Schon länger ist bekannt, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel bei Patienten mit einem höheren Mortalitätsrisiko in Verbindung stehen. Forscher um Prof. Dr. Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg haben jetzt 3 große Metaanalysen randomisierter klinischer Studien ausgewertet und Zahlen auf Deutschland übertragen [1]. Das Ergebnis: Durch eine bundesweite Vitamin-D-Supplementierung aller Menschen über 50 könnte die Zahl an Todesfällen durch Krebs um 30.000 pro Jahr vermindert, und es könnten 300.000 Lebensjahre gewonnen werden – bei Einsparungen von 254 Millionen Euro durch weniger Krebstherapien.

Prof. Dr. Hermann Brenner
Deutschlandweit starben im Jahr 2019 rund 231.000 Menschen an den Folgen maligner Erkrankungen, berichtet das Statistische Bundesamt. Damit war Krebs die Ursache für jeden 4. Todesfall. „Aus zahlreichen, auch aus eigenen Studien ist bekannt, dass Patienten mit Krebs sehr häufig einen deutlichen Vitamin-D-Mangel haben“, sagt Brenner im Gespräch mit Medscape.
Besonders ausgeprägt sei dies kurz nach der Behandlung, etwa einer chirurgischen Intervention. „Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Prävalenz eines Vitamin-D-Mangels in der älteren Bevölkerung generell recht hoch ist“, ergänzt Brenner.
„In den eingeschlossenen Metaanalysen sehen wir eine deutliche und hoch signifikante Reduktion der Krebsmortalität um 13%, während für die Krebsinzidenz eine allenfalls geringfügige, statistisch nicht signifikante Verringerung beobachtet wurde“, so der Experte. „Die Ergebnisse sprechen dafür, dass durch die Vitamin-D-Supplementierung insbesondere die Prognose nach Diagnose einer Krebserkrankung verbessert wird.“
Was können Ärzte für die Praxis daraus lernen? Brenner: „Personen mit ausreichend hohem Vitamin-D-Spiegel brauchen zwar keine Substituierung, für die Mehrheit der älteren Bevölkerung mit erniedrigtem Vitamin-D-Spiegel wäre sie aber von großem potenziellem Nutzen.“ Ideal sei deshalb, den Wert bei älteren Menschen zu testen und dann eine individuell dosierte Supplementierung durchzuführen.
Doch diese Untersuchung koste mehr als eine Jahresdosis an Vitamin D und werde in der Praxis oft nicht durchgeführt. „Pragmatisch könnte man durchaus auch vorschlagen, Menschen ab 50 Jahren generell eine Supplementierung mit Dosierungen zwischen 400 und 2.000 Einheiten pro Tag zu empfehlen“, so Brenner.
Diese Mengen seien auch in randomisierten, klinischen Studien ohne vorherige Vitamin-D-Bestimmung eingesetzt worden, da Vitamin D in dieser Dosierung auch bei langfristiger Einnahme als sicher gelte. „In einigen Ländern werden sogar Nahrungsmittel seit vielen Jahren mit Vitamin D angereichert – etwa in Finnland, wo die Sterberaten an Krebs um rund 20 Prozent niedriger sind als in Deutschland.“ Ein besonders großes Potenzial sieht Brenner dabei besonders in der supportiven Vitamin-D-Supplementierung bei Krebspatienten.
Die Metaanalysen im Überblick
Dr. NaNa Keum von der Harvard T.H. Chan School of Public Health und Kollegen haben in ihre Metaanalyse 10 randomisierte, kontrollierte Studien einbezogen, die bis Ende 2018 veröffentlicht worden sind. Bei einem Follow-up von 3 bis 10 Jahren traten 6.537 Krebsfälle auf. Der Spiegel an frei zirkulierendem 25-Hydroxy-Vitamin-D betrug unter Supplementation 54 bis 135 nmol/l. Bei der Krebsinzidenz selbst gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen mit und ohne Vitamin-D-Gabe (relatives Risiko 0,98, 95%-Konfidenzintervall 0,93-1,03; p=0,42).
Für die Mortalität durch Krebserkrankungen aller Art konnten 5 Studien mit 1.591 Todesfällen herangezogen werden. Unter Supplementation wurden 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel von 54 bis 135 nmol/l erreicht. Hier lag das relative Risiko bei 0,87 (95% KI 0,79-0,96; p=0,005). „Eine Vitamin-D-Supplementierung verringerte die Gesamtkrebssterblichkeit signifikant, jedoch nicht die Gesamtkrebs-Inzidenz“, schlussfolgern die Autoren.
