Viele schwangere und stillende Frauen und solche mit Kinderwunsch sind verunsichert: Sollen sie sich gegen COVID-19 impfen lassen? Aktuell sind Empfehlungen mehrerer Fachgesellschaften erschienen, die bei der Beratung Ihrer Patientinnen helfen:
Schwangere Frauen können im Rahmen informierter partizipativer Entscheidungsfindung gegen SARS-CoV-2/COVID-19 geimpft werden.
Die Impfung von Frauen mit Kinderwunsch wird empfohlen.
Der potenzielle Nutzen der Impfung überwiegt bei Stillenden mit erhöhtem COVID-19-Risiko eventuelle Sicherheitsbedenken der Impfung.
Und wie verhalten Sie sich bei Befürchtungen, wonach Antikörper nach COVID-19-Impfungen auch Bestandteile der Plazenta angreifen können und so zur Unfruchtbarkeit führen? Experten des Universitätsklinikums Jena klären auf.
Impfung von Schwangeren: Unter bestimmten Bedingungen möglich
Bisher sind bekanntlich 2 mRNA-COVID-19-Impfstoffe (BioNTech/Pfizer und Moderna) sowie ein Vektor-Impfstoff (AstraZeneca) in Europa zugelassen. Vergleichende Daten der unterschiedlichen Impfstoffe und Impfstoff-Typen hinsichtlich Wirkungsgrad und Sicherheitsprofil während der Schwangerschaft oder bei Frauen mit Kinderwunsch existieren noch nicht.
Eine generelle Impfung aller Schwangeren wird derzeit mehrheitlich von den Fachgesellschaften nicht befürwortet. Schwangere sollen jedoch nicht grundsätzlich von Impfprogrammen ausgeschlossen werden. So steht es in einer gemeinsamen Empfehlung mehrerer Fachgesellschaften, u.a. der AG Geburtshilfe und Pränatalmedizin (AGG) in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin (DGPGM), der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) und der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin e.V. (DGRM) [1].
Für beide mRNA-Impfstoffe gilt, dass die Entscheidung über die Anwendung des Impfstoffs bei Schwangeren nach Abwägung der individuellen Vorteile und Risiken in enger Absprache mit einem Arzt getroffen werden soll. Den Einsatz des Vektorimpfstoffs empfehlen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), das Royal College of Obstetrics and Gynecology und die Ständige Impfkommission (STIKO) derzeit bei Schwangeren nur, wenn nach individueller Abwägung und Aufklärung der potenzielle Nutzen für Mutter und Feten die möglichen Risiken überwiegt.
Die Impfung kann nach Empfehlung der Experten angeboten werden:
Schwangeren mit Vorerkrankungen,
Schwangeren mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 oder
Schwangeren mit hohem Expositionsrisiko gegenüber einer SARS-CoV-2-Infektion.
Die Fachgesellschaften empfehlen, im persönlichen Beratungsgespräch nicht nur auf die individuellen und schwangerschaftsspezifischen Risiken einer SARS-CoV-2-Infektion einzugehen, sondern auch auf das Fehlen von Langzeitstudien und die individuellen Risiken und eventuellen Nutzen einer COVID-19-Impfung.
Besonderheiten von SARS-CoV-2-Infektion und COVID-19 in der Schwangerschaft
Folgende Aspekte könnten in einem Beratungsgespräch berücksichtigt werden:
Schwangere Frauen und Wöchnerinnen mit COVID-19 zeigen zwar im Vergleich zu gleichaltrigen nicht-schwangeren Frauen seltener Symptome wie Fieber und Gliederschmerzen, allerdings gibt es vermehrt schwere Verläufe mit der Notwendigkeit intensivmedizinischer Versorgung und Beatmung.
Vorerkrankungen (z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus), mütterliches Alter über 35 Jahren und Adipositas stellen Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf bei Schwangeren dar.
Schwangere Frauen mit COVID-19 weisen eine höhere Frühgeburtenrate (gepoolte Odds Ratio: 3,01) im Vergleich zu Müttern ohne Erkrankung in der Schwangerschaft auf.
