Die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) hat in einer aktuellen Erhebung bei ihren Mitgliedern höhere Zahlen von Patientenanfragen während der Corona-Pandemie festgestellt [1]. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind diese in den Praxen um durchschnittlich 40% angestiegen. Aber nur jede/r vierte aktuell Anfragende erhält laut der Umfrage einen Termin für ein erstes Gespräch.
In der Umfrage wurden die DPtV-Mitglieder vom 22.1. bis 7.2.2021 gebeten, die Anfragen nach einem Erstgespräch einer aktuellen Januar-Woche mit dem gleichen Zeitraum im Jahr 2020 zu vergleichen. Wurden im vergangenen Jahr im Schnitt 4,9 Patientenanfragen pro Woche gestellt, waren es 2021 aktuell 6,9 Anfragen. Allein der Anteil an psychotherapeutischen Praxen, die mehr als 10 Anfragen pro Woche erhielten, verdoppelte sich dabei.
„Die Nachfrage nach Psychotherapie hat während der Corona-Pandemie stark zugenommen. Nun müssen Lösungen gefunden werden, wie man die Hilfesuchenden unterstützen kann“, sagt Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DPtV, in einer Pressemeldung zu dieser Umfrage.
Von den im Durchschnitt 6,9 Anfragenden konnten im Mittel nur 1,8 als Patienten einen Termin für ein erstes Gespräch in der Praxis erhalten. Somit erhält nur ein Viertel der Anfragenden ein Erstgespräch, 3 Viertel bleiben erfolglos. Hierbei ist folgendes zu berücksichtigen: Zwar sollte ein erstes psychotherapeutisches Gespräch unabhängig von der Frage stattfinden, ob danach auch einen Behandlungsplatz zur Verfügung stehen kann. Jedoch werden häufig in der Praxis Erstgespräche nur dann durchgeführt bzw. gewünscht, wenn den Patienten danach auch ein Behandlungsplatz in dieser Praxis angeboten werden kann. Andernfalls bemühen sich sie Patienten oft weiter und fragen andere psychotherapeutische Praxen an.
Psychotherapie per Telefon könnte eine Lösung sein
„Wir brauchen in den Praxen flexiblere Reaktionsmöglichkeiten auf die zunehmenden Anfragen. So muss die psychotherapeutische Telefonkonsultation Anfragenden zugänglich gemacht werden – nicht nur den Patienten, die sich bereits in Therapie befinden“, fordert Hentschel. Die Hälfte der Anfragenden müsse laut Umfrage länger als einen Monat auf ein Erstgespräch warten. „Auch für unserer Mitglieder ist es bedrückend, dass sie nicht jedem eine Therapie anbieten können“, betont Hentschel. 77% der Umfrageteilnehmer gaben an, dass diese Situation sie belaste.
Aktuell erhalten etwa 10% der Anfragenden innerhalb von einem Monat einen Behandlungsplatz, aber fast 30% erst innerhalb eines halben Jahres und 38% müssen länger als 6 Monate warten, wird im Zusammenhang mit der Umfrage berichtet.
„Hier ist ein schnelles und unbürokratisches Angebot nötig – etwa eine Akutbehandlung per psychotherapeutischer Videositzung“, fordert Hentschel. „Die Videositzungen wurden seit Beginn der Pandemie von Therapeuten und Patienten positiv angenommen. In einer DPtV-Umfrage im April 2020 gaben 77% der Teilnehmer an, die Möglichkeit der Videositzungen zu nutzen.“
Stärkerer Anstieg in Großstädten
Von 11.755 per Mail angeschriebenen Mitgliedern hatten 4.693 in der ambulanten Versorgung tätige Psychotherapeuten geantwortet, darunter 17% Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. 82% waren vorwiegend vertragspsychotherapeutisch, also mit „Kassensitz“ und etwa 50% von ihnen in einer Großstadt über 100.000 Einwohner tätig.
Regional zeigt die Umfrage nur geringe Unterschiede: In Großstädten ist der Anstieg der Patientenanfragen 46% höher als im Vorjahr, in kleineren Städten und Gemeinde 38,5%. In letzteren liegt jedoch der Anteil der Patienten, die mehr als ein halbes Jahr auf einen Behandlungsplatz warten müssen, etwas höher (42,3% vs. 35,3%).
„Psychotherapeutische Praxen waren bereits vor der Corona-Pandemie ausgelastet. Bei diesen Zahlen fällt es aktuell noch schwerer, die Anfragenden schnell in eine psychotherapeutische Behandlung zu bringen“, fasst der Bundesvorsitzende zusammen. „Die Situation könnte man derzeit kurzfristig verbessern, wenn die Krankenkassen Kostenerstattungsanträge nach §13 Abs. 3 SGB V schneller bewilligten. Das bedeutet, dass gesetzliche Versicherten auch die Therapie bei privaten Psychotherapiepraxen bezahlt wird“, fordert Hentschel.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Seelen-Lockdown: Die Nachfrage nach einer Psychotherapie ist seit Pandemie-Beginn um 40 Prozent gestiegen - Medscape - 18. Feb 2021.
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