Viel Bewegung hilft viel, mehr hilft noch mehr – kein Limit nach oben für kardiovaskulären Benefit?

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

11. Februar 2021

Je mehr Bewegung, desto niedriger ist das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Dieser lineare Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und dem Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen zeigte sich in einer neuen britischen Studie mit mehr als 90.000 Teilnehmern. Die Ergebnisse wurden in PLOS Medicine veröffentlicht [1].

Messung mittels Aktivitätsarmband

In der Kohortenstudie, in der die Aktivität mittels eines Aktivitätsarmbands (Accelerometer) gemessen wurde, das alle Bewegungen aufzeichnet, hatten diejenigen das niedrigste Risiko eines Herz-Kreislauf-Ereignisses, die sich insgesamt am meisten bewegten. In dieser aktivsten Gruppe war das Risiko um rund 50% niedriger als bei nicht aktiven Personen; diejenigen, die sich häufig und zudem intensiv bewegten, erreichten sogar eine Risikominderung von bis zu 63%. Die Studie bestätigte aber auch: Jede Aktivität wirkt sich positiv aus.

 
Steigerung von 0 hin zu moderatem Training. Prof. Dr. Herbert Löllgen
 

„Dieser umgekehrte Zusammenhang von Bewegung und Herz-Kreislauf-Risiko war bei unserer Accelerometer-Studie viel stärker als in Fragebogen-basierten Untersuchungen“, schreibt das Studienteam um Dr. Rema Ramakrishnan, University of Oxford, UK. Zudem war kein höheres Risiko, insbesondere was Schlaganfälle betreffe, feststellbar bei denjenigen, die sehr intensiv Sport treiben.

Gesamte Gesellschaft in Bewegung bringen

„Die Ergebnisse dieser Studie bestärken die Überzeugung, dass Sport höchstwahrscheinlich einen wichtigen Faktor in der Herz-Kreislauf-Prävention darstellt“, sagt Prof. Dr. Terry Dwyer, University of Oxford, UK, einer der Autoren der Studie. „Da wir bei Teilnehmern, die sehr aktiv waren, eine beträchtliche Risikominderung beobachtet haben, sollten ein stärkerer Fokus auf Maßnahmen gerichtet werden, die dafür sorgen, dass die Bevölkerung sich mehr bewegt.“

 
Jede Bewegung ist besser als gar keine. Prof. Dr. Herbert Löllgen
 

„Im Grunde sind diese Erkenntnisse nicht neu und kommen nicht überraschend, bestätigen aber den aus vorherigen Studien bereits bekannten Zusammenhang“, kommentiert der Prof. Dr. Herbert Löllgen, Internist, Kardiologe und Sportmediziner in Remscheid, der viel zu Sport und Herz-Kreislauf-Risiko geforscht hat und sich dafür einsetzt, dass Ärzte ihren Patienten ein „Rezept für Bewegung“ ausstellen.

Prof. Dr. Herbert Löllgen

Ungewöhnlich, so Löllgen, sei die in der Studie aufgetretene lineare Dosis-Wirkungs-Kurve. „In den meisten Studien hat sich gezeigt, dass die entscheidende Senkung des Risikos bei moderater körperlicher Aktivität erfolgt“, sagt der Experte. In Fragebogen-Studien betrage die Risikoreduktion bei moderater sportlicher Aktivität gegenüber Inaktivität rund 30 bis 35%. Steigere man als bereits aktiver Mensch die Intensität oder aber den Umfang des Trainings, falle die zusätzliche Risikosenkung wesentlich geringer aus und liege nur bei 5 bis 6%.