Eine SARS-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft ist mit einer erhöhten Präeklampsie-Prävalenz (ca. 5,9% bis 10,5%; relatives Risiko: 1,84) und gehäuften thromboembolischen Ereignissen assoziiert.
Die Rate der Neugeborenen von Müttern mit COVID-19, die auf einer neonatologischen Intensivstation betreut werden mussten, ist ebenfalls erhöht (gepoolte OR: 3,13).
Bei altersentsprechend niedriger Gesamtmortalität ist die Sterblichkeit von Schwangeren mit COVID-19 deutlich erhöht (aOR: 26,07; 141 vs. 5,0 Todesfälle pro 100.000 Frauen).
Eine mögliche prä- und perinatale vertikale Transmission von SARS-CoV-2 wird in einigen Fallberichten beschrieben und in Übersichtsarbeiten diskutiert. Neonatale SARS-CoV-2-Infektionen sind selten symptomatisch und die Infektionsrate ist nicht höher, wenn das Kind vaginal geboren wird, gestillt wird oder bei der Mutter verbleibt.
Die COVID-19-Impfung in der Schwangerschaft
Derzeit existieren nur sehr wenig Daten zu COVID-19-Impfungen in der Schwangerschaft: Tierexperimentelle Untersuchungen des Impfstoffherstellers Moderna berichten keine nachteiligen Auswirkungen auf die weibliche Fertilität, die embryonale/fetale oder die postnatale Entwicklung.
Studien von BioNTech/Pfizer hierzu sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Bisher wurden keine weiteren Sicherheitsbedenken aus den Safety Boards der DART (Developmental and Reproductive Toxicity)-Studien gemeldet. Spezifische Risiken durch Nicht-Lebendimpfstoffe in der Schwangerschaft sind nicht bekannt.
Die SARS-CoV-2-Impfung schützt Schwangere vermutlich ebenso gut vor einer Infektion wie nicht schwangere Frauen. Allerdings fehlen noch detaillierte Angaben hierzu.
Es ist laut der Experten nicht zu erwarten, dass das Nebenwirkungsprofil einer Impfung gegen COVID-19 bei schwangeren und nicht schwangeren Frauen unterschiedlich ist. Ärzte können Schwangeren, die nach der Impfung Fieber haben, zur Einnahme von Paracetamol raten. Sollte in der Vergangenheit bereits eine schwere allergische Reaktion auf einen anderen Impfstoff aufgetreten sein, soll die Frau hierzu beraten werden.
In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen ist die Impfung schwangerer Frauen gegen SARS-CoV-2 möglich. Um Schwangere indirekt zu schützen, sollen zudem enge Kontaktpersonen von Schwangeren, insbesondere deren Partner, sowie Hebammen und Ärzte priorisiert geimpft werden.
Frauen mit Kinderwunsch und COVID-19-Impfung
Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass mRNA-Impfstoffe die Fertilität beeinträchtigen. Eine Immunisierung vor Schwangerschaftseintritt kann die Infektionsgefahr während der Schwangerschaft und die damit verbundenen Risiken minimieren, schreiben die Fachgesellschaften. Eine Schwangerschaftsverhütung nach Impfung ist nicht erforderlich.
Insbesondere bei Vorerkrankungen mit höherem Risiko für Komplikationen der Schwangerschaft oder einer COVID-19-Erkrankung und auch bei höherem Expositionsrisiko sollte jedoch die Beratung über eine Impfung vor geplanter assistierter Reproduktionstherapie erfolgen. Der Behandlungsbeginn sollte um einige Tage nach Abschluss der 2. Impfung verschoben werden, um die Immunreaktion abzuwarten.
Frauen, die nach der 1. Dosis des Impfstoffs schwanger werden, sollten eine 2. Dosis erhalten. Eine „akzidentielle Impfung“ bei noch unbekannter Schwangerschaft stellt keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar. Eine routinemäßige Schwangerschaftstestung vor Impfung ist nicht erforderlich.
