in der Kontrollgruppe über 68 Wochen bei gerade mal 2,6 kg lag. Die Probanden der Kontrollgruppe hatten Placebo erhalten und waren – wie die Interventionsgruppe – über individuelle Beratungen alle 4 Wochen dazu animiert worden, 500 Kalorien weniger pro Tag zu sich zu nehmen und 150 min pro Woche körperlich aktiv zu sein.

 
Wir sehen ja auch bei Typ-2-Diabetikern, die mit GLP-1-Agonisten behandelt werden, dass die Wirksamkeit irgendwann nachlässt. Prof. Dr. Stephan Martin
 

„Durch Lebensstil-Interventionen kombiniert mit Ernährungsumstellung, speziell kohlenhydratarme Ernährung wie z.B. mit der Atkins-Diät, lassen sich in diesem Zeitraum durchaus Gewichtsreduktionen von 8 kg erreichen“, sagt Martin und verweist dazu auf eine eigene Studie publiziert in nutrients . Insofern sei die Kontrollgruppe in der Studie nicht wirklich gut behandelt gewesen.

Studienleiter Prof. Dr. John Wilding von der Universität Liverpool sieht in den Ergebnissen einen „bedeutenden Fortschritt in der Behandlung von Adipositas.“ Aus der Diabetesbehandlung seien Ärzte bereits mit der Anwendung von Semaglutid vertraut. „Für mich ist das besonders aufregend, weil ich an sehr frühen Studien zu GLP1 beteiligt war“, berichtet Wilding.

Als er in den 1990er Jahren am Hammersmith Hospital gearbeitet habe, seien sie die ersten gewesen, die in Laborstudien zeigen konnten, dass GLP1 den Appetit beeinflusst. „Es ist gut zu sehen, dass dieses [Wirkprinzip] nun für eine wirksame Behandlung für Menschen mit Adipositas eingesetzt wird.“

Semaglutid kann nur ein erster Schritt sein

Im begleitenden Editorial werten auch Dr. Julia R. Ingelfinger vom Massachusetts General Hospital in Boston, und Dr. Clifford J. Rosen vom Maine Medical Center in Scarborough, die Studienergebnisse als „ermutigend” und „vielversprechend“ [2]. Nicht nur die Gewichtsabnahme unter Semaglutid sei signifikant, zusätzlich deuteten die sekundären Endpunkte auf eine Abnahme der kardiometabolischen Risikofaktoren hin.

Die Autoren geben aber zu bedenken, dass die gastrointestinalen Nebenwirkungen nicht unerheblich sind und erinnern an die Fälle von Cholelithiasis und akuter Pankreatitis. Und sie weisen darauf hin, dass die orale Gabe von Semaglutid mit Pankreatitis und in Studien mit Nagetieren mit C-Zell-Tumoren der Schilddrüse in Verbindung gebracht wurde.

„Es ist keine Lösung, ein solches Medikament lebenslang zu geben. Auch wenn manche Menschen das gerne verdrängen – ob Bluthochdruck oder zu hohe Lipide – das hat immer etwas mit dem Gewicht zu tun“, betont Martin.

Die Gabe von Semaglutid zur Gewichtsreduktion könne deshalb nur der erste Schritt sein: „Wir bieten damit den Patienten die Möglichkeit vom hohen Ausgangsgewicht herunterzukommen, dann sollten in der Langzeitperspektive aber Lebensstil-Änderungen und die nachhaltige Umstellung der Ernährung folgen. Mein Credo ist, dass Semaglutid – wie auch Liraglutid – immer im Kontext von Lebensstiländerungen eingesetzt werden muss. Das kommt mir in der Debatte ein bisschen zu kurz.“

 

Kommentar

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