Kinder leiden besonders unter der Corona-Krise. Vor allem, wenn sie aus sozial schwachen Familien kommen: Viele Menschen auf oft engem Raum, keine Gelegenheit zum Draußenspielen, zu wenig Kontakt zu den Freunden und allgemein zu wenig Bewegung steigern die Spannungen in den Familien und das psychische Leid der Schwächsten.
Das zeigt die 2. Befragung im Rahmen der „COPSY“-Studie („Corona und Psyche“) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) [1]. Die 1. Befragung wurde im Frühjahr 2020 unternommen. Mit den Ergebnissen liegen nun erstmals belastbare Daten über das seelische Ergehen von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise vor.
Allerdings verschlechtert die Krise die Situation nicht in jedem Fall. Die Einschränkungen, die die Kinder in der Krise hinnehmen müssen, können sie teilweise auch widerstandskräftiger machen, meinen Experten.
85% der Kinder finden die Corona-Krise belastend
Nach der ersten COPSY-Befragung im Frühjahr 2020 haben sich laut der 2. Befragungsrunde die Lebensqualität und die psychische Gesundheit der befragten Kinder und Jugendlichen noch einmal verschlechtert.
„Die allgemeine psychische Belastung ist stabil hoch. Fast jedes dritte Kind zeigt Hinweise auf eine psychische Belastung“, berichtete Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des UKE und Leiterin der Studie. „Vor der Pandemie waren es nur 20 Prozent.“ Aber nicht jedes belastete Kind reagiere mit einer Erkrankung, stellte Ravens-Sieberer klar.
Fast 85% der Kinder finden die Corona-Krise belastend. In der ersten Befragung im Mai und Juni 2020 waren es nur 70%, so die Studienergebnisse.
Vor der Krise lag der Anteil der Kinder mit reduzierter Lebensqualität bei 3 von 10. In der ersten Befragung stieg dieser Anteil auf 6 von 10 und in der 2. Befragung schließlich auf 7 von 10.
Wie schon während der ersten Befragung leidet fast jedes 3. Kind auch 10 Monate nach Beginn der Pandemie noch unter psychischen Auffälligkeiten. „Wir stellten Ängste und Sorgen fest, Kopfweh und Niedergeschlagenheit“, so Ravens-Sieberer.
Zugleich habe sich das Gesundheitsverhalten der Kinder verschlechtert: Doppelt so viele Kinder wie bei der ersten Befragung gaben an, keinen Sport mehr zu machen, 40% berichteten, überhaupt keine Bewegung mehr zu haben.
Stattdessen verbringen sie immer mehr Zeit mit dem Smartphone oder am PC – auch wegen des Home-Schoolings; auch der Konsum von Süßigkeiten und schlechter Nahrung liege auf einem konstant hohen Level.
Kinder aus sozial schwachen Familien sind besonders betroffen
Die Wissenschaftler hatten angenommen, dass die Kinder sich an die Unsicherheit der Corona-Krise gewöhnen würden. „Das war aber nicht der Fall“, erklärte die Studienleiterin. „Unsicherheit kann man schwer adaptieren.“ Die Situation falle inzwischen in den Schulen nicht mehr auf, weil sie geschlossen sind. Umso mehr bemerken die Kinderärzte, wie niedergeschlagen die Kinder oft seien.
Besonders betroffen sind Kinder aus sozial schwachen Familien. Vor allem, wenn die Eltern selbst erkrankt sind oder die Familien in engen Wohnungen leben, finden die Kinder wenig Unterstützung von ihrem sozialen Umfeld. Wut, Aggressionen und psychosomatische Beschwerden haben zugenommen.
Insgesamt sei die Stimmung in den Familien schlechter geworden. 40% der Befragten gaben an, dass auch das Verhältnis zu den Freunden schlechter geworden ist.
Dabei ist es gerade ein guter Familienzusammenhalt, der den betroffenen Kindern helfen kann, so Ravens-Sieberer. „Wenn eine Familie stabile Beziehungen bietet, wenn sich die Kinder aufgehoben und geschätzt erleben, dann gucken sie auch optimistischer in die Zukunft.“
Resilienz-Forschung: Ein Drittel der Kinder kommt unbeschadet durch die Krise
So könnten die widrigen Umstände auch die Widerstandskraft der Kinder stärken. Das betont Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Hannoveraner Kinderkrankenhauses auf der Bult. „Wir wissen aus der Resilienz-Forschung, dass etwa ein Drittel der Kinder und Erwachsenen unbeschadet mit schwierigen Situationen umgehen können. Und das wird auch jetzt so sein.“
So könne der Lockdown sich zum Teil auch positiv auswirken. Hetze und die hohen Ansprüche durch die Schule seien plötzlich verschwunden. Dafür träten Familienleben und gemeinsame Unternehmungen stärker in den Vordergrund. „Dass Kinder etwa durch das Wegfallen der Fremdbetreuung mehr mit ihren Eltern zusammen sind, ist also nicht nur negativ zu werten“, sagt Möller zu Medscape.
Allerdings: Diese positiven Aspekte überwiegen in der Krise nicht, wie Möller betont. Schon gar nicht für Kinder, die in prekären Situationen aufwachsen. Ein Befund, den auch Ravens-Sieberer teilt. „Wir müssen diese Kinder auch dann sehen, wenn sie nicht in der Schule auftauchen. Wir brauchen bessere Konzepte für Kinder aus sozial schwachen Familien.“
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Diesen Artikel so zitieren: Jugend in der Corona-Krise: „COPSY“-Studie zeigt, Gesundheitsverhalten und psychische Belastung verschlechtern sich - Medscape - 17. Feb 2021.
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