COVID-19-Impfung von Stillenden
Zur Anwendung von mRNA-Impfstoffen in der Stillzeit, z.B. den Einfluss auf den gestillten Säugling oder die Muttermilchproduktion/-sekretion, liegen derzeit keine Daten vor. Nach bisherigem Kenntnisstand ist mit der Verabreichung von Nicht-Lebendimpfstoffen während der Stillzeit aber kein erhöhtes Risiko für die Stillende oder den Säugling verbunden. Nach einer Empfehlung der DGGG, der DGPM und der Nationalen Stillkommission (NSK) überwiegt der potenzielle Nutzen der Impfung bei Stillenden mit erhöhtem COVID-19-Risiko die Sicherheitsbedenken deutlich [2].
„Eine grundsätzliche Routineimpfung aller Stillenden wird derzeit auch auf Basis der aktuell limitierten Impfstoffressourcen mehrheitlich von den Fachgesellschaften nicht empfohlen“, erklärt Prof. Dr. Michael Abou-Dakn, Vertreter der AG für Geburtshilfe und Pränatalmedizin (AGG) im DGGG-Vorstand.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) und die Society for Maternal Fetal Medicine (SMFM) halten es für unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für Mutter und/oder Säugling darstellt. Ein biologisch nachvollziehbarer Mechanismus, der Schaden verursachen könnte, ist derzeit nicht bekannt. Aussagekräftige Studien zum Übertritt von Impf-Bestandteilen in die Muttermilch fehlen noch.
Bei persönlichem Risiko Impfung in Erwägung ziehen
Obwohl detaillierte Angaben fehlen, schützt die SARS-CoV-2-Impfung stillende Frauen wahrscheinlich in demselben Maße vor einer Infektion, wie es für nicht-stillende Frauen gezeigt werden konnte.
Vor allem bei Risiken für einen schweren COVID-19-Verlauf überwiegt der potenzielle Nutzen der Impfung die theoretischen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Impfung deutlich.
Zu diesen Risiken zählen Komorbiditäten wie vorbestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Autoimmunerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem sowie Diabetes, Hypertonie und Adipositas.
Impfung der Mutter könnte Risiko für kindliche Infektion minimieren
Einzelberichte dokumentieren schwere oder kritische COVID-19-Fälle bei Kindern unter 12 Monaten, auch wenn Säuglinge per se keine höhere Infektionswahrscheinlichkeit aufweisen und Infektionen häufig asymptomatisch oder mild verlaufen. Eine Immunisierung der Mutter kann jedoch das Risiko für eine kindliche Infektion minimieren.
Durch Impf-Immunisierung gebildete Antikörper können nach Sezernierung in die Muttermilch einen potenziellen Infektionsschutz des Säuglings bieten. Virus-spezifische IgA-, IgM- und IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 konnten in Muttermilch von Frauen mit aktiver oder durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft nachgewiesen werden.
Neutralisierende Antikörper nach Infektion oder Impfung stellen zum jetzigen Zeitpunkt das beste humorale Immunkorrelat zum Schutz vor einer Infektion dar. Auch wenn gesicherte Daten ausstehen, kann die durch Muttermilch übertragene schützende Immunität eine passive Präventionsstrategie zum Schutz des Säuglings darstellen.
Stillende Frauen über fehlende Sicherheitsdaten aufklären
Daher sollten in der Beratung und Aufklärung die (potenziellen) Vorteile einer Impfung für Mutter und Säugling dargestellt und eine partizipative Entscheidungsfindung ermöglicht werden. Der Entwicklungs- und Gesundheitsnutzen des Stillens ist dabei zusammen mit dem klinischen Bedarf der Frau an einer Immunisierung gegen COVID-19 (in Abhängigkeit von Risikofaktoren) zu berücksichtigen.
Ärzte sollten aber auch über das Fehlen von Sicherheitsdaten für den Impfstoff bei stillenden Frauen informieren. Bei erhöhtem Sicherheitsbedürfnis der Stillenden kann ein stillfreier Zeitraum von 1 bis 3 Tagen nach der Impfung erwogen werden. Internationale Empfehlungen sehen jedoch keine Notwendigkeit für einen verzögerten Stillbeginn, einer Stillunterbrechung oder das Abstillen nach Impfung.