Forscher um Dr. Tarek Haykal vom Hurley Medical Center in Flint, Michigan, befassten sich mit ähnlichen Fragestellungen. Bei ihrer Auswertung haben sie 10 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 79.055 Teilnehmern im Durchschnittsalter von 68 Jahren berücksichtigt. Die Nachbeobachtungszeit lag mindestens bei 4 Jahren.
Vitamin D in unterschiedlicher Dosierung war im Vergleich zu Placebo mit einer signifikanten Verringerung der krebsbedingten Mortalität verbunden (relatives Risiko 0,87, 95%-KI 0,79-0,96, p=0,005). Bei der Krebsinzidenz zeigten Supplemente aber keinen Effekt (relatives Risiko 0,96, 95%-KI 0,86-1,07, p=0,46).
„Unter Einbeziehung von Studien, die Vitamin D nicht primär zum Zweck der Krebsprävention oder zur Senkung der Krebsmortalität untersuchten, hebt unsere Metaanalyse hervor, dass die Verwendung von Vitamin-D-Supplementierung zur primären Prävention von Krebs empfohlen werden kann, da sie möglicherweise die krebsbedingte Mortalität senkt, sobald Krebs diagnostiziert wurde“, schreiben die Autoren. „Sie hat jedoch keine Rolle oder Wirkung auf die Krebsinzidenz.“
Die 3. Metaanalyse stammt von Wissenschaftlern um Dr. Xinran Zhang vom China-Japan Friendship Hospital, Beijing. Sie nahmen Daten von 10 randomisierten, kontrollierten Studien mit 81.362 Teilnehmern unter die Lupe. Die Inzidenzrate von Krebs betrug 9,16% (3.716 Fälle) unter Supplementation und 9,29% (3.799 Fälle) in der Placebo-Gruppe. Als relatives Risiko errechneten die Autoren 0,99 (95%-KI 0,94-1,03, p=0,532). Der Unterschied war statistisch nicht signifikant.
Bei der Sterblichkeit durch Krebs fanden Zhang und Kollegen 2,11% (821 Fälle) unter Verum und 2,43% (942 Fälle) unter Placebo, was einer signifikanten Verringerung des Risikos entspricht (RR = 0,87, 95%-KI 0,79-0,95, p=0,003). „Unsere Ergebnisse unterstützen eine vorteilhafte Wirkung des Vitamin-D-Präparats auf die Senkung der Krebssterblichkeit, insbesondere in Subpopulationen ohne Krebs in der Vorgeschichte (…)“, schreiben die Autoren als Fazit.
Einsparungen von mehr als 250 Millionen Euro pro Jahr
Brenner und seine Kollegen wählten die 3 Metaanalysen als Grundlage. Daraus berechneten sie Rahmenbedingungen für Deutschland. Eine Supplementierung mit einer Tagesdosis von 1.000 internationalen Einheiten Vitamin D kostet pro Kopf und pro Jahr etwa 25 Euro. Bei 36 Millionen Menschen über 50, Stand 2016, führt das zu Ausgaben von 900 Millionen Euro für Supplementierungen.
Anhand von Daten aus der wissenschaftlichen Literatur kamen die Forscher bei Krebspatienten im letzten Lebensjahr auf mittlere Behandlungskosten von 40.000 Euro. Den Metaanalysen zufolge stehen Vitamin-D-Supplementierungen in Dosierungen zwischen 400 und 2.000 internationalen Einheiten pro Tag mit einer um 13% verringerten Krebsmortalität in Verbindung.
Das entspricht 30.000 weniger Todesfällen durch maligne Erkrankungen pro Jahr. Hier könnten laut Modellrechnungen 1,154 Milliarden Euro eingespart werden. Verglichen mit den Kosten für die Vitamin-Supplementierung errechnet sich in diesem Modell eine Einsparung von jährlich 254 Millionen Euro.
Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Vitamin D für jeden über 50 – ließen sich so 30.000 Krebstote verhindern? DKFZ-Epidemiologen mit aufsehenerregender Analyse - Medscape - 15. Feb 2021.
Kommentar