Inaktive können ihr Risiko substanziell senken

„Ganz entscheidend für die Reduzierung des kardiovaskulären Risikos ist die Steigerung von 0 hin zu moderatem Training“, sagt Löllgen. Das heißt im Umkehrschluss: Für Inaktive wirkt sich jede Aktivität positiv aus. Das zeige auch die britische Studie. „Daher lautet die wichtigste Botschaft: Jede Bewegung ist besser als gar keine.“

Insbesondere ältere, inaktive Patienten müssen es zunächst einfach nur in Bewegung gebracht werden, sagt Löllgen. „Mein erstes Rezept für diese Patienten lautet: 3-mal 10 Minuten strammes Spazieren pro Woche. Danach steigern wir die Dosis.“

 
Das zeigt, dass körperliche Aktivität für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wahrscheinlich noch bedeutender ist als bislang vermutet. Prof. Dr. Aiden Doherty
 

Im Alltag, so der Sportmediziner, seien das Nutzen von Treppen statt des Aufzugs und das Erledigen von Besorgungen zu Fuß 2 einfach umsetzbare und effektive Maßnahmen für mehr Aktivität. „Ich sage meinen Patienten: Investieren Sie diese zusätzliche Zeit jetzt – dann kommen Sie in 10 Jahren im Alltag besser zurecht.“

Kurze einwöchige Aufzeichnungszeit

Da Studien mit Angabe des Bewegungsverhaltens in einem Fragebogen häufig fehlerbehaftet und der genaue Nutzen von Bewegung schlecht quantifizierbar seien, bestehen immer noch Unklarheiten bezüglich des schützenden Effets von Bewegung, schreibt das Studienteam. Daher habe man in dieser Studie die Aktivität objektiv mittels eines Accelerometers, der am Handgelenk getragen wird, bestimmt.

Bei 90.211 Mitgliedern der UK Biobank aus England, Wales und Schottland ohne vorherige kardiovaskuläre Erkrankungen wurden mittels Accelerator alle Bewegungen innerhalb von einer Woche aufgezeichnet.

Diese Form der Bewegungserfassung habe Vor- und Nachteile, sagt Löllgen. Vorteilhaft sei, dass Accelerometer auch Alltagsbewegungen, etwa Treppensteigen oder den Weg zum Supermarkt, erfassen und dem täglichen Bewegungspensum zurechnen. „Ein Kritikpunkt: Die Aufzeichnungszeit betrug nur eine Woche – das ist im Vergleich zu anderen Studien sehr kurz“, bemerkt er. Zudem seien Probanden in dieser einen Woche, in der sie ein solches Gerät tragen „vermutlich wesentlich motovierter Sport zu treiben als sonst in ihrem Alltag“.

Aufgrund dieser Messmethode lag die wöchentliche moderate Aktivität in der britischen Studie im Mittel bei 743 Minuten; sprich also deutlich höher als die von der WHO empfohlenen 150 Minuten. Diese wiederum basieren auf Selbstangaben von zusammenhängenden sportlichen Aktivitäten von jeweils mindestens 10 Minuten.

Über die nächsten 5 Jahre nach der einwöchigen Aufzeichnung der körperlichen Aktivität wurden alle erstmaligen Klinikeinweisungen oder Todesfälle aufgrund eines Herz-Kreislauf-Ereignisses registriert. Insgesamt traten in diesem Zeitraum 3.617 Ereignisse auf (312 mit Todesfolge).

 
Von besonders intensiver Bewegung profitieren Frauen noch mehr als Männer. Prof. Dr. Terry Dwyer
 

Mit dem Anstieg der sportlichen Aktivität sank die Zahl der aufgetretenen Ereignisse, ohne dass eine Obergrenze erkennbar war. Das heißt also: Die aktivste Gruppe verzeichnete die wenigsten Herz-Kreislauf-Ereignisse. „Das zeigt, dass körperliche Aktivität für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wahrscheinlich noch bedeutender ist als bislang vermutet“, sagt Prof. Dr. Aiden Doherty, Nuffield Department of Population Health, Oxford University, UK, der ebenfalls dem Studienteam angehörte. „Unsere Erkenntnisse bekräftigen die neuen WHO-Empfehlungen zu mehr Bewegung, in denen 150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche empfohlen werden.“ (wie  Medscape berichtete ).

„Von besonders intensiver Bewegung profitieren Frauen noch mehr als Männer“, fügt Kollege Dwyer an. Zwar war die Risikominderung durch Sport bei Männern und Frauen insgesamt vergleichbar. Bei intensiver Aktivität konnten Frauen ihr Risiko im Vergleich zu Männern, die das gleiche Pensum schafften, stärker senken.
 

Kommentar

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