Impfung gegen COVID-19 beeinträchtigt nicht die Fruchtbarkeit
Die aktuelle Covid-19-Pandemie scheint ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien, Fehlinformationen und Impfgegner. Reproduktionsmediziner des Universitätsklinikum Jena beziehen nun Stellung und räumen mit dem Mythos auf, mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 könnten unfruchtbar machen [3].
Die beiden Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna beruhen bekanntlich auf einer mRNA, die den genetischen Bauplan für das Spike-Oberflächenprotein von SARS-CoV-2 enthält. Nach einer Impfung bilden die Körperzellen im Bereich der Injektionsstelle Proteine, die dem Spike-Protein ähneln. Immunzellen werden so angeregt, gegen dieses Protein gerichtete Antikörper zu bilden.
Seit Ende 2020 grassieren in den sozialen Medien Behauptungen, wonach diese Antikörper auch Bestandteile der Plazenta angreifen und so zur Unfruchtbarkeit führen. Dies berichten Prof. Dr. Udo Markert, Leiter des Plazenta-Labors der Klinik für Geburtsmedizin und Präsident der European Society for Reproductive Immunology, sowie Prof. Dr. Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin. Die Ärzte nehmen in einer Meldung nun Stellung zu diesem Gerücht.
Das Corona-Spike-Protein besteht aus 1.273 Aminosäuren. Darin enthalten ist die aus 5 Aminosäuren bestehende Sequenz VVNQN. Eine ähnliche, aber nicht identische Sequenz aus 5 Aminosäuren (VVLQN) befindet sich im Protein Syncytin-1. Syncytin-1 ist ein Protein aus 538 Aminosäuren, das in der menschlichen Plazenta gebildet wird.
Die VVLQN-Aminosäuren-Sequenz von Syncytin-1 liegt im Synzytiotrophoblast unterhalb der Oberfläche zwischen den beiden Lipidschichten der Oberflächenmembran und ist somit für eventuelle Antikörper nicht direkt erreichbar. Es wird behauptet, der Impfstoff rufe nicht nur eine Immunantwort gegen das Corona-Spike-Protein hervor, sondern richte sich auch gegen das Syncytin-1 in der Plazenta und führe so zur Infertilität.
Träfe dies zu, müsste auch oder erst recht eine COVID-19-Erkrankung zu einer Infertilität führen, erklären die Jenaer Ärzte. In diesem Fall sei nämlich die Antigen-Belastung der Patientin durch das Corona-Spike-Protein viel höher. Auch die Bildung von Antikörpern infolge einer Infektion wäre deutlich erhöht und damit unkalkulierbarer als nach einer Impfung.
Diese Behauptung ist deshalb höchst unwahrscheinlich und durch die bisherigen Erfahrungen mit COVID-19 erkrankten Schwangeren nicht bestätigt, so Markert und Schleußner.
Erfahrungen mit anderen ähnlichen Antikörpern widerlegen Behauptung
Bereits vor einigen Jahren wurde ein therapeutischer IgG4-Antikörper (Temelimab) gegen das HERV-W-env-Protein zur Behandlung verschiedener Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose oder Diabetes mellitus) entwickelt. Dieses Protein besitzt 81% Homologie mit dem Syncytin-1 Protein.
In-vitro-Experimente mit dem therapeutischen Antikörper konnten zeigen, dass dieser praktisch nicht an Syncytin bindet und keinen Einfluss auf die Funktionalität von Syncytin in Bezug auf die Synzytiotrophoblast-Zellfusion hat, die für eine normale Plazentaentwicklung wichtig ist.
Aus Sicht der Plazenta-Forschung und Reproduktionsmedizin sind diese inzwischen weit verbreiteten Behauptungen völlig unbegründet. Die beiden Experten raten weiterhin allen Frauen zu einer Impfung, um eine COVID-19-Erkrankung und deren zum größten Teil noch unbekannte langfristige Folgen zu vermeiden.
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: COVID-19-Impfung von Schwangeren, Stillenden und Frauen mit Kinderwunsch: So können Sie Ihre Patientinnen beraten - Medscape - 15. Feb 2021